Rezension über:

Thomas Vogel: Der Zweite Weltkrieg in Italien 1943-1945 (= Kriege der Moderne), Stuttgart: Reclam 2021, 160 S., ISBN 978-3-15-011208-3, EUR 14,95
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Rezension von:
Thomas Schlemmer
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schlemmer: Rezension von: Thomas Vogel: Der Zweite Weltkrieg in Italien 1943-1945, Stuttgart: Reclam 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37142.html


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Thomas Vogel: Der Zweite Weltkrieg in Italien 1943-1945

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Die Apennin-Halbinsel gilt gemeinhin als Kriegsschauplatz zweiter Ordnung. Entschieden wurde der Zweite Weltkrieg anderswo - in Tunesien, wo die Alliierten im Mai 1943 die beiden Armeen der deutsch-italienischen Heeresgruppe "Afrika" zur Kapitulation zwangen, in Frankreich mit den erfolgreichen Landungen in der Normandie und an der Côte d'Azur und natürlich an der Ostfront mit dem Untergang der 6. deutschen Armee in Stalingrad als Menetekel. Italien gilt aber nicht nur als Kriegsschauplatz zweiter Ordnung, Italien war in Deutschland - trotz der Härte der Kämpfe und der hohen Verluste auf beiden Seiten - auch lange Zeit so etwas wie ein vergessener Kriegsschauplatz. Wenn vom Krieg südlich der Alpen die Rede war, beschränkte man sich zumeist darauf die, scheinbar so glänzenden Abwehrerfolge der Wehrmacht am Monte Cassino nachzuzeichnen oder die angeblich völkerrechtskonforme Kriegführung der deutschen Streitkräfte auf der Apennin-Halbinsel hervorzuheben. In den letzten Jahren ist immerhin dieser Mythos gründlich zerstört worden - nicht zuletzt durch die Arbeiten des Kölner Historikers Carlo Gentile. [1] Die militärischen Operationen der deutschen Truppen und die Erfahrungsgeschichte der Soldaten in feldgrau sind dagegen noch nicht umfassend aufgearbeitet worden. Aber auch hier beginnt sich die Szenerie zu verändern, wie Magnus Pahls kritische Studie über die Schlachten um Monte Cassino [2] sowie das hier zu besprechende Buch aus der Feder von Thomas Vogel zeigen.

Der Autor, seines Zeichens Oberstleutnant des Heeres und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, hat sein Buch über den Zweiten Weltkrieg in Italien in der Buchreihe "Kriege der Moderne" seines Hauses veröffentlicht, in der seit 2018 elf Bände erschienen sind. Diese Reihe will - so heißt es auf der Website - "handliche Beschreibungen militärischer Konflikte der Neuzeit" liefern und diese "sowohl im Hinblick auf den Verlauf der Auseinandersetzung als auch in Bezug auf politische sowie kulturelle Zusammenhänge" darstellen und analysieren. Angesichts der Komplexität des Kriegs in der industriellen Moderne ist das keine leichte Aufgabe, zumal den Autoren (Frauen sucht man bislang vergeblich) nur etwa 160 Seiten zur Verfügung stehen, auf denen sich zudem zahlreiche Abbildungen und Karten finden. Man darf also angesichts des Reihenkonzepts keine detaillierte, quellengesättigte Darstellung, wohl aber eine problemorientierte Synthese erwarten.

Thomas Vogel stellt eine klare Frage: "Warum dauerte die Befreiung Italiens fast zwei Jahre, obwohl Mussolinis Regime [im Sommer 1943] nach wenigen Tagen gestürzt wurde und sein deutscher Verbündeter bereits sichtlich geschwächt war?" (Umschlagtext). Der Autor rückt dieser auf den ersten Blick einfachen, aber bei genauerem Hinsehen reichlich komplexen Frage in zehn Kapiteln zu Leibe, die sich grob in zwei Teile gliedern lassen: Der umfangreichere chronologische Teil erzählt die Vorgeschichte des Sturms auf die "Festung Europa", schildert die Eroberung Siziliens und die Landungsoperationen in Süditalien, skizziert die politischen Rückwirkungen der neuen militärischen Lage, die im Sturz Benito Mussolinis und dem Ausscheiden des Königreichs Italien aus der faschistischen Kriegsallianz gipfelten, und zeichnet die Kämpfe in Mittelitalien (das umfangreichste Kapitel) und in Norditalien bis zur Kapitulation der deutschen Truppen nach. Die ein wenig verloren wirkenden beiden sachthematischen Kapitel des wesentlich schmäleren zweiten Teils handeln von "Kriegsverbrechen und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung" sowie von den "Alliierten und d[er] Mafia".

