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Martin Kügler: Pfeifenbäckerei im Westerwald. Die Geschichte der Pfeifenbäckerei des unteren Westerwaldes von den Anfängen um 1700 bis heute (= Werken und Wohnen. Volkskundliche Untersuchungen im Rheinland; Bd. 22), Köln: Habelt 1995, 423 S., ISBN 3-7927-1455-8, DM 56,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999)

Rezensiert von:
Wolfgang Herborn
Bonn

Nach dem gut einem halben Dutzend kleinerer Arbeiten, die Kügler bereits zur Geschichte der Pfeifenbäckerei verfaßte, hat er jetzt im Rahmen seiner Marburger Dissertation eine zusammenfassende Geschichte des Pfeifenbäckerhandwerks im Kannenbäcker Land vorgelegt. Die Arbeit ist in vier größere Kapitel eingeteilt. Im ersten, Grundlagen überschriebenen Kapitel umreißt Kügler zunächst den räumlichen und zeitlichen Rahmen seiner Untersuchung, geht auf die Forschungsgeschichte ein und erläutert sein Vorgehen. Neben den Quellen aus öffentlichen und privaten Archiven arbeitete er mit Tonbandinterviews von Angehörigen einzelner Werkstätten und Fabriken, fotografierte Bilddokumente von Arbeitsabläufen und Geräten und interpretierte sie. In einem zweiten Schritt schildert er die Entwicklung der europäischen Pfeifenbäckerei bis um 1700 und skizziert dann kurz die geologischen Voraussetzungen, insbesondere die Tonvorkommen, welche gleicherweise für die ältere Steinzeugtöpferei wie auch für die sich um 1700 neu etablierende Tonpfeifenbäckerei die Rohstoffbasis bildeten. Mit einem bis 1700 geführten Abriß der Geschichte der älteren Steinzeugtöpferei beendet er dann diesen ersten Teil.

Die beiden folgenden Kapitel sind chronologisch geordnet und behandeln das 18. sowie das 19. und 20. Jahrhundert. Im 18. stehen die Anfänge der Pfeifenbäckerei, ihr Aufstieg und die ersten Schwierigkeiten innerhalb des Gewerbes im Vordergrund. Kügler vermag vor allem überzeugend die Legende zerstören, daß sich die Pfeifenbäckerei aus der Kannenbäckerei entwickelt hat. Die Pfeifenbäcker haben sich seit 1700 eigenständig im Kannenbäckerland angesiedelt, wobei über ihre Herkunft noch keine genaueren Angaben gemacht werden können. Ihre Zahl ist anfangs gering gewesen und vorerst traten auch keine größeren Reibereien zwischen ihnen und den Kannenbäckern auf. Erst als um 1750/60 das Kannenbäckerhandwerk in eine Krise geriet und sich seine Vertreter auch der Tonpfeifenherstellung zuwandten, kam es zu einem starken, zahlenmäßigen Anstieg der Pfeifenbäcker, aber daraus resultierte auch ein scharfer Konkurrenzkampf untereinander. Diese Situation begünstigte den Übergang zum Verlagssystem, gegen dessen Auswüchse sich sowohl die wiedische und kurtrierische Verwaltung als auch die Pfeifenbäcker selbst durch Zunftgründung und Anlage eines Pfeifenmagzins wehrten, letztendlich allerdings mit geringem Erfolg. Gegen Ende des Säkulums kam es zu stärkeren Abwanderungen und zur Berufsaufgabe.

