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Günter Dippold: Konfessionalisierung am Obermain. Reformation und Gegenreformation in den Pfarrsprengeln von Baunach bis Marktgraitz (= Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns; Bd. 71), Staffelstein: Bornschlegel 1996, 509 S., ISBN 3-9804630-0-1, DM 49,50

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 1999, S. 139-140

Rezensiert von:
Isolde Brunner-Schubert

Das Buch von Günter Dippold ist aus einer Bamberger Dissertation (Fakultät für Geschichts- und Geowissenschaften) hervorgegangen. Der Autor zeigt die Auswirkungen von Reformation und Gegenreformation auf das Leben der Bevölkerung eines überschaubaren Raumes. Die besonderen territorialen Gegebenheiten am Obermain, dazu das Engagement unerschrockener Verteidiger der lutherischen Reformation führten hier zu einer höchst brisanten Konstellation. Günter Dippold nutzte das daraus resultierende, vielschichtige Quellenmaterial, um ein inhaltsreiches, gut strukturiertes Werk zu erarbeiten. Das Untersuchungsgebiet umfaßt die Pfarrsprengel von Baunach, Ratteisdorf, Döringstadt, Altenbanz, Marktzeuln und Marktgraitz, Schney und Oberbrunn. Sie gehörten kirchlich zur Diözese Würzburg, weltlich - mit Ausnahme der ritterschaftlichen Lehen - zum Hochstift Bamberg. Die Grundherrschaft in den Dörfern übten weltliche und kirchliche Herren aus (z.B. die Klöster Banz und Michelsberg).

Im ersten Teil der Abhandlung zeichnet der Autor die Grundzüge der herrschaftlichen Religions- und Kirchenpolitik nach, beschränkt sich dabei aber nicht auf die Haltung der Fürstbischöfe von Bamberg und Würzburg, sondern analysiert auch die Politik der kirchlichen und ritterschaftlichen Mediatherren sowie der benachbarten Fürstenhäuser Sachsen und Brandenburg-Kulmbach (45-82). Es folgt die Darstellung des kirchlichen Lebens in den Pfarreien des Untersuchungsgebiets, wobei die Verhältnisse in vorreformatorischer Zeit und die reformatorischen Bewegungen (bis etwa 1590) aufgezeigt werden (83-131). Die Gegenreformation wurde in den bambergischen Dörfern von den jeweiligen bischöflichen Landesherren mit unterschiedlicher Intensität geführt und löste von Ort zu Ort unterschiedliche Reaktionen bei der Bevölkerung aus. Sie ist um 1660 beendet (132-248). Im zweiten Teil der Abhandlung wird das Verhalten der Untertanen im Verlauf der gegenreformatorischen Maßnahmen dargestellt. Der Autor konzentriert sich vor allem auf jene Orte, die sich den landesherrlichen Bestrebungen widersetzt haben. Er zeigt die Ursachen und Formen des Widerstands auf und ermittelt das soziale Umfeld der aktiv Beteiligten. In dieser detailliert aufgeschlüsselten Geschichte des Widerstands tritt deutlich das religiöse Motiv als Antriebskraft in Erscheinung (249-371). Im Anhang sind Kurzbiographien der Geistlichen des Untersuchungsgebiets für die Zeit von 1500-1650 zusammengestellt (372-437). Gesondert hervorgehoben wird das Leben des Notars Kilian Schauer, der als überzeugter Anhänger der neuen Lehre zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Widerstand gegen die landesherrliche Religionspolitik organisierte. Seine "Historische Erzehlung" schildert den Verlauf der Gegenreformation aus der Sicht der Betroffenen (438-472). Ein zwölfseitiges, eng bedrucktes Personenregister und ein Ortsregister erschließen das Werk (489-509). Anhand eines vielschichtigen Quellenmaterials entfaltet der Autor dank präziser Analysen ein ungemein reiches Bild von den Lebensbedingungen der Menschen am Obermain während einer Periode von etwa 150 Jahren.