Warum konnten sich die deutschen Streitkräfte nun so lange in Italien halten, und warum brauchten umgekehrt die Alliierten so lange, um ihren Widerstand zu brechen? Der Hauptgrund, den Thomas Vogel ausmacht, klingt paradox, weil er hüben wie drüben hoch gehandelt wurde: möglichst viele Kräfte des Gegners an einer subalternen Front zu binden, um wichtigere Kriegsschauplätze entweder zu entlasten oder von Truppen zu entblößen. Wer nun erfolgreicher darin war, dieses Ziel zu erreichen, ist auch nach der Lektüre von Thomas Vogels Buch nicht leicht zu entscheiden; angesichts der Überlegenheit der Alliierten an Menschen und Material dürfte aber der Einsatz der Wehrmacht stärker zu Buche schlagen, die sich freilich anderen Zielen annähern konnte: die Alliierten möglichst lange möglichst weit von den Reichsgrenzen fernzuhalten, das norditalienische Wirtschaftspotenzial möglichst lange für die deutsche Kriegsproduktion zu sichern und das faschistische-nationalsozialistische Bündnis - Mussolini hatte in den von der Wehrmacht kontrollierten Teilen Italiens die Repubblica Sociale Italiana ausgerufen - vor der Weltöffentlichkeit aufrechtzuerhalten. Die Wehrmacht musste in Italien also nicht jeden Meter Boden bis zum letzten Mann verteidigen, sie konnte das für die Verteidigung oft günstige Gelände nutzen, das vor allem großräumige Operationen gepanzerter Verbände erschwerte, und sie hatte so die Möglichkeit, die Alliierten - wenn auch um einen ausgesprochen hohen Preis - immer wieder aufzuhalten. "Zentimeterkrieg" nannte man das auf deutscher Seite.

Thomas Vogels Buch hat seine Stärken dort, wo es um Militärgeschichte im engeren Sinne geht. Wenn politische Entwicklungen, ökonomische Fragen oder erfahrungsgeschichtliche Prägungen angesprochen werden, bleiben die Ausführungen dagegen einiges schuldig. Das liegt nicht nur an der Anlage der Reihe, sondern auch an der perspektivischen Engführung auf die militärischen Operationen, die zudem immer wieder die Perspektive der deutschen Führung zu spiegeln scheint; das beginnt mit dem Einstieg - der Räumung Siziliens, wo aus einer militärischen Niederlage ein logistischer Sieg unter Führung des zupackenden Generals Hans Valentin Hube gemacht wurde - und setzt sich in den weiteren Kapiteln fort, wenn es etwa um die zögerlich-schematische Operationsführung der Alliierten und die Flexibilität der deutschen Führungsstäbe geht, die jedoch oft nichts anders war als nacktes Krisenmanagement - ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Eindruck des Rezensenten ist also zwiespältig, und das hat auch mit den beiden sachthematischen Kapiteln am Ende des hier rezensierten Buchs zu tun. Deutsche und alliierte Kriegsverbrechen in einem Abschnitt (Kapitel 8) zusammenzufassen, ist angesichts ihrer unterschiedlichen Dimension und Systematik zumindest fragwürdig und kann, wenigstens auf den ersten Blick, nur deshalb funktionieren, weil der Autor den Holocaust in Italien - die Vernichtungsagenturen folgten der Wehrmacht auf dem Fuß - in wenigen Zeilen abhandelt. Dass Thomas Vogel die verbrecherische Qualität der deutschen Kriegführung in Italien explizit beim Namen nennt - auf Seite 150 ist sogar von einem "verbrecherischen Krieg" die Rede -, wird allerdings durch andere Stellen konterkariert, wo etwa mit Blick auf den Kampf um die Gustav-Linie betont wird, auch die Wehrmacht habe sich "von den Grundsätzen des Kriegsvölkerrechts leiten" lassen (85). Und ob es wirklich klug war, angesichts der begrenzten Seitenzahl das letzte Kapitel vor der Schlussbetrachten den Alliierten und der Mafia zu widmen? Hier werden eher gängige Stereotype bedient als Forschungsperspektiven eröffnet.

Auch im Kleinen bleibt einiges zu wünschen übrig. Die reproduzierten Fotografien erhöhen zwar die Anschaulichkeit, aber der Autor schlägt kein Kapital daraus und dekonstruiert ihren oft propagandistischen Charakter nicht - eine vertane Chance. Und dass sich bei den wenigen Literaturhinweisen kein italienisches Werk und auch kein Titel von Lutz Klinkhammer findet, dem vielleicht besten Kenner der deutschen Besatzungspraxis in Italien, dafür aber eine Monografie von Klaus Hammel [3], der sich den Vorwurf gefallen lassen muss, apologetischen Revisionismus zu betreiben, ist schlicht ein Ärgernis.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg. Italien 1943-1945, Paderborn 2012.

[2] Vgl. Magnus Pahl: Monte Cassino 1944. Der Kampf um Rom und seine Inszenierung, Paderborn 2021.

[3] Vgl. Klaus Hammel: Der Krieg in Italien 1943-45. Brennpunkt Cassino-Schlachten, Bielefeld 2017.

Thomas Schlemmer