sehepunkte 24 (2024), Nr. 2

Stephanie Decker: Postcolonial Transition and Global Business History

Dekolonisierung ist in aller Munde - als Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit. Aber auch der welthistorische Prozess der Auflösung der Kolonialreiche gerät wieder vermehrt in den Blick der Historikerinnen und Historiker. Die neuere Forschung interessiert sich vor allem für nichteuropäische Politiker, Aktivisten sowie Intellektuelle und ihre Pläne für eine gerechtere Welt nach den Imperien. [1] Stephanie Decker jedoch untersucht einen mit weniger Pathos und Nostalgie verbundenen Aspekt, der aber mindestens ebenso wichtig für die Entstehung unserer heutigen Welt ist: Sie analysiert, wie britische Firmen in Ghana und Nigeria nach der Unabhängigkeit von Kolonialunternehmen zu multinationalen Konzernen wurden.

In fünf inhaltlichen Kapiteln beschreibt Decker einen langen Dekolonisierungsprozess, der von circa 1945 bis in die 1970er Jahre andauerte und den sie als "postcolonial transition" (5) bezeichnet. Diese Jahrzehnte waren in Ghana und Nigeria geprägt durch eine "fusion of anti-colonial and nationalist sentiment with demands for economic asset redistribution" (8). Die anstehende Unabhängigkeit der beiden westafrikanischen Staaten forderte die Kolonialunternehmen heraus: Sie waren den neuen afrikanischen Eliten sowie der Bevölkerung ein Dorn im Auge und galten als neokoloniale Agenten. In diesem Kontext, so Deckers zentrale These, versuchten die früheren Kolonialunternehmen, ihrem Geschäft Legitimität zu verleihen und es so in die neue Epoche hinüberzuretten. Hier greift die Unternehmenshistorikerin auf ein Konzept aus den Management Studies zurück: die Frage nach der Legitimation von Unternehmen.

Als Fallbeispiele dienen Decker das wirtschaftspolitisch konservative Nigeria und das stärker mit Alternativen experimentierende Ghana. Die untersuchten Firmen, deren Archive die Autorin nutzen konnte, sind die Bank of British West Africa (Standard Bank of West Africa), Barclays Bank DCO (Barclays Bank International), United Africa Company (UAC), John Holt & Co. und die Ashanti Goldfields Corporation. Wer diese Firmen, ihre Geschäfte und Geschichte nicht kennt, dem hilft dieses Buch nicht auf die Sprünge. Generell setzt es Akteure und politische Ereignisse als bekannt voraus. Dies macht die Lektüre zum Teil etwas mühsam.

Decker zeigt, dass die Firmen sich im Dekolonisierungsprozess zu legitimieren versuchten, indem sie sich das Konzept der Entwicklung, das die Kolonialregierungen ab den 1940er-Jahren vorantrieben, zu Eigen machten: Handelsunternehmen stellten ihr Geschäftsmodell vom Einzel- und Rohstoffhandel auf Großhandel und industrielle Fertigung um, Banken vergaben zunehmend Kredite an Afrikanerinnen und Afrikaner. Indem sie an der Entwicklung der Kolonien mitarbeiteten, versuchten die Firmen, ihre Geschäfte gegenüber der afrikanischen Bevölkerung und der Kolonialregierung zu rechtfertigen. Nach der Unabhängigkeit gelang es den Firmen, sich den neuen Regierungen Ghanas und Nigerias weiterhin als Entwicklungspartner anzubieten.

Als Ende der 1960er Jahre der Entwicklungskonsens aufbrach, galt die Präsenz westlicher Unternehmen in ehemaligen Kolonien als schädlich. Nigeria und Ghana begannen, die Firmen stärker unter Kontrolle zu bringen. Decker argumentiert aber, dass die Gesetze zur Nationalisierung nicht, wie meist behauptet, dazu dienten, ausländische Investitionen zu kontrollieren, denn in der Praxis waren die Maßnahmen wenig durchschlagend. Vielmehr hätten die Regierungen von Ghana und Nigeria die Geschäfte westlicher Unternehmen beschränkt, weil sie den in dieser Zeit diskutierten dependenztheoretischen Überlegungen gefolgt seien. Decker zeigt, dass sich die Nationalisierungsgesetze anfangs vor allem gegen Inder, Libanesen und afrikanische Migranten richteten, um bestimmte Wirtschaftsbereiche für Nigerianer oder Ghanaer zu reservieren. Nur in wenigen Sektoren wurden tatsächlich ausländische Unternehmen verstaatlicht. Meist sorgten die Gesetze lediglich dafür, dass ausländische Konzerne ihre Firmen vor Ort inkorporierten und "indigenisierten" - also afrikanische Anteilseigner gewannen. Dies war für viele Firmen kein Problem. Es gelang ihnen, ihren Einfluss durch Allianzen mit lokalen Eliten oder rechtliche Tricks zu bewahren und gleichzeitig ihre Legitimität zu erhöhen. Die Nationalisierungsgesetze aber bloß als Reaktion auf international populäre Theorien zu erklären, ist ein waghalsiges Argument. Es blendet die Interessen afrikanischer Akteure und reale Machtverhältnisse aus.

