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Stefan Brakensiek: Fürstendiener - Staatsbeamte - Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1759-1830) (= Bürgertum; Bd. 12), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, X + 538 S., ISBN 3-525-35677-3, DM 120,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 600-601)

Rezensiert von:
Konrad Fuchs

Im Anschluß an eine knappe Betrachtung Hessen-Kassels im 18. und 19. Jh. unter besonderer Berücksichtigung der Thematik der Arbeit werden die sich ergebenden Fragen und Probleme in zwei Teilen behandelt. Der erste Teil, überschrieben "Die Niederjustiz, die untere Verwaltung und die Ortsbeamten" (S. 49-191), untersucht die "Bildung und Ausbildung in Schule und Universität", die "Karrieremuster", die "Dienstliche(n) Aufgaben", das "Besoldungssystem" und die "Mechanismen der Kontrolle und ihre Wirksamkeit". Im zweiten Teil werden unter der Überschrift "Soziale Beziehungen der Ortsbeamten" (S. 193-374) deren "Soziale Herkunft", "Familiale Verflechtung", "Die Ortsbeamtenfamilie", die "Dimensionen der sozialen Verflechtung" sowie "Die Ortsbeamten in ihrem lokalen Umfeld" erörtert.

Grundlage für die Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten war, wie der Verf. zutreffend feststellt, die Struktur des Fürstenstaats in seiner deutschen Gestalt. Alles in ihm war bedacht, geplant und gelenkt; die Herrschaft nahm die Züge hausväterlicher Vorsorge an. Es waren nicht zuletzt die Ansprüche des Fürstenstaats an die Einsicht und das Können der Untertanen und daneben der Staatsdiener, die die allgemeine Schulpflicht erforderlich machten. Übersehen werden darf dabei allerdings nicht die ungebrochene Geltung des monarchischen Prinzips. Und das bedeutet, daß geltende und vermeintlich rationale Regelungen für eine Beamtenlaufbahn, wie Eingangsprüfungen und Bewährungsaufstieg gemäß Leistung und Anciennität, hintangestellt wurden gegenüber personalpolitischen Alleingängen des Fürsten und seiner Berater. Ihr unmittelbarer Einfluß auf die Rekrutierung von Beamten und auf deren weiteres berufliches Fortkommen führte dazu, daß persönliche Vorlieben ober Abneigungen sowie politische Rücksichten weiterhin den Ausschlag gaben über Tempo und Ziel von Karrieren im kurhessischen Dienst (S. 85). Gleichwohl erreichte die Ausbildung durch Schule und Universität in zunehmendem Maße den Rang eines Qualifikationsfaktors für die Aufnahme in das Beamtentum. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Durch den Ausbau der staatlichen Verwaltung, der Justiz und des Militärs wurde die Professionalisierung nicht weniger Tätigkeiten vorangetrieben, vor allem in solchen Bereichen, in denen akademische Qualifikationen erforderlich waren. Hier war der Zugang zu Verwaltungs-, Justiz- und Militärpositionen nicht mehr das ausschließliche Privileg des Adels, sondern jedermann nach Ablegung von Prüfungen möglich. Wenn dennoch im Verlauf des 18. Jh.s eine verstärkte Aristokratisierung aller Lebensbereiche einsetzte, dann nicht allein dadurch, daß der altständische Adel in die Verwaltungs- und Militärpositionen zurückkehrte, sondern häufig auch dadurch, daß das allmählich aufstrebende Bürgertum durch Nobilitierung in den Adel aufgenommen wurde.

Besondere Bedeutung erhielt im Rahmen der Universitätsausbildung Göttingen, obwohl außerhalb Kurhessens gelegen, denn die 1737 gegründete Göttinger alma mater war von kameralistischem Geist durchdrungen. Die Zielsetzung Göttingens war deutlicher als in allen vorausgegangenen Jahrhunderten an beruflich-utilitaristischen Aufgaben orientiert. Im Gegensatz dazu entsprachen die Landesuniversitäten Rinteln und Marburg kaum den zeitgenössischen Ansprüchen. Vor allem Rinteln vermochte nur noch wenige Studenten anzulocken.

Hervorzuheben sind die in den Ausführungen immer wieder akzentuierten Bemühungen, den auf der sozialen Stufenleiter erreichten Status zumindest zu halten, nach Möglichkeit ihn jedoch zu verbessern. Das war nicht zuletzt dadurch realisierbar, daß man den Unterschichten den Aufstieg verwehrte, ihn zumindest aber erschwerte, eine Tatsache, die bis heute relevant geblieben ist. Einen sozialen numerus clausus, so erfahren wir durch die ebenso interessante wie informative Untersuchung, hat es zu allen Zeiten gegeben. Wie ausgeprägt das Bestreben war, den erreichten sozialen Status zu bewahren, verdeutlicht das folgende Zitat: Die Eltern aus dem provinziellen gebildeten Bürgertum Hessens hatten (...) vielfach Schwierigkeiten, ihren Söhnen eine ausreichende Schulbildung zukommen zu lassen. Da sie jedoch die Grundlage bildete für ein erfolgreiches Studium und längerfristig für den intergenerationellen Statuserhalt, wandten viele Eltern ihre ganze Energie, Improvisationsgabe und beträchtliche Geldmittel auf, um ihren oft zahlreichen Söhnen eine höhere Schulbildung und ein anschließendes Universitätsstudium zu ermöglichen. Als besonders nützlich erwiesen sich Kontakte zum Fürsten, die sich den Inhabern solcher Staatsämter eröffneten, die vielleicht nicht besonders lukrativ besoldet, gleichwohl aber hochangesehen waren.

Empfohlene Zitierweise:

Konrad Fuchs: Rezension von: Stefan Brakensiek: Fürstendiener - Staatsbeamte - Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1759-1830), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=391>

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