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Walter Hartinger: "...wie von alters herkommen...". Dorf-, Hofmarks-, Ehehaft- und andere Ordnungen in Ostbayern, 2 Bde. [Bd. l: Niederbayern; Bd. 2: Oberpfalz] (= Passauer Studien zur Volkskunde; Bd. 14 + 15), Passau: Lehrstuhl für Volkskunde der Universität Passau 1998, 995 S., DM 65,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 2000, S. 159-160

Rezensiert von:
Peter Blickle

Führend in der Edition ländlicher Rechtsquellen in Deutschland ist zweifellos das Land Baden-Württemberg, das durch die Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (beziehungsweise ihre Vorgängerorganisationen) mittlerweile über 10 Bände Weistümer und Dorfordnungen für Württemberg, Baden und die Pfalz herausgebracht hat. Weitet man den Blick auf den deutschsprachigen Bereich insgesamt, dann tritt die besonders umfassende Erschließung eines ungemein reichen ländlichen Rechtsquellenmaterials in der Schweiz in Form der "Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen" und in Österreich in Form der "Österreichischen Weistümer" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hinzu.[1] Referenzpunkt aller Editionsunternehmen ist der lokale Bezug - es werden Rechtsgewohnheiten editorisch erfaßt, die für ein Dorf oder einen unwesentlich weiteren ländlichen Bereich galten. Das hat seine guten Gründe, weil eine systematische Trennung nach Weistümern und Dorfordnungen nur in Ausnahmefällen (etwa für das Herzogtum Schleswig [2]) möglich ist. Vielfach, wenn nicht in der Regel, überlagern sich älteres Weistumsrecht (mit einer Betonung der Schuldigkeiten der Holden gegenüber ihrer Herrschaft) und jüngeres dörfliches Satzungsrecht (mit der Akzentuierung von kommunalen Rechten an Allmenden, Schmieden und Tavernen sowie der Bestellung der gemeindlichen Organe). Schließlich kommen gelegentlich noch Polizeimaterien hinzu, allerdings angesichts der bestehenden Landes- und Polizeiordnungen in bescheidenem Umfang.

Bayern wurde bislang unter jene Territorien gerechnet, in denen Weistümer und Dorfordnungen als wenig verbreitet galten, ganz im Gegensatz zu den anrainenden tirolischen, schwäbischen und fränkischen Gebieten. Zwar hat schon Pankraz Fried vor 20 Jahren versucht, diesen Eindruck zu korrigieren,[3] doch erst die jetzt vorliegende Edition liefert die nötigen Voraussetzungen, um Bayern in komparatistische Untersuchungen über ländliches Recht mit einbeziehen zu können.

Walter Hartinger hat über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg in den Archiven das einschlägige Material gesammelt und legt jetzt für Niederbayern und die Oberpfalz 86 Ordnungen aus 71 Orten in einer solide gemachten Edition vor. Mit den in den Titel eingerückten Begriffen Dorf-, Hofmarks- und Ehehaftordnungen kommt zum Ausdruck, daß die Vergleichbarkeit mit anderen geschichtlichen Räumen gesucht wird. "Teilordnungen", etwa solche für die Bestellung von Hirten u. a., bleiben ausgeschlossen. Einleitend wird souverän der Forschungsstand zu den ländlichen Rechtsquellen aufgeblättert, verständlicherweise mit einer Fokussierung auf die Forschungsgeschichte in Bayern. Die Texte selbst werden durch knappe, für den Kenner des bayerischen Dialekts ausreichende Lesehilfen erschlossen (über das nützliche Sachregister hinaus wäre ein Glossar hilfreich gewesen). Vorbildlich sind die jedem Quellenstück vorangestellten Kopfregesten, die das Material nach systematischen Gesichtspunkten aufschlüsseln (politisch-rechtliche Ordnung, religiöse Vorschriften, Gemeindeorganisation, Wirtschaftsfragen, polizeiliche Bestimmungen, Ehaftgewerbe, kulturhistorische Anmerkungen) und es in den herrschaftlichen, lokalen und zeitlichen Kontext einordnen (mit umfassenden Bibliographien).

