sehepunkte 23 (2023), Nr. 1

Ulrich Maximilian Schumann (Hg.): Georg Moller

Georg Moller, einer der wichtigen Architekten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, wirkte in Darmstadt als Hof- und Oberbaudirektor. Während seiner Amtszeit verwandelte er Darmstadt zu einem zeitgemäßen klassizistischen Residenzort - ähnlich der Tätigkeit seines Lehrers Friedrich Weinbrenner in Karlsruhe. Mollers Œuvre setzt sich aus unterschiedlichsten Bauprojekten zusammen. In Darmstadt entstanden nach seinen Entwürfen die Ludwigskirche, das Hoftheater, das Neue Kanzleigebäude, das Haus der Vereinigten Gesellschaft sowie zahlreiche Bürgerhäuser und Villen. Zu seinen innovativen Schöpfungen zählte die Ostkuppel des Mainzer Domes, die Moller als Pionier auf dem Gebiet früher Eisenskelett-Konstruktionen auswies. Auch das Mainzer Theater mit seiner halbkreisförmig vortretenden Hauptfassade ist als Beitrag von großer Strahlkraft zu bewerten. Kubatur und Grundrissbildung wirkten stilbildend auf die Theaterbauten Gottfried Sempers. Unter den wenigen unversehrt erhaltenen Werken Georg Mollers ist vor allem das Wiesbadener Stadtschloss zu nennen, das mit seinen reich ausgestatteten Interieurs unmittelbare Einblicke in Mollers Schaffen gewährt. Abgesehen vom Wiesbadener Stadtschloss und einigen Landkirchen gingen durch Kriegseinwirkung die meisten seiner gebauten Werke verloren. Besonders tragisch ist die Tatsache zu bewerten, dass mit dem Bombenangriff auf Darmstadt in der Nacht vom 11. zum 12. September 1944 weite Teile seines Nachlasses verbrannten.

Die erste Moller-Biographie mit Werkkatalog stammt aus dem Jahr 1959 und wurde von Marie Frölich und Hans-Günther Sperlich verfasst. Frölich und Sperlich konnten u.a. das in der Sammlung Buxbaum fotografisch überlieferte Zeichnungsmaterial und die 230 Einzelzeichnungen der Bamberger Mappe auswerten und einen Werkkatalog nach dem damaligen Forschungsstand erarbeiten. Bis heute ist das Werk von Frölich und Sperlich ein Ausgangspunkt in der Beschäftigung mit Georg Moller. Als ein besonderer Schatz in der Überlieferung zu Georg Moller ist darüber hinaus die bislang nur sporadisch beachtete Briefesammlung im Merckschen Archiv zu nennen. Sie enthält Briefe an Moller unterschiedlichster Provenienz.

Mit der nun erschienenen Edition der Briefe an Georg Moller aus dem Nachlass im Merck-Archiv gelingt es Ulrich Maximilian Schumann, einen neuen quellenbasierten Zugang zu Mollers Wirken zu eröffnen. Die von Schumann vorgenommene Auswahl von 157 Einzelbriefen bietet facettenreiche, subtile und zugleich konkrete Einblicke in Mollers Werk und Umfeld. Dabei erstaunt die illustre Schar an bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen Moller offenbar in regem Austausch stand. Ein persönlicher Kontakt bestand zu prominenten Akteuren der Zeit, wie z.B. dem Staatsmann Freiherr vom Stein (Vermittlung eines Gemäldes von J. A. Koch) und Fürst Clemens von Metternich (Umbau von Gut Johannisberg bei Geisenheim), dem Wirtschaftspolitiker David Hansemann oder dem Naturwissenschaftler Justus Liebig (Bau eines Laboratoriums in Gießen).