In den 1520er Jahren breitete sich die reformatorische Bewegung lutherischer Prägung im Untersuchungsgebiet aus. Welche Ereignisse zum Aufleben des Protestantismus führten, ist nicht völlig zu klären. Gewiß begünstigte die protestantische Besatzungsmacht Brandenburg-Kulmbach nach dem Markgräflerkrieg (1552/53) die Ausbreitung der neuen Lehre. Katholische Pfarrer wurden vertrieben und evangelische an ihre Stelle gesetzt. Die niederadligen Patronatsherren lösten die Bindung an den Würzburger Bischof wohl erst, als ihnen der Augsburger Religionsfriede 1555 das jus reformandi zugestand (Pfarreien Schney und Oberbrunn). Die altkirchliche Obrigkeit reagierte auf die neuen Verhältnisse zunächst relativ unentschlossen. Selbst Domherren setzten in ihren Pfarreien bisweilen evangelische Geistliche als Verweser ein. Evangelische Pfarrer wurden von der weltlichen Obrigkeit toleriert. Die meisten von ihnen bewegten sich im Rahmen der altkirchlichen Organisationsstrukturen, zahlten ihre Steuern und vermieden wohl den Konflikt mit den Altgläubigen. Erst um das Jahr 1590 begann der Bischof von Bamberg als Landesherr mit gegenreformatorischen Maßnahmen gemäß dem jus reformandi. Ihren äußeren Ausdruck fanden diese Maßnahmen zunächst in der Vertreibung der evangelischen Geistlichen. Katholische Geistliche konnten aber häufig nicht an ihrer Stelle eingesetzt werden, weil die Bewohner der Pfarrgemeinde den Vertretern der Obrigkeit den Zugang zur Kirche - teils mit Waffengewalt - verwehrten. Wenig Probleme bereiteten die Pfarreien Baunach, Altenbanz und Ratteisdorf den Katholisierungsbestrebungen der Landesherren. Ganz anders verhielten sich die Bewohner der Pfarreien Marktgraitz und Marktzeuln. Sie inszenierten, unter Führung von Johann Schauer, dem Bruder des oben genannten Kilian, einen Aufruhr gegen die angeordnete Konversion. Die Protestanten von Döringstadt hatten gar Erfolg mit einer Klage beim Reichskammergericht: Per Mandat wurde dem katholischen Landesherrn vorgeschrieben, den Nicht-Konversionswilligen mehr Zeit bis zur geforderten Emigration (in benachbarte evangelische Territorien) einzuräumen. Ab 1609 ist es vor allem dem Engagement Kilian Schauers zuzuschreiben, daß die Klagen der Pfarreien Marktgraitz, Marktzeuln und Döringstadt in Speyer vorgetragen wurden. Teilerfolge bei Gericht verzögerten nicht nur die obrigkeitlichen Katholisierungsbestrebungen. Sie stärkten auch das Selbstbewußtsein der evangelischen Untertanen. Überdies fühlte sich der renitente Teil der Bevölkerung durch die unmittelbare Nachbarschaft der evangelischen Herrscherhäuser von Sachsen-Coburg und Brandenburg-Kulmbach in seinem Widerstandswillen bestärkt. Bambergische Untertanen wandten sich an evangelische Fürsten in der Hoffnung, diese würden beim Bamberger Fürstbischof um Verständnis für die Anhänger der lutherischen Lehre bitten.

Tatsächlich lag einer der Gründe für die (zeitweilige) Zurückhaltung Bambergs bei der Durchführung der Gegenreformation in dem Bedürfnis, Konflikte mit den benachbarten evangelischen Herrscherhäusern zu vermeiden. Wenn sich Teile der Bevölkerung immer wieder den gegenreformatorischen Bestrebungen entziehen konnten, so lag das aber auch in der mangelnden Durchsetzungskraft der katholischen Obrigkeit begründet. Nicht nur die Trennung von Landesherrschaft und Kirchenregiment, auch die für Franken typische Gemengelage von katholischen und evangelischen Grundherren in ein und demselben Dorf erschwerten den Vollzug des von Bamberg für seine Untertanen beanspruchten Jus reformandi. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts gingen die Bischöfe jedoch immer häufiger mit Gewalt gegen unbeugsame Protestanten vor. 1624 wurde beispielsweise Marktzeuln zerstört, die Bewohner schwer mißhandelt - von Männern benachbarter Orte, die der bischöfliche Landesherr als Streitmacht requiriert hatte. Gewaltanwendung, Einquartierungen und Gefangennahmen bewirkten schließlich, daß viele Protestanten konvertierten, indem sie nach katholischem Ritus die Beichte ablegten und die Kommunion sub una specie empfingen. Doch setzten sich die Konvertierten häufig dem Spott und den Beleidigungen, wenn nicht gar tätlichen Angriffen ihrer evangelisch gebliebenen Nachbarn aus, was wiederum zu Unruhen im Ort führte. Vielfach wurde die Konversion wieder rückgängig gemacht. Frauen und Kinder konvertierten häufig gar nicht. Bemerkenswert ist, daß Frauen selbst auf obrigkeitlichen Druck hin, etwa Gefangennahme, entschiedener am evangelischen Glauben festhielten als Männer. Immer haben auch Frauen, bewaffnet mit allerlei Gerätschaften, bei Zusammenrottungen mitgewirkt, um beispielsweise Vertreter der Obrigkeit durch ihre offensichtliche Gewaltbereitschaft daran zu hindern, einen katholischen Pfarrer im Ort zu installieren. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts aber ging Bamberg mit größerer Entschlossenheit vor, den Konfessionswechsel oder den Abzug seiner Untertanen zu erzwingen. Um sich der Konversion zu entziehen, die Emigration aber erträglich zu machen, wohnten manche Protestanten in benachbarten evangelischen Territorien, von wo aus sie ihre Felder im bambergischen Heimatort bewirtschafteten, ja bisweilen sogar ihre im angestammten Haus verbliebenen Kinder aufsuchten und versorgten. Im Dreißigjährigen Krieg stärkte der Einfall der Schweden (im Untersuchungsgebiet ab 1631) zunächst die Position der Protestanten. Nach dem Westfälischen Frieden setzte sich jedoch die katholische Landesherrschaft endgültig durch. "Die Untertanen gaben ihren Ungehorsam und Widerstand auf, wenn die Obrigkeit längere Zeit konsequent vorging, wenn der Pfarrer es verstand, den katholischen Glauben gut zu vertreten, wenn Hilfe von außen, durch evangelische Fürsten und durch das Reichskammergericht, ausblieb - um nur drei Elemente zu nennen." (371) Am Ende stand die Annahme des katholischen Glaubens oder der Abzug aus dem Hochstift - aber auch das galt nicht für alle Bewohner des Untersuchungsgebiets. In zwei Filialorten der Pfarrei Marktgraitz, Schwürbitz und Michelau, lebten weiterhin auch auf den bamber-gischen Lehen Protestanten. Die Michelauer besuchten den Gottesdienst in der evangelischen Pfarrei Schney, wo sie auch kommunizierten. Taufen, Trauungen und Bestattungen vollzog jedoch der (katholische) Pfarrer von Marktgraitz in der (katholischen) Kapelle von Michelau.