Hartinger skizziert lediglich den Entstehungshintergrund der Ordnungen und die in ihnen behandelten Rechtsmaterien (15-53), beschränkt sich folglich auf eine Einleitung. Sie allerdings konturiert klar den Charakter der Ordnungen. Hartinger legt Wert darauf, die Vergleichbarkeit der behandelten Rechtsmaterien in Dörfern, Märkten und Kleinstädten erkennbar zu machen. Er legt, hierin die jüngere Unterscheidung zwischen Weistum und Dorfsatzung bestätigend, Ordnungen rein herrschaftlichen Charakters einerseits und gemeindlicher Satzungstätigkeit andererseits vor, wiewohl "die Regel [...] das einvernehmliche Zusammenwirken von Herrschaft und Gemeinde" (22) war. Die Rechtsmaterien ändern sich unwesentlich. Konfliktlagen im Dorf oder des Dorfes mit der Herrschaft fördern die Niederschrift oder Rechtsbesserung, die aber immer und unmißverständlich "Herkommen" wieder in Kraft setzen und befestigen will. Das Material zeigt, daß Spätmittelalter und Frühneuzeit in Altbayern als einheitlicher Rechtsraum gelten müssen. Bereits aus dem 15. Jahrhunden datiert ein Viertel der Texte, und deren Inhalt unterscheidet sich eher graduell als prinzipiell von jenen des 18. Jahrhunderts, vornehmlich durch die polizeilichen Hinzufügungen. Der Kern der Ordnungen besteht in der Umschreibung der herrschaftlichen Kompetenzen (namentlich im Gerichtswesen), in der Ausgestaltung der Organisation von Flur, Allmende und Ehaftbetrieben (Bad, Schmiede, Mühle, Taverne) vornehmlich durch gemeindliche Organe (Vierer, Sechser etc.) und in polizeiähnlichen Normierungen, die es erlauben, kulturgeschichtliche Erkenntnisse (über Frömmigkeitsformen, Fastnacht, Hochzeit, Speisen, Tracht) zu gewinnen. Hartinger konturiert die ländliche Rechtskultur als eine solche des Aushandelns, indem er sie dem bayerischen Gemeindeedikt von 1818 gegenüberstellt, das "erlassen von den zentralen Verwaltungen und bald schon auch mehr oder weniger repräsentativen parlamentarischen Organen" (53) die Aufgaben der Gemeinde zentralistisch und einheitlich festlegte.

Die beiden Bände sind für die Erforschung des ländlichen Rechts ein großer Gewinn. Unter komparatistischen Aspekten gewinnt man bei der ersten Lektüre den Eindruck, mehrheitlich seien die Ordnungen die Verschriftlichung der an den ungebotenen Taidigen in adeligen (und geistlichen) Herrschaften (in Bayern meist Hofmarken genannt) vorgesagten Rechtsgewohnheiten. Damit würden sie ihrem Ursprung nach den Weistümern nahestehen. Das genauer zu klären, muß ausführlicheren Monographien vorbehalten bleiben. Sie scheinen um so lohnenswerter, als Hartinger viele seiner Texte aus Akten erhoben hat (vgl. 25), die eine sinnvolle Kontextualisierung offenbar erlauben.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Peter Blickle: Ländliches Recht im deutschen Südwesten. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 46 (1987), S. 378-384; ders.: Ordnung schaffen. Alteuropäische Rechtskultur in der Schweiz. In: Historische Zeitschrift 268 (1999), S. 121-136.

[2] Martin Rheinheimer: Die Dorfordnungen des Herzogtums Schleswig. 2 Bde. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 46). Stuttgart 1999.

[3] Pankraz Fried: Die Bedeutung der ländlichen Rechtsquellen für die bayerische Verfassungsgeschichte. In: Peter Blickle (Hg.): Deutsche Ländliche Rechtsquellen. Probleme und Wege der Weistumsforschung. Stuttgart 1977, S. 197-204, besonders S. 200.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Blickle: Rezension von: Walter Hartinger: "...wie von alters herkommen...". Dorf-, Hofmarks-, Ehehaft- und andere Ordnungen in Ostbayern, 2 Bde. [Bd. l: Niederbayern; Bd. 2: Oberpfalz], Passau: Lehrstuhl für Volkskunde der Universität Passau 1998, in: INFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=423>

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