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Gerhard Menk: Das frühneuzeitliche Bildungs- und Schulwesen im Bereich des heutigen Hessen. in: Ulrich Andermann / Kurt Andermann (Hg.): Kraichtaler Kolloquien. Band 2, S. 153-198, Epfendorf: bibliotheca academica 2000, ISBN 3-928471-27-9

Aus: Geschichtsblätter für Waldeck

Rezensiert von:
Konrad Heuser

Der o. g. Beitrag, hervorgegangen aus einem Vortrag im Rahmen einer Tagung zum Thema "Regionale Aspekte des frühen Schulwesens" im württembergischen Kraichtal, widmet sich der wechselvollen Geschichte des Schul- und Hochschulwesens während der gesamten frühen Neuzeit im heutigen Bundesland Hessen. Mit einem kritischen Blick auf die seit dem 19. Jahrhundert erbrachten Ergebnisse der historischen Forschung zum Thema Bildungsgeschichte, die sich entweder der niederen Bildung in Form der Elementarschulen oder, wie es der Titel des bis heute grundlegenden Standardwerkes von Friedrich Paulsen ausdrückt, der "Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart" zuwendet, betont der Verfasser die Notwendigkeit "des synoptischen Zugriffs auf ganze Bildungssysteme, die in ihrer Durchstufung von der universitären Ebene bis hin zu den Elementarschulen betrachtet werden müßten". Denn nur so zeige sich "die Kraft des deutschen Territorialstaates unter Leitung seiner Fürsten, Beamten und nicht zuletzt auch der führenden Theologen, die inneren Landesbelange zukunftsgerichtet zu organisieren" (S. 159 oben).

Getreu diesem Ansatz versucht Menk in seinem Aufsatz die unterschiedlichen Zielsetzungen der jeweiligen Landesherren gemäß ihrer religiös-politischen Grundüberzeugung (Cuius regio eius religio) anhand des reichlich vorhandenen Archivmaterials herauszuarbeiten. Er erweist sich dabei als intimer Kenner v. a. des calvinistischen Bildungsansatzes und seiner Verbreitung in den hessischen Territorien - ausgehend vom schulischen Zentrum in Herborn und der hier 1584 vom Bruder Wilhelms von Oranien, Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg, ins Leben gerufenen Hohen Schule.

Daß späterhin das nassauische Bildungssystem in seiner dreistufig gegliederten Form Ausstrahlungen im gesamten protestantischen Deutschland und darüber hinaus bis hin nach Nordamerika erfuhr, verdankt es nicht zuletzt der Tatsache, daß einer der bedeutendsten Pädagogen der frühen Neuzeit, der mährische Schulreformer Jan Amos Comenius, auf den alle didaktischen Ansätze in Europa zurückgehen, als Student von 1611 bis 1613 in Herborn seine frühesten Anregungen erfuhr. Dank der Verbreitung seiner Schriften im Abendland erhielt das vom Luthertum ausgehende moderne Schul- und Bildungssystem eine ernsthafte, aber auch weithin befruchtende Konkurrenz.

Die unter dem Begriff "zweite Reformation" sich ausbreitende Calvinisierung bedeutet nämlich, so Menk, "das angestrengte Bemühen um eine möglichst gute schulische Infrastruktur als Grundstein für die Behauptung im konfessionellen Wettstreit" (S. 156). Die Hauptinitiatoren waren dabei die jeweiligen Landesherren bis hinab zu den kleineren Grafen. Versuchten diese doch "vermittels eines konfessionell gleichförmigen Schulsystems über die einheitliche Bildung bis hin zu einer territorial verbindlichen Lehrart (Methodus) nicht nur die Vermittlung neuer konfessioneller Prinzipien, sondern darüber hinaus eine intellektuelle Inanspruchnahme des Untertanen-Verbandes zu erreichen" (S. 167). Diesem Ziele dienten nicht zuletzt die vielen Neugründungen von Universitäten, Akademien, Gymnasien bis hin zu den kleinen Dorfschulen. Auch der Versuch einer Professionalisierung der sog. Dorfschulmeister über den Küsterstatus hinaus gehört in diesen Zusammenhang. Oft waren es hochschulmäßig ausgebildete Pfarrer, die anfangs als Lehrer tätig waren, bis sie dann auf eine besser dotierte Pfarrstelle überwechselten.