Im 19. Jahrhundert, dessen erste Hälfte quellenmäßig schlecht dokumentiert ist, setzte um 1850 ein langsamer Anstieg an Betrieben ein, wobei die Produktion der Pfeifen immer mehr in die neu entstehenden Fabriken, die über die nötigen internationalen Handelsbeziehungen verfügten, verlagert wurde. Viele der - vor allem im Ort Hilgert - konzentrierten Pfeifenbäckereien lebten von den Aufträgen der Fabriken; daneben hielten sich nur wenige kleinere Werkstätten, die ihre Waren selbständig vertrieben. Allerdings blieb die Rentabilität der Betriebe trotz hoher Absatzquoten gering. Für viele Pfeifenbäcker wurde ihr Gewerbe zur saisonalen Beschäftigung und sie mußten sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten umschauen. Ihr Schicksal ist quellenmäßig schwer zu erfassen. Die hohen Schutzzölle der USA (1892) verschütteten diesen Markt und, da die Erschließung neuer Märkte nicht gelang, war der Rückgang der Pfeifenbäckerei nicht mehr aufzuhalten, zumal auch der Bedarf an Tonpfeifen, aus denen man rauchen konnte, abnahm. Doch während die einstmals führenden niederländischen und englischen Pfeifenbäcker im Verlauf des 20. Jahrhunderts ihre Produktion weitgehend einstellten, blieb die kleine Gewerbelandschaft im südwestlichen unteren Westerwald bis heute noch das einzige Produktionsgebiet im deutschsprachigen Raum. Das hing zunächst mit der Mechanisierung seit 1920 zusammen, durch die es gelang, kostengünstigere Produkte auf den Markt zu bringen. Eine neue Marktlücke war dann in den 60er Jahren die industrielle Fertigung von einfachen, zum Rauchen ungeeigneten kleinen Tonpfeifen für die weihnachtlichen Weckmänner und Stutenkerle. Der Ausstoß von einfachen, qualitätsvollen, langstieligen Rauchpfeifen wurde dagegen wegen der sich ständig verringernden Nachfrage nur noch im bescheidenen Umfang gepflegt, und er dürfte wohl bald zum Erliegen kommen.

Das letzte, umfangreichste und für den Volkskundler interessanteste Kapitel befaßt sich mit der Produktion. Hier beschreibt Kügler die historischen Abläufe und die Produktionsformen sowie deren Wandel seit dem 17. Jahrhundert. Im einzelnen stellt er zunächst den Arbeitsplatz, sowohl im Haus wie in der Fabrik, die Pfeifenöfen und die Ausstattung des Arbeitsplatzes vor. In einem zweiten Teil befaßt er sich mit der Tongewinnung, den Pfeifenformen und -pressen sowie den Brennmaterialien. Ein weiterer Teil behandelt akribisch den Arbeitsablauf von der Tonaufarbeitung über das Erstellen der Rohlinge, der Ausformung der Pfeifen, dem Einsetzen in den Ofen, das Brennen selbst bis hin zur Entnahme aus dem Ofen und zum Verpacken der Ware. Ein kleines Kapitel widmet Kügler auch der Bedeutung der Innovationen. Zum Abschluß kommt er noch auf betriebswirtschaftliche Aspekte zu sprechen, wie Auftragbeschaffung und Absatz, das Warensortiment, die Kennzeichnung der Pfeifen sowie die Produktionskosten, Preise und Gewinne.

Drei Anlagen mit sorgfältig erstellten Listen der Pfeifenbäcker aus verschiedenen Regionen, eine Aufstellung von Holzmaßen sowie Gewichtseinheiten für Ton und ein Register runden das kartographisch und bildlich sehr gut dokumentierte Werk ab, mit dem die deutsche Forschung den Anschluß an die internationale niederländische und englische Pfeifenbäckerforschung gefunden hat. Das verdanken wir der abwägend urteilenden, sich nie ins Spekulative begebenden und klar der Grenzen der Aussagekraft von Quellen bewußten Arbeitsweise des Autors. Eine imponierende Leistung!

Empfohlene Zitierweise:

Wolfgang Herborn: Rezension von: Martin Kügler: Pfeifenbäckerei im Westerwald. Die Geschichte der Pfeifenbäckerei des unteren Westerwaldes von den Anfängen um 1700 bis heute, Köln: Habelt 1995, in: INFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=368>

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