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Axel Gotthard: Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, Teilband 1: Der Kurverein. Kurfürstentage und Reichspolitik, Teilband 2: Wahlen. Der Kampf um die kurfürstliche "Präeminenz" (= Historische Studien; Bd. 457/1 + 457/2), Husum: Matthiessen 1999, IV + 475 und 421 S., ISBN 3-7868-1457-0, DM 228,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 507-508)

Rezensiert von:
Winfried Dotzauer

Im Rahmen der durch das Jubiläum des Westfälischen Friedens reaktivierten Besinnung auf die Entwicklung reichsständischer Repräsentations- und Beratungsformen fordert die in Erlangen gefertigte zweibändige Habilitationsschrift über die "Säulen des Reiches" ihren repräsentativen Platz. Die Kurfürsten als "innerste Räte" des Kaisers, wirkten sie mehr als verlängerter Arm des Reichsoberhauptes in das Reich hinein oder waren sie exklusive Sachwalter der Reichsinteressen nach "außen" und "oben"? Das Wechselverhältnis zwischen Reichs- und Standespolitik, die konfessionelle und vorkonfessionell-hierarchische "Zwei-Frontensituation" interessiert. Der Verf. sucht die Orte auf, an denen die Kurfürsten als Gruppe auftraten, als Vereinsbrüder, Teilnehmer an "wählenden" und "nicht-wählenden" Kurfürstentagen sowie als Mitglieder der betreffenden ersten Reichstagskurie. Der Kurverein, der freiwillige Zusammenschluß zur Wahrung standes- und auch reichspolitischer Interessen und Ziele, erweist sich seit der vom Verf. hervorgehobenen neuerlichen Begründung von 1558 als neuer Typ, tauglich, um als einendes Band die konfessionelle Frontlinie im Reich gelegentlich zu entschärfen. Das gilt im übrigen auch von den Reichskreisen, von denen der Verf. aber nur wenig hält. G. geht der Entwicklung der Institution des Kurvereins in seinen Höhen und Tiefen bis1686 nach. Der Verein verfügte über begrenzte Möglichkeiten, so hat er - trotz einer zeitweiligen militärischen Akzentsetzung - beispielsweise nie einen Krieg verursacht oder verhindert. Die Geschichte der kurfürstlichen Reichstagskurie, des Kurfürstenrates, kann nach dem Befund G.s noch nicht geschrieben werden. Mit dem 3-Kurienreichstag wurde den Kurfürsten deren exklusives Instrumentarium zugunsten des Mit- und Gegeneinanders der Reichstagskurien aus der Hand geschlagen. Der Verf. geht der "bisher noch nie gestellten Frage" nach, welche Funktionen, Kompetenzen und Grenzen die Tagungsform Kurfürstentag neben z.B. Reichs- und Deputationstag hatte. Der Kurfürstentag erwies sich als fester Bestandteil des politischen Systems des Reichs, obwohl viele organisatorische Grundsatzfragen ungeklärt mitgeschleppt wurden. Die "Fürstenpartei" der zweiten Hälfte des 17. Jh.s hat den Status dieser Versammlungsform diskreditiert. Im Gegensatz zu den meisten "nichtwählenden" Kurfürstentagen sind die frühneuzeitlichen Königswahlen - die "wählenden" Kurfürstentage - hinlänglich erforscht. Das im zweiten Band thematisierte kurfürstliche Wahlrecht behandelt die Gefahren für die Wahlfreiheit der Kurfürsten, als da sind: politischer und militärischer Druck, Stimmenkauf und dynastische Thronfolge (Habsburg). Die Konjunkturkurven der kurfürstlichen Präeminenz, die 1635 Höhepunkt und Peripetie finden, münden in einen schleichenden Erosionsprozeß. Die Debatte um die Wiederbelebung des Kurfürstentages und um die Revitalisierung des Kurvereins in den 1680er Jahren bildet den Abgesang der einstigen Kufürstenherrlichkeit. Das Werk ist weitgehend aus kurfürstlichen Akten geschrieben, die vor allem in Wien, Dresden und München ausgewertet wurden. Das quellennahe Arbeiten bestimmt. Bei der in den Anmerkungen zum Zitat gebrachten Literatur hat man gelegentlich den Eindruck, daß diese nicht eigentlich verarbeitet worden ist, es sei denn, der Verf. - dessen wissenschaftliche Selbsteinschätzung nicht gerade gering scheint - hält diese für so unerheblich, daß sich ein Eingehen nicht lohnt. Auch weist die Literatur im Blick auf zitierfähige neuere Erscheinungen durchaus ihre Lücken auf, so beispielsweise für die kurpfälzische Entwicklung im 30jährigen Krieg, die Kurmainzer Situation um 1680 (Arbeit von J. Wysocki) und für die Thronerhebung (Herrscherweihe und Königskrönung im frühneuzeitlichen Europa. Hrsg. v. H. Duchhardt).

Diese Kritik berührt zweifellos einen neuralgischen Punkt des heutigen geschichtswissenschaftlichen Arbeitens an den deutschen Universitäten überhaupt, indem man im Bereich der akademischen Prüfungsarbeiten mit den Augen des Angehörigen einer "Schule" die Literatur filtert und einen Stellenwert zuordnet. Ist es wirklich das rationalisierte Endprodukt eines Strebens nach Objektivität oder ist es der ausgeprägte Hang desVerf.s zum formalistischen Bewerten von Problemkreisen im Verständnis des Reiches als Rechtsordnung, daß eine gewisse "protestantische" Interpretations- und Argumentationsoptik sichtbar wird? Angelpunkt sind dabei der Kölner Krieg mit der Aufnahme Ernsts von Bayern in den Kurverein, die Translation der pfälzischen Kur, die "formwidrige Aufnahme" des Bayernherzogs, neben "irregulären Konventen" der Kaisertreuen. "Hintergedanken" finden sich häufiger bei der katholischen Partei des Kaisers. Das fällt besonders auf, wenn man die im Prinzip "katholisierenden" Perspektiven von Aretins bezüglich des "Alten Reiches" dagegen hält. Das Fazit der Arbeit fällt beim Verf. relativ kurz aus. Der strapazierte Leser würde sich als Haltepunkte handbuchartig verknappte, zusammenfassende Strukturalisierungen wünschen, die die Lektüre der Arbeit, die gelegentlich in der Aktenausschöpfung konturenlos zu wuchern scheint, erleichtern könnten. Vor- und Nachteile der Umständlichkeit der Auseinandersetzung entsprechend den Akten (zahlreiche langwierige, nicht realisierbare Projekte) werden deutlich. Der Gewinn, ein respektables Mehr an Transparenz und Verständnis für das frühneuzeitliche System der Reichsverfassung, ist ohne Zweifel in summa eindrucksvoll. Das Register stellt eine Auswahl dar, allerdings so, daß man damit arbeiten kann. Am Anfang stören gelegentlich unschöne Wortwiederholungen. Einen Reichstag von Frankfurt 1653/54 (S. 223) hat es nicht gegeben.

Empfohlene Zitierweise:

Winfried Dotzauer: Rezension von: Axel Gotthard: Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, Teilband 1: Der Kurverein. Kurfürstentage und Reichspolitik, Teilband 2: Wahlen. Der Kampf um die kurfürstliche "Präeminenz", Husum: Matthiessen 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=378>

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