Hauptquelle für die Schulsituation auf dem Lande sind die in umfangreichem Maße erhalten gebliebenen Visitationsprotokolle der kirchlichen Vorgesetzten (Superintendenten). Dabei wird deutlich, daß zwischen dem obrigkeitlichen Anspruch in schulischer Hinsicht und der Realität oft eine große Diskrepanz bestand. Die Gesetzmäßigkeiten der agrarisch geprägten Gesellschaft wirkten stärker als alle Forderungen der Obrigkeit, d. h. die Eltern benötigten in der Erntezeit die Hilfe ihrer Kinder, und im Winter waren es die Schneeverhältnisse, die einen regelmäßigen Schulbesuch unmöglich machten. Zudem reichten nach schlechten Ernten die Zahlungskapazitäten in Form von Naturalien oder Geldern nicht, um den Schulbesuch der Kinder zu bezahlen. Den schwersten Rückschlag erfuhr das Schulwesen nach seinem durch die Reformation allgemein ausgelösten Aufschwung durch den 30jährigen "Glaubenskrieg". Erst ganz langsam fand nach dem Friedensschluß von 1648 eine Erholung statt, wobei nunmehr neue Bildungsimpulse von der religiösen Bewegung des Pietismus ausgingen.

Von besonderem Interesse - vor allem für die waldeckische Leserschaft - dürften die Einlassungen Menks bezüglich der Entwicklung des Schul- und Bildungswesens in einem "seinerzeit besonders retardierten Territorium wie der Grafschaft Waldeck" sein. Politisch orientierten sich seine Grafen stark an der Landgrafschaft Hessen, in deren Lehnsabhängigkeit sie damals standen, was auch die Teilnahme des Grafen Philipp IV. von Waldeck am Reichstag zu Worms 1521 beweist. Doch erfolgte im Gegensatz zu Hessen die Durchsetzung der Reformation erst Schritt für Schritt. Sie darf nach Menk "erst 1556, dem Zeitpunkt des Erlasses einer Kirchenordnung (auf der Synode von Homberg), als einigermaßen abgeschlossen betrachtet werden". In dieser ersten waldeckischen Kirchenordnung werden die Eltern und Pfarrer zur Durchsetzung und Erfüllung eines geregelten Schulbesuchs angehalten. Die danach als erstes eingerichtete Schule dürfte die von Wellen 1556 gewesen sein. 1578/79 erfolgte dann bekanntermaßen die Umwandlung der Korbacher Stadtschule in ein damals modernes Gymnasium Illustre in den Räumlichkeiten des ehemaligen Franziskanerklosters. Auch in Waldeck litt das Schul- und Bildungswesen dann erheblich unter den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Die Probleme des Neuaufbaus nach 1648 durch "landesherrlichen Zugriff" beschreibt Menk so: "In Waldeck waren es weit mehr mangelnde finanzielle Ressourcen und die fortdauernde Abhängigkeit von den traditionellen Eliten, die die Einrichtung einer gänzlich auf die Bedürfnisse des kleinen Territoriums zugeschnittenen, durchaus universitätsähnlichen Bildungseinrichtung zu Fall brachten" (S. 189).

Ein Ausblick auf die Entwicklung in Hessen im 18. und anfänglichen 19. Jahrhundert bildet den Abschluß der Arbeit Menks, die einen insgesamt umfassenden und differenzierten Einblick in das frühneuzeitliche Schulwesen Hessens ermöglicht. Sie weist den Verfasser als äußerst kompetenten Autor aus, der es versteht, die vielen Details der Bildungsgeschichte in große Zusammenhänge einzuordnen - für alle an Bildungsfragen interessierte Leser eine zwar nicht leichte, aber empfehlenswerte Lektüre.

Empfohlene Zitierweise:

Konrad Heuser: Rezension von: Gerhard Menk: Das frühneuzeitliche Bildungs- und Schulwesen im Bereich des heutigen Hessen. in: Ulrich Andermann / Kurt Andermann (Hg.): Kraichtaler Kolloquien. Band 2, S. 153-198, Epfendorf: bibliotheca academica 2000, in: INFORM 1 (2000), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=394>

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