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Heide Wunder / Christina Vanja (Hg.): Weiber, Menscher, Frauenzimmer. Frauen in der ländlichen Gesellschaft 1500-1800, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, 279 S., ISBN 3-525-01361-2, DM 39,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999)

Rezensiert von:
Sabine Allweier
Freiburg

Der von den Historikerinnen Heide Wunder und Christina Vanja herausgegebene Sammelband will Einblicke in die Komplexität der ländlichen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit geben. Innerhalb von drei thematischen Schwerpunkten Arbeit und Beruf, Öffentlichkeiten sowie Heimatlosigkeit und Fremdsein setzen sich 12 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen mit der vorgegebenen Thematik auseinander. Aus der Perspektive der Frauen- und Geschlechtergeschichte soll dabei die "Vielfalt der Lebens- und Handlungsmöglicheiten von Frauen" (S. 11) in der ländlichen Gesellschaft beleuchtet werden.

In ihrer Einleitung weisen die Herausgeberinnen darauf hin, daß sich in der Geschichtswissenschaft in den letzten 30 Jahren zu dem traditionellen Interesse an Politikgeschichte ein neues Verständnis von historischen Prozessen etabliert habe. Diese würden nun als Geschichte der Gesellschaft und der sozialen Beziehungen aufgefaßt und eröffnen dadurch neue Forschungsperspektiven. So rückte nicht nur die Stadt, sondern vor allem das Land, wo die meisten Menschen lebten und arbeiteten, ins Blickfeld. Das damit einhergehende Erkenntnisinteresse zielte auf den Wandel von der ländlichen zur modernen Gesellschaft. Frauen traten zunächst im Rahmen der Familienforschung auf, die historische Frauen- und Geschlechterforschung allerdings hätte an dieser Stelle vordringlich "die Bedeutung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern für die Strukturierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse betont" (S. 8-9). Der gegenwärtige Forschungsstand bezüglich der ländlichen Gesellschaft sei mehreren Disziplinen zu verdanken; als besonders anregend erwähnen die Herausgeberinnen die Analysen der Volkskunde, Ethnologie sowie der Sozialwissenschaften. Grundlegendes Strukturmerkmal, gleich, ob es sich um anthropologische, mikrohistorische, agrarische oder gewerbliche Studien handelt, sei die Geschlechterbeziehung (vgl. S. 9).

Die vier Beiträge zum ersten Schwerpunktthema Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert gehen vor allem der Frage nach, welchen Wert die Arbeit von Frauen besaß, welche Positionen Frauen innehatten und auf welche Weise sich die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern gestaltete. Das Spektrum der Themen erstreckt sich von der Lebenswelt von Amtsfrauen in hessischen Hospitälern über die vielfältigen Tätigkeiten von Hebammen bis hin zur Heimarbeit Vorarlberger Frauen. Den Veränderungen der Frauenarbeit in der Landwirtschaft am Beispiel des Weinbaus am Oberrhein im 15. und 16. Jahrhundert widmet sich Dorothee Rippmann. Ihre Überlegungen siedelt sie methodisch auf mehreren Ebenen an und erforscht einerseits Löhne und Preise, Konsumgewohnheiten und Produktionsverhältnisse, andererseits fragt sie nach dem spezifischen Erfahrungshorizont bestimmter Arbeitstechniken. Ausgehend von der These, daß bestehende Lohnverhältnisse Ausdruck hintergründiger Denkstrukturen und Wertungen sind, spürt sie den dahinterliegenden Mentalitäten nach.

Im zweiten Teil des Bandes mit dem Titel Im Lichte der Öffentlichkeit setzen sich die Autorinnen und Autoren mit unterschiedlichen Formen der Präsenz von ländlichen Frauen in der Öffentlichkeit auseinander. Zu finden sind hier Beiträge zu Sozialstatus und Selbstverständnis frühneuzeitlicher Frauen in der Mark Brandenburg, Rebellische Weiber in bäuerlichen Protesten des 18. Jahrhunderts sowie schimpfende Weiber, die in lippischen Beleidigungsprozessen zutage treten. Die Analyse des Weibergerichts zu Breitenbach zeigt exemplarisch die Konfrontation zwischen ländlichem Brauchtum und obrigkeitlichen Ordnungsvorstellungen. Am Beispiel des Nachtfreiens und dem Brauchrequisit der Brautkrone analysiert Silke Göttsch die traditionelle brauchtümliche Ordnung der ländlichen Welt des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie zeigt nachdrücklich, wie geschlechtsspezifische Verhaltensweisen definiert und aufeinander bezogen waren und unterschiedliche Sittlichkeitsvorstellungen zu Spannungen zwischen dörflicher und obrigkeitlicher Norm führten.

Das letzte Schwerpunktthema des Buches Fremd auf dem Land verdeutlicht die Vielfalt ländlichen Lebens in der Frühen Neuzeit. Fremde Frauen, die auf dem Land freiwillig oder gezwungenermaßen lebten, werden in drei weiteren Aufsätzen behandelt: Eine Fallstudie aus der Steiermark geht dem Lebenslauf einer nichtseßhaften Frau nach, deren Überlebensbasis die Mobilität darstellte. An zwei Beispielen hessischer Radikalpietistinnen wird in einem weiteren Beitrag den Motivationen von Frauen nachgegangen, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts freiwillig ihr bürgerliches Leben in ihrem Heimatort zugunsten eines Daseins in ländlichen Kommunen aufgaben. Zuletzt findet sich unter diesem Thema eine Studie über Gouvernanten, die als "Abgesandte städtischer Kultur" aufs Land kamen, um Kinder auf adligen Gütern zu erziehen.

Der schlagkräftige und zugleich attraktive Titel Weiber, Menscher, Frauenzimmer verweist auf Frauen verschiedenen Standes in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Die verheirateten Frauen nannte man Weiber, als Menscher bezeichnete man die unverheirateten Weibspersonen, Frauenzimmer waren die Frauen aus den gehobenen Ständen. Diesem programmatischen Titel folgen die Beiträge der Autorinnen und Autoren, die sowohl die sogenannten kleinen Leute als auch die oberen Stände berücksichtigen und somit dem Leser vor Augen führen, wie vielschichtig die ländliche Bevölkerung strukturiert war. Die außerordentliche thematische Bandbreite des Sammelbandes zeigt zudem in eindrucksvoller Weise die mannigfaltigen Lebens- und Handlungsmöglichkeiten von Frauen bei der Arbeit, in der Öffentlichkeit oder als Fremde auf. Ein Blick in die Fußnotenapparate der einzelnen Aufsätze beweist dabei, daß die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hauptsächlich mit Primärquellen und Archivalien arbeiteten. Daher entstanden keine bestätigenden Bilder vom romantischen Landleben, sondern die zahlreichen Beispiele lassen sowohl durch die Verwendung einer reichhaltigen Quellenbasis als auch durch ihre frauen- und geschlechtergeschichtliche Fragestellung ein differenziertes Alltagsleben von Frauen und Männern lebendig werden. Besonders deutlich wird dadurch, daß gerade auf die Frage nach der Geschlechterbeziehung nicht verzichtet werden kann.

Empfohlene Zitierweise:

Sabine Allweier: Rezension von: Heide Wunder / Christina Vanja (Hg.): Weiber, Menscher, Frauenzimmer. Frauen in der ländlichen Gesellschaft 1500-1800, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, in: INFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=365>

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