Rezension über:

Ioanna Iordanou: Venice's Secret Service. Organizing Intelligence in the Renaissance, Oxford: Oxford University Press 2019, xiii + 263 S., ISBN 978-0-19-879131-7, GBP 30,00
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Rezension von:
Juliane Märker
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Juliane Märker: Rezension von: Ioanna Iordanou: Venice's Secret Service. Organizing Intelligence in the Renaissance, Oxford: Oxford University Press 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 2 [15.02.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/02/33982.html


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Ioanna Iordanou: Venice's Secret Service

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Wenn von Geheimdiensten die Rede ist, denkt der heutige Leser meist zuerst an moderne Institutionen wie die amerikanische CIA oder an den russischen KGB. Bei Geheimdiensten im Kontext der Frühen Neuzeit richtet sich der Blick meist auf das elisabethanische England, welches in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein weitgefächertes Spionagenetzwerk aufbaute.

Laut Ioanna Iordanou war es jedoch die Republik Venedig, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts einen der ersten zentral verwalteten staatlichen Geheimdienste etablierte (7). Die Entstehung des venezianischen Geheimdienstes, von seinen Anfängen unter der Ägide des Rates der Zehn bis zur Etablierung der berühmten wie berüchtigten Staatsinquisitoren, wurde jedoch bisher kaum wissenschaftlich erschlossen, abgesehen von einigen, hauptsächlich italