header

Werner Marzi: Judentoleranz im Territorialstaat der Frühen Neuzeit. Judenschutz und Judenordnung in der Grafschaft Nassau-Wiesbaden-Idstein und im Fürstentum Nassau-Usingen (= Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen; Bd. XVI), Wiesbaden: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 1999, X + 471 S., ISBN 3-921434-20-3, DM 49,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 565-566)

Rezensiert von:
Eugen Caspary

Der Dank, den Verf. im Vorwort seines Buches Abt und Konvent des Benediktinerklosters Maria Laach abstattet, dürfte sich wohl durch besondere Herzlichkeit ausgezeichnet haben. Denn um als vielbeschäftigter Leiter einer integrierten Gesamtschule "nebenher" ein Werk von solchem Rang und Umfang, von so umfassendem Informationswert, von solch erschöpfender Behandlung des Forschungsgegenstandes in so rundum überzeugender Fassung und Gestalt der Öffentlichkeit präsentieren zu können, bedarf es wohl - wenigstens zeitweise - jener schöpferischen Stille und Konzentration garantierten Abgeschiedenheit, die heutzutage eigentlich nur noch im klösterlichen Refugium möglich zu sein scheinen.

Verf. gliedert seine Mainzer Dissertation (1. Gutachter: Prof. Dr. Alois Gerlich) in fünf große Kapitel, beginnend mit einer Einführung in Problemstellung und Arbeitsmethode sowie einer kritischen Auseinandersetzung mit den sein Thema berührenden Forschungsergebnissen. Es folgt eine topographische, chronologische und statistische Übersicht über die Juden in Nassau-Usingen, in der er präzise Auskunft über die Verhältnisse in den altusingischen Ämtern Wiesbaden, Idstein, Usingen, Wehen, Burgschwalbach und im Kirchspiel Kettenbach sowie in den gemeinschaftlichen Ämtern Kirberg und Nassau gibt: eine notwendige und für das Verständnis der folgenden Kapitel: dem Kern der Forschungsarbeit, sehr hilfreiche Bestandsaufnahme. Worum es in diesen Abschnitten geht, sei wenigstens anhand der Überschriften angedeutet: Judenaufnahme und Judenschutz in Nassau-Usingen und im Gemeinschaftlichem Amt Nassau. Judenschutz und Judenordnung als komplementäre Institute und die nassau-usingische Judenordnung von 1732 und ihre hessischen Referenzen.

Was unter frühneuzeitlicher Judentoleranz zu verstehen ist, wird nach sorgfältiger Befragung der Quellen, nach kritischer Auswertung der einschlägigen Literatur sowie im Vergleich mit den Verhältnissen in benachbarten Staaten am Beispiel des Territorialstaates Nassau-Usingen im rechtsrheinischen Besitzstand der Zeit vor dem Frieden von Lunéville (1801) ausführlich und mit Akribie beschrieben. Verf. weist - von unterschiedlichen Positionen her das Problem umkreisend - den grundlegenden Unterschied zwischen dem aus der Aufklärungsdoktrin des 18. Jh.s abgeleiteten Toleranzbegriff und der Judentoleranz, wie sie sich in der frühen Neuzeit bis hin zur endgültigen Emanzipation im Umkreis der Revolution von 1848/49 entwickelt hat, nach. Von bürgerlicher Gleichstellung und Selbstbestimmung des Lebens konnte während dieser Zeit keine Rede sein; vielmehr waren die Juden als fremdreligiöse Minderheit innerhalb der christlichen Mehrheitsgesellschaft lediglich geduldet.

Wie der konkrete Alltag der Juden inmitten ihrer christlichen Nachbarn in den Städten und Dörfern des obrigkeitsstaatlich organisierten Territoriums zwischen dem Ende des 17. Jh.s, als sich - nach Vertreibung im 16. Jh. und nach dem Dreißigjährigen Krieg - z.B. in Wiesbaden, Usingen, Idstein und Kirberg jüdische Gemeinden formierten, und der Zeit des Herzogtums Nassau (1806-1866) aussah, zeichnet Verf. in einer Deutlichkeit und Genauigkeit nach, wie sie für diesen Raum in der angegebenen Zeitspanne bisher noch nicht geleistet worden sind.

Der Zusammenhang zwischen den Bedingungen der Rezeption in den landesherrlichen Schutz, der sich nach einem kaum modifizierten Schema vollzog, das seit etwa der Mitte des 18. Jh. s formalisert, aber in den einzelnen Orten nicht immer nach gleichem Muster praktiziert wurde, der Ausstellung des Schutzes und der Leistung des Rezeptionseides, wird bis ins kleinste Detail verdeutlicht. Was den Judeneid betrifft, so gab es verschiedene Arten für unterschiedliche Anlässe. Im Judeneid spiegelt sich die Einschätzung der Juden durch die christliche Umwelt, die ihnen z.B. bis zum Gesetz vom 16.9.1801 die Rechtsgleichheit verweigerte. Besondere Aufmerksamkeit richtet Verf. auf die ordnungsrechtliche und "lebens-weltliche" Entwicklung und stellt diese in vergleichender Betrachtung in den allgemeinengeschichtlichen Rahmen. Judenschutz und Judentoleranz waren - besonders im 16. und 17. Jh. - der Geistlichkeit stets ein Dorn im Auge, weshalb die Schutzherren sich gezwungen sahen, den Judenschutz durch Judenordnungen zu ergänzen. Verf. beschreibt die Stufen dieser Entwicklung vom mittelalterlich-voraufklärerischen Ausgangspunkt über die durch vielfältige Spannung gekennzeichnete frühneuzeitliche Phase bis hin zur Emanzipationszeit gegen Ende des Herzogtums Nassau. Dabei wird in wünschenswerter Eindringlichkeit der Nachweis erbracht: Die Judenordnung war als Polizeiordnung über die religions- und wirtschaftspolizeiliche Bestimmungen hinaus zugleich auch Zucht-, Sitten- und Sicherheitsordnung.

Wie etwa W.-A. Kropat in seiner grundlegenden Arbeit "Die Emanzipation der Juden in Kurbessen und in Nassau im 19. Jahrhundert" (in: "Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen", Wiesbaden 1983, S. 325-350) stellt auch Marzi die Vergeblichkeit emanzipatorischer Reformbestrebungen zugunsten der Juden im Herzogtum Nassau heraus. Hier kam es erst im Zuge der Revolution von 1848/49 zur Gleichstellung der Juden - wenigstens auf dem Papier. Aber erst nachdem Nassau preußisch geworden war, erlangten die Juden im ehem. Herzogtum Nassau die volle Gleichberechtigung.

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Ortsregister sind für den Leser dieses anspruchsvollen wissenschaftlichen Werkes und für die Benutzer des in mehrfacher Hinsicht gewichtigen und - was die Geschichte der Juden in Nassau-Usingen und in den benachbarten Territorialstaaten betrifft - unentbehrlichen Nachschlagewerkes eine äußerst nützliche Hilfe.

Empfohlene Zitierweise:

Eugen Caspary: Rezension von: Werner Marzi: Judentoleranz im Territorialstaat der Frühen Neuzeit. Judenschutz und Judenordnung in der Grafschaft Nassau-Wiesbaden-Idstein und im Fürstentum Nassau-Usingen, Wiesbaden: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=385>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer