sehepunkte 24 (2024), Nr. 2

Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Der Jansenismus im deutschsprachigen Raum, 1670-1789

Wer zum Aufgeklärten Absolutismus der Habsburgermonarchie forscht, dem ist der Jansenismus, eine nach Cornelius Jansen (1585-1638) benannte religiöse Reformbewegung, ein Begriff. Während aber sein Einfluss auf die österreichischen Erbländer einigermaßen gut aufgearbeitet wurde, fehlt es an Gesamtdarstellungen und Fallstudien für den deutschen Raum. Hier macht der vorliegende Band immerhin einen Anfang. Die Beiträge im Sammelband "Der Jansenismus im deutschsprachigen Raum, 1670-1789. Bücher, Bilder, Bibliotheken" betrachten in Distanzierung von den dominierenden theologischen Fragestellungen den Jansenismus im Kontext einer modernen kulturgeschichtlich inspirierten Buch- und Zensurforschung.

Den Auftakt macht der in der Katholischen Aufklärung versierte Kirchenhistoriker Harm Klueting mit einem nützlichen forschungsgeschichtlichen Überblick zur deutschen Jansenismus-Forschung ab ca. 1900. Interessant erscheint vor allem im Abschlusskapitel die resümierende Darstellung der Forschungstrends der letzten 30 Jahre: Zum einen stießen Frauen-Biographien auf reges Interesse, zum anderen die interkonfessionelle Wahrnehmung des Jansenismus. Dem folgend betrachtet Volker Kapp die französische, deutsche und italienische Jansenismus-Rezeption im 18. Jahrhundert durch Analyse einschlägiger Enzyklopädie wie das französische "Dictionnaire historique et critique" von Pierre Bayle oder die deutsche "Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste" von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber. Diese Nachschlagewerke stellen ein durch Digitalisierung mittlerweile leicht zugängliches Zeitzeugnis für den nationalen Entwicklungsverlauf im Jansenismus-Streit dar. Der Vergleich lässt außerdem wertvolle Rückschlüsse über die Arbeits- und Denkweise der beteiligten Autorinnen und Autoren zu: Wortgleiche Neuauflagen waren eher die Ausnahme als die Regel, da die Inhalte der Artikel von den Herausgebern stets überarbeitet wurden, d.h. sie bilden jeweils die zeitaktuellen Standpunkte sowie Debatten rund um den Jansenismus ab. Das nahezu unerforschte Druckmedium "Wiener Kirchenzeitung", welches in den Jahren von 1784 bis 1789 erschien, wertet Juliette Guilbaud aus. Dabei erkennt sie, dass der Chefredakteur und Priester Marx Anton Wittola nicht - wie allgemein angenommen wird - nur das französische Periodikum "Nouvelles Ecclésiastiques" wortgleich kopierte, sondern die "Wiener Kirchenzeitung" in mehrjähriger Auseinandersetzung mit dem jansenistischen Gedankengut seiner Zeit zu einem Bollwerk für den josephinischen Reformkatholizismus machte. Den Netzwerken zur Verbreitung von "Jansenitica" im Böhmen des frühen 18. Jahrhunderts wendet sich Mona Garloff zu. Nürnberger Verleger wie der exemplarisch untersuchte Franz Anton Graf Sporck fanden dort mit dem von ihnen bis zu einem Drittel billiger als die Prager Konkurrenz produzierten religiösen Druckgut riesige Absatzmärkte vor. Unvermutet für den Rezensenten attestiert Garloff als Antrieb für den Nürnberger Buchhändler nicht etwa finanzielle Motive: "Es ging Sporck vor allem um die Förderung der frommen Lektüre und Vermittlung erbaulicher Inhalten." (126)

Das Wechselverhältnis von Jansenismus und Pietismus erörtern die Beiträge von Christoph Schmitt-Maaß, Mathis Leibetseder, Corinne Bayerl und Silvia Schmitt-Maaß: Während ersterer die starke Verbreitung jansenistischer Literatur innerhalb pietistischer Netzwerke im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts nachweisen kann, erhält man im Beitrag von Leibetseder einen seltenen Einblick in die jansenistische Kulturmetropole Paris um 1731/32. Dazu wurde das Reisetagebuch zweier pietistischer junger Grafen auf Grand-Tour durchgesehen, woraus die folgende Absicht ersichtlich wird: Durch Konfrontation mit jansenitischer Literatur, Heiligenverehrung und dergleichen wollte Abbé Ferrus zwei heranwachsende und damit potentiell beeinflussbare Adelige für das jansenistische Gedankengut einnehmen, um es über sie als Mittler an die deutschen Höfe zu transportieren. Corinne Bayerl wiederum nimmt die Ähnlichkeiten zwischen Jansenismus und Pietismus anhand theaterkritischer Traktate und ihren Gegenschriften um 1700 in den Blick, wobei der sogenannte Quietismus vermittelnd zwischen beiden interagierte. Silvia Schmitt-Maaß ermittelt in ihrer kunsthistorischen Studie über das sogenannte "jansenistische Kruzifix", dass diese Frömmigkeitspraxis im Umkreis der zum Katholizismus übergetretenen Kaiserin Marie Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel praktiziert wurde. Insofern verstanden sich einige Vertraute der Kaiserin als elitärer religiöser Zirkel, da die Anbetung dieses Kreuzes mit den Händen auf dem Kopf implizierte, dass ausschließlich Auserwählten die ersehnte Erlösung zufalle.

Der Sammelband schließt passenderweise mit der Behandlung der "letzten Manifestation der jansenitischen Bewegung in Europa" (Peter Hersche), der Synode von Pistoia 1786. Die toskanischen "atti e decreti", so der Autor Shaun L. Blanchard, wurden im deutschen Raum vielfach rezipiert und beflügelten deutsche Kirchenreformen.

Abseits der traditionellen Fragestellungen aus Religions- und Kirchengeschichte inspiriert der von Christoph Schmitt-Maaß herausgegebene Sammelband dazu, den Jansenismus unter neuen Perspektiven zu betrachten, woraus Rückschlüsse für gesellschaftliche Entwicklungen und den Kulturtransfer zwischen den europäischen Ländern im Zeitalter der Aufklärung gewonnen werden können.

Rezension über:

Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Der Jansenismus im deutschsprachigen Raum, 1670-1789. Bücher, Bilder, Bibliotheken (= Frühe Neuzeit. Edition Niemeyer; Bd. 250), Berlin: De Gruyter 2023, VIII + 233 S., 12 Farb-Abb., ISBN 978-3-11-079695-7, EUR 89,95

Rezension von:
Julian Lahner
Naturns
Empfohlene Zitierweise:
Julian Lahner: Rezension von: Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Der Jansenismus im deutschsprachigen Raum, 1670-1789. Bücher, Bilder, Bibliotheken, Berlin: De Gruyter 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 2 [15.02.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/02/38322.html


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