Das Bild vom Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertan wird um viele Facetten erweitert. Der Autor zeigt die selbstbewußte Kontaktaufnahme von Bewohnern kleiner Landgemeinden über die Territorialgrenzen hinweg mit Vertretern der Obrigkeit nicht nur in Coburg oder Speyer, sondern beispielsweise auch bei der Versammlung der Union 1611 in Rothenburg. Ein weitverzweigtes Netz von Beziehungen der evangelischen Glaubensbrüder überbrückte kurzzeitig Standesgrenzen. Daraus wiederum resultierte das selbstbewußte Taktieren, oft ein hinhaltendes Feilschen mit dem bischöflichen Landesherrn, dem bisweilen geradezu absurde Vorschläge unterbreitet wurden. Deutlich nachvollziehbar wird dabei die allmähliche Abgrenzung der Konfessionen als ein Prozeß mit vielen Zwischenstufen, die wir aus heutiger Sicht als interkonfessionelle Mischformen bezeichnen. G. Dippold kann in seiner präzisen und anschaulichen, niemals aber langatmigen Mikrostudie ein breites Spektrum von Lebensbedingungen während einer Periode tiefgreifendster Veränderungen beleuchten. Er zeigt Strategien der Alltagsbewältigung vor allem von widerständigen Dorfbewohnern, die, selbst gewaltbereit, schließlich im Endstadium der Gegenreformation den Gewaltakten der Obrigkeit unterlagen. Der Autor beschreibt aber auch die Lebensumstände von Beamten, die höchst selten die Erwartungen der Untertanen mit den Forderungen ihrer Vorgesetzten in Einklang bringen konnten und letztlich den Angriffen von beiden Seiten ausgesetzt waren. In einer ähnlichen Situation befanden sich auch die meisten katholischen Priester. Das materialreiche Werk bietet wertvolle Grundlagen für weiterführende Forschungen. Die vielen Quellenzitate ermöglichen Rückschlüsse auf Art und Inhalt des Denkens sowie auf die Gefühlslage der Bewohner eines klar umrissenen Untersuchungsgebiets (und der Kontaktpersonen in den benachbarten Regionen). Unter volkskundlichem Aspekt ließe sich u.a. die Mentalität der Menschen in dieser besonderen geographischen und historischen Situation noch genauer erfassen. Schließlich wurde während dieser Umbruchszeit voller Widersprüchlichkeiten die kulturelle Vielfalt Oberfankens entscheidend geprägt.

Empfohlene Zitierweise:

Isolde Brunner-Schubert: Rezension von: Günter Dippold: Konfessionalisierung am Obermain. Reformation und Gegenreformation in den Pfarrsprengeln von Baunach bis Marktgraitz, Staffelstein: Bornschlegel 1996, in: INFORM 1 (2000), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=343>

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