Eine weitere Strategie mit dem Ziel der Einflusssicherung, so Decker, war die Einstellung afrikanischer Manager. Aber nur langsam ersetzten alle Firmen seit der späten Kolonialherrschaft ihre europäischen durch afrikanische Mitarbeiter: Einerseits fehlten gut ausgebildete Afrikanerinnen und Afrikaner, andererseits bremsten rassistische europäische Manager diese Entwicklung. Diese trauten afrikanischen Kollegen häufig nicht zu, die Geschäfte zu führen oder zweifelten an ihrer Loyalität. Hier gab es Unterschiede zwischen verschiedenen Firmen. UAC etwa brachte Afrikaner vergleichsweise schnell in führende Positionen. Andere, wie die Banken, versuchten die etablierten Machtstrukturen zu konservieren und blähten ihr Management stark auf, sodass Afrikaner auch in hohen Positionen wenig Einfluss besaßen.

Deckers Argument, dass die Unternehmen Legitimierungsstrategien entwickelten, um ihr Geschäft weiterführen zu können, erscheint schlüssig. Jedoch bleibt unklar, ob dies auch die Perspektive der Akteure selbst war. Denn der Ansatz aus den Management-Theorien führt dazu, dass die Unternehmen eine Blackbox bleiben. Decker hat zwar Zugriff auf die Archive der Firmen. Interne Entscheidungsprozesse zeichnet sie aber nicht nach. Auf diese Weise erscheinen die Strategien der Unternehmen zwangsläufiger und alternativloser, als sie es in der Realität wahrscheinlich waren. Dasselbe gilt für politische Entscheidungen afrikanischer Regierungen. Generell spielen Individuen und Interessen (zumal divergierende) für Deckers Analyse keine Rolle. Die wenigen namentlich genannten afrikanischen und europäischen Akteure bleiben blass. Zudem bewegt sich Decker lediglich auf den Kommandohöhen der Wirtschaft. Geschäftsalltag, Verantwortung und Spielraum europäischer oder afrikanischer Manager, ja überhaupt das Wirtschaften im spät- und postkolonialen Nigeria und Ghana geraten nicht in den Blick. Eine Geschichte des alltäglichen Geschäfts multinationaler Unternehmen im Kontext der Dekolonisierung bleibt daher ein Desiderat.

Das Buch hätte zudem von einem stärkeren Lektorat profitiert. So liest sich Kapitel 2 wie eine Zusammenfassung der in den nachfolgenden Kapiteln 3 und 4 noch einmal genauer dargestellten Erkenntnisse. Ein Ärgernis ist die Beschriftung einiger Grafiken, deren Legenden ein Geheimnis von Autorin, Verlag und Lektoren bleiben (123-124). Nichtsdestotrotz hat Decker eine wichtige Studie zur ökonomischen Dekolonisierung vorgelegt. Mithilfe des Begriffes der "postcolonial transition" verbindet sie die Reaktionen der Kolonialunternehmen auf die Unabhängigkeit afrikanischer Staaten und die verschiedenen postkolonialen Nationalisierungsprojekte der 1970er Jahre auf fruchtbare Weise.


Anmerkung:

[1] Vgl. etwa Adom Getachew: Worldmaking after Empire: The Rise and Fall of Self-Determination, Princeton / Oxford 2018.

Rezension über:

Stephanie Decker: Postcolonial Transition and Global Business History. British Multinational Companies in Ghana and Nigeria, London / New York: Routledge 2023, 198 S., ISBN 978-0-367-42810-5, GBP 120,00

Rezension von:
Tristan Oestermann
Humboldt-Universität zu Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Tristan Oestermann: Rezension von: Stephanie Decker: Postcolonial Transition and Global Business History. British Multinational Companies in Ghana and Nigeria, London / New York: Routledge 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 2 [15.02.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/02/37963.html


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