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Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München: C.H. Beck 1999, 459 S., ISBN 3-406-45335-X, DM 78,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 492-493)

Rezensiert von:
Konrad Fuchs

Drei die deutsche Geschichte bis in die Gegenwart hinein prägende Jahrhunderte werden durch den Verf. in seiner Darstellung behandelt. Unterteilt hat er sie in acht Abschnitte, die er mit den folgenden Überschriften versehen hat: "Deutschland vor 1495" (S. 9-32); "Komplementärer Reichs-Staat und deutsche Nation" (S. 33-54); "Das 16. Jahrhundert - Reformation und Konfessionalismus" (S. 55-131); "Deutschland um 1600 - Lähmung und Integration" (S. 132-149); "Das 17. Jahrhundert - Kriege und Frieden" (S. 150-233); "Deutschland um 1700 - Eigentum und Recht" (S. 234-244); "Das 18. Jahrhundert - Aufklärung und Machtstreben" (S. 245-346); "Fazit. Das Alte Reich als Staat der deutschen Nation" (S. 347-354). - Die Ausführungen sind an den folgenden Fakten orientiert: Das mittelalterliche deutsche Königtum war ein Wahlkönigtum, Wähler waren die Kurfürsten. Der Reichstag stellte eine beratende und beschließende Körperschaft aller weltlichen und geistlichen Fürsten sowie der freien Reichsstädte unter dem Vorsitz des Kaisers dar. Demgegenüber galt der Kaiser im Spätmittelalter nur noch als ein primus inter pares, dessen Macht praktisch lediglich soweit reichte, wie seine Hausmacht sich erstreckte. Die Reformation des 16. Jh. s förderte trotz der Türkengefahr die Aufspaltung des Reiches, da Karl V. seinen Sieg im Schmalkaldischen Krieg bei Mühlberg an der Elbe am 24. April 1547 nur zu einem geringen Teil politisch nutzen konnte. Seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 galt der Grundsatz cuius regio, eius religio. Die sog. Gegenreformation setzte ein mit dem Konzil von Trient (1545-63). Die Bildung der Protestantischen Union 1608 und der Katholischen Liga 1609 mündeten ein in den Dreißigjährigen Krieg, der als Religionskrieg begann und als politischer Machtkrieg mit dem Westfälischen Frieden von 1648, der die Ohnmacht des Reiches offenbar werden ließ, endete. Die Zeit nach 1648 war gekennzeichnet durch den Ausbau der Hausmacht seitens der jeweiligen Kaiser, die Türkenabwehr sowie die Auseinandersetzung mit Brandenburg-Preußen, die zum Dualismus bzw. zur Doppelherrschaft, d.h. dem Nebeneinander der beiden politischen Mächte Österreich und Preußen im Reich, führte. Begleitet war dieser Prozeß von der Aufklärung, einer Geistesbewegung, die Ernst Troeltsch als Beginn und Grundlage der eigentlich modernen Periode der europäischen Kultur und Geschichte im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden kirchlich und theologisch bestimmten Kultur charakterisiert hat. In ihrer deutschen Variante wurde die Aufklärung maßgeblich repräsentiert durch Leibniz, Wolff, Thomasius, Reimarus, Lessing, Moses Mendelssohn, Nicolai, Pestalozzi, Campe und Kant, die politischen Auswirkungen im aufgeklärten Absolutismus durch Friedrich II., Joseph II., Leopold II. sowie den Kurfürst-Erzbischof Max Franz von Köln. Nachhaltig bestimmte die Aufklärung das Staatskirchentum des späten Absolutismus, indem sie sämtliche Lebensäußerungen der Kirche als einer dem Staat unterstehenden Religionsgemeinschaft dessen Kontrolle unterwarf. Die teilweise erforderlichen Reformeingriffe des Josephinismus im kirchlichen Bereich, so die Klosteraufhebungen, die Pfarrorganisation, die Diözesanregulierung, die Einrichtung von Generalseminarien zur Klerusausbildung oder die Amortisationsgesetzgebung, zeigen hinreichend die sich aus der Wechselwirkung und dem Spannungsverhältnis von Aufklärung, Reformstreben, kirchlichem Beharrungsvermögen und religiösem Substanzverlust resultierende besondere Problematik von Staat und katholischer Kirche in der Neuzeit. Das Werk Sch.s in seiner Vielfältigkeit gebührend vorzustellen, übersteigt die Möglichkeiten, die eine Rezension bietet, bei weitem. Denn über die Faktenvermittlung hinaus bietet es eine ebenso tiefschürfende wie scharfsinnige Analyse der politischen, kulturellen und geistesgeschichtlichen, darüber hinaus der wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklung im Alten Reich von 1495 bis 1806, eingeordnet in das sie mehr denn weniger bedingende europäische Geschehen. Nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Diktion her steht es in der Tradition bester deutscher Geschichtsschreibung, die sich in Namen wie Karl Brandi, Willy Andreas, Franz Schnabel, Max Braubach und Fritz Wagner dokumentiert.

Empfohlene Zitierweise:

Konrad Fuchs: Rezension von: Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München: C.H. Beck 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=372>

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