Während zahlreiche Briefe Angelegenheiten zwischen Bauherren und Architekten betreffen, finden sich da und dort schlaglichtartige Äußerungen zu den maßgeblichen Bauprojekten der Zeit. So erregte sich Mollers Kommilitone Heinrich Hübsch über die "bis ins Kindische gehende Goldsucht" der königlichen Bautätigkeit in der bayerischen Residenzstadt München, welche auch von anderen Architekten der Zeit, wie z.B. Gottfried Semper, damals offen kritisiert wurde. Angesichts der programmatischen Stilvielfalt im Werk der Münchner Architekten Klenze und Gärtner ließ sich Hübsch gar zu dem Vorwurf hinreißen, in München würde "mit den verschiedensten Stylen wahrhaft Unzucht getrieben". Ähnlich ablehnend klingt die Kritik des Moller-Schülers Christoph Riggenbach am Kasseler "Weißen Palais", das Johann Conrad Bromeis für Kurfürst Wilhelm II. von Kurhessen bis 1821 umgebaut hatte.

Für Moller war nach Schumann die Verwurzelung in der "badischen Kulturszene" um Friedrich Weinbrenner maßgeblich, der als Lehrer auf Mollers Schaffen größten Einfluss nahm und in seinem Werk nach Schumann "Sachlichkeit, Natürlichkeit und Offenheit" propagierte. Unter der Kollegenschaft belegen die Briefe freundschaftliche Beziehungen zu August Stüler, während mit Ludwig Persius und Leo von Klenze vornehmlich ein fachlicher Austausch stattfand.

Als wichtigen Aspekt in Georg Mollers Netzwerk beschreibt Schumann die engagierte Mitwirkung an einer im Entstehen begriffenen Wissensgesellschaft mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Themen zwischen Kunst und Technik. Mit dem Rückzug auf sachorientierte Themen unternahmen die Protagonisten des Netzwerkes nach Schumann "einen Schritt in Richtung Normalität und Bürgerlichkeit, womit man sich umso klarer von einer abgehobenen Inszenierung der eigenen Person durch Prunk und wechselnde Stilkleider absetzte". Schumann vermutet weiterhin, dass Moller einer "Vereinnahmung und Instrumentalisierung des Bauens zu symbolischen Zwecken" kritisch gegenüberstand und einen bewussten Umgang mit Räumen, Funktionen, Materialien, Techniken und Traditionen - ähnlich der Auffassung Weinbrenners - intendierte. Diskrepanzen bestanden auch gegenüber der Berliner Bauschule mit ihrer romantischen Tendenz zum Malerischen, wie einem Schreiben Ernst Schulzes an Georg Moller zu entnehmen ist, obgleich man sich für bautechnische Aspekte stark interessierte.

Offensichtlich nahm Moller zwischen den verschiedenen Kunst- und Bauschulen eine Vermittlerrolle ein, um einen Austausch über ideologische Grenzen hinweg zu ermöglichen. Mollers Tätigkeit in Darmstadt scheint hierfür notwendige geistige Freiräume für die Weiterentwicklung eines vielgesichtigen Verständnisses von Architektur geboten zu haben. Aufgrund des Ansehens, das Moller nachweislich in Fachkreisen erfuhr, lehnt Schumann die in der bisherigen Literatur gelegentlich formulierte Auffassung ab, Mollers Talent habe nur zu einer Stellung an einem großherzoglichen, nicht aber an einem königlichen Hof genügt.

Dem Vorwurf der Provinzialität ist vor allem seine Reisetätigkeit gegenüberzustellen. Hervorzuheben ist der Studienaufenthalt in Italien 1807, eine Reise nach Paris 1827 und ein Aufenthalt um 1830 in England sowie die ihm 1834 zugetragene Mitgliedschaft im Royal Institute of British Architects. Auch die für Georg Moller nachzuweisenden familiären Verbindungen zu hochgestellten Persönlichkeiten lassen einen auf Weltoffenheit und Mobilität gerichteten Horizont erkennen. Sein Halbbruder Ernst Moller war Ehrenmitglied in der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden. Mollers Neffe Friedrich Maximilian Hessemer bereiste als einer der ersten deutschen Architekten 1829/30 Ägypten. Bemerkenswert ist, dass der Ehemann von Mollers Tante, Georg Wedekind, 1793 Präsident des Mainzer Jakobiner-Clubs war und trotz seiner revolutionären Vergangenheit 1809 vom hessischen Großherzog Ludwig zum Freiherrn erhoben wurde.

