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Ulrike Gleixner: "Das Mensch" und "der Kerl". Die Konstruktion von Geschlecht in Unzuchtverfahren der Frühen Neuzeit (1700-1760) (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 8), Frankfurt/M.: Campus 1994, 275 S., ISBN 3-593-35194-3, DM 48,00

Aus: Württembergisch Franken (Bd. 83 (1999), S. 434 f.)

Rezensiert von:
Alexander Maisch

Ulrike Gleixner analysiert Texte, die in Verfahren wegen Unzucht vor Gerichten in der brandenburgischen Altmark entstanden sind. Diese Texte beschreiben nicht nur Prozesse, die Beteiligten, die Voraussetzungen der juristischen Auseinandersetzungen, sie geben nicht nur Zeugenaussagen wieder, sondern sie konstruieren Geschlecht. Die Richter unterzogen die Angeklagten einer Normierung mit Konsequenzen für die Wahrnehmung von Geschlecht und für den Prozeß. "Personen mit höchst unterschiedlichen Lebensgeschichten wurden in den Verhörprotokollen einer zeitgenössischen Geschlechterstereotypisierung unterworfen und davon ausgehend juristisch abgeurteilt" (S. 9). Ausgehend von den auch im Buchtitel verwendeten Metaphern "das Mensch" und "der Kerl" zeichnet Gleixner die gerichtlichen Unzuchtverfahren und die dörfichen Lebenswelten nach, die hinter diesen Metaphern standen.

Die Kategorie Geschlecht wird von ihr in vier Bedeutungsebenen aufgeschlüsselt und untersucht: der sozio-ökonomischen, der kulturell-symbolischen, der individuell-psychologischen und der normativen.
Gleixner beginnt ihre Untersuchung mit einer Einführung in die Sozialstruktur der altmärkischen Dörfer und den rechtlichen Rahmen, der für die Verfolgung von Unzucht bestand. Die dörfliche Gesellschaft entschied darüber, was und wie es vor Gericht kam. In einem zweiten Abschnitt wird die Situation vor Gericht thematisiert, wo zunächst die Fragen an die schwangeren Frauen und an die Männer, die sich wesentlich unterschieden, thematisert werden. Bei der Auseinandersetzung ging es dann wesentlich um die "Ehre", deren Zu- oder Aberkennung über den Ausgang des Prozesses entscheiden konnte. Häufig erscheinen die Kindsväter aber gar nicht vor Gericht, und nur die Frauen wurden vernommen. Das dritte Kapitel ist den Erfahrungen mit Unehelichkeit gewidmet, die sich nach sozialem Status und nach persönlichen Voraussetzungen differenzierten. Unehelichkeit wurde anders erlebt, je nachdem, ob die nachgeborene Tochter aus einem Haushalt der Dorfarmut oder die Erbin eines Hofes betroffen waren. Entscheidenden Einfluß hatte schließlich auch die Paarbeziehung (z. B. Magd und Knecht, nachgeborene Tochter und erbender Sohn, Magd und Dienstherr). Die Ehre der Betroffenen war jeweils in unterschiedlichem Ausmaß tangiert, der Einsatz vor Gericht und die Lösungsmöglichkeiten andere. In ihrem fünften Kapitel beschreibt Ulrike Gleixner die Kommunikationsprozesse im Dorf, die einer juristischen Auseinandersetzung vorausgingen und den Umgang mit dem Richterspruch bestimmten. Hier werden die Anzeige der Schwangerschaft, die Regelung der Alimente und das weitere Schicksal der Prozessierenden (die Magd geht, der Knecht bleibt) thematisiert.

Als ein Ergebnis ihrer Untersuchung hält sie fest, daß die Fragen vor Gericht stark geschlechtsspezifisch geprägt waren. Unzucht war für Männer und Frauen keineswegs dasselbe Delikt. Nur die Frauen mußten erklären, warum sie sich auf sexuelle Beziehungen zu Männern, mit denen sie nicht verheiratet waren, eingelassen hatten. Die Ehre der Frauen definierte sich viel stärker als die der Männer über die Sexualität. Männliche Gewalt spielte vor Gericht keine Rolle. Geschlechterrollen waren mit der Besitzordnung des Dorfes verknüpft. Die rechtlichen Auseinandersetzungen schrieben die Inhalte von "Geschlecht" fest. Wenn Gleixner vielleicht auch die Originalität ihres Ansatzes etwas zu stark betont, so eröffnet ihre Untersuchung doch neue Perspektiven und Interpretationsansätze zu einem Thema, dessen Bedeutung für die frühneuzeitliche Geschichte kaum überschätzt werden kann. Angemerkt sei noch, daß mir nicht klar ist, warum die Nachnamen der Personen im Text abgekürzt wurden (Margaretha B.), in den Zitaten aber nicht (Margaretha Buneman). Den Frauen wird dadurch ein Teil ihrer Persönlichkeit genommen, sie werden zu Fällen abgestuft, was doch eigentlich nicht im Interesse der Autorin gelegen haben kann.

Empfohlene Zitierweise:

Alexander Maisch: Rezension von: Ulrike Gleixner: "Das Mensch" und "der Kerl". Die Konstruktion von Geschlecht in Unzuchtverfahren der Frühen Neuzeit (1700-1760), Frankfurt/M.: Campus 1994, in: INFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=409>

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