In einem weiteren Abschnitt weist Schumann nach, welchen Künstlern Moller durch Unterstützung und Freundschaftsdienste behilflich war. Neben dem Personenkreis, der an der Ausstattung von Moller-Bauten beteiligt war (Johann Baptist Scholl, August Lucas), konnte Moller auf zahlreiche Mitarbeiter an seinem denkmalpflegerischem Publikationsprojekt, den Denkmälern der deutschen Baukunst, zurückgreifen. Nachweislich verhalf er dem Darmstädter Maler August Lucas beim Verkauf dessen Bilder und der Akquisition neuer Aufträge. Als Vermittler trat Moller auch beim Erwerb eines Gemäldes von Joseph Anton Koch durch Karl Freiherr vom Stein auf. Anschaulich zeigt Schumann auch an weiteren Beispielen auf, dass Moller Verantwortung für das Wohlergehen namhafter Künstler in seinem Umfeld übernahm. Entscheidend ist dabei, dass Moller kraft seines Amtes Kulturpolitik betrieb, indem er Talente durch Ausbildung und Vergabe von Reisestipendien förderte. Ähnliche Unterstützung hatte Moller zuvor als Meisterschüler in Weinbrenners Bauschule erfahren, deren maßgebliche Inhalte er tradierte (Abschnitt "Raumdenken vor Stildenken"). Als verbindendes Element im künstlerischen Netzwerk um Georg Moller wirkte vielfach die für eine berufliche Karriere notwendige "Italienerfahrung", welche bedeutende Anregungen für die künstlerische Entfaltung versprach.

Eine herausragende Pionierleistung übte Moller auf dem Gebiet der Denkmalpflege aus. Zu nennen ist Mollers Publikation des mittelalterlichen Baurisses zur Westfassade des Kölner Domes, welcher die Grundlage für die von Moller und Sulpiz Boisserée angestrebte Domvollendung darstellte. Internationale Aufmerksamkeit erfuhr seine Publikationsreihe "Denkmäler der deutschen Baukunst". In Hessen fanden seine Bemühungen um die Erforschung mittelalterlicher Denkmäler einen Niederschlag in einem ersten Denkmalschutzgesetz von 1818.

Neben dem knapp 40 Seiten umfassenden Interpretationsteil gibt Schumann in chronologischer Reihenfolge 157 Brieftranskriptionen wieder. Wie oben erläutert, handelt es sich um eine repräsentative Auswahl mit inhaltlicher Bedeutung für Mollers Werk und Umfeld. Im dritten Teil beleuchtet Schumann die Biographien der Briefverfasser und bietet umfangreiche Kommentierungen. Ergänzend finden sich aktualisierte biographische Daten zu Mollers Leben und Werk. Eine weitere Leistung des Autors ist die Erstellung eines Stammbaums.

Ähnlich wie bereits in den zahlreichen vorangegangenen Publikationen zum Werk Friedrich Weinbrenners ist es Schumann gelungen, Mollers Wirken im Kontext des Geisteslebens seiner Zeit anschaulich aufzuzeigen und zahlreiche bislang nur sporadisch dargelegte personelle Zusammenhänge und Verflechtungen zu belegen. Es ist davon auszugehen, dass die künftige Moller-Forschung mit diesem wichtigen Quellenwerk neue Impulse und Anregungen erfahren wird. Wünschenswert wäre in Zukunft eine aktualisierte Darstellung des Mollerschen Werkes mit Fokus auf die erhaltenen Architekturzeichnungen, deren digitale Erfassung und öffentliche Zugänglichmachung beispielsweise in einem Online-Katalog noch aussteht.

Rezension über:

Ulrich Maximilian Schumann (Hg.): Georg Moller. Werk & Netwerk, triglyph 2022, 336 S., 95 Ill., ISBN 978-3-944258-12-6, EUR 34,00

Rezension von:
Julian Hanschke
Institut Kunst- und Baugeschichte, KIT Karlsruhe
Empfohlene Zitierweise:
Julian Hanschke: Rezension von: Ulrich Maximilian Schumann (Hg.): Georg Moller. Werk & Netwerk, triglyph 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 1 [15.01.2023], URL: https://www.sehepunkte.de/2023/01/37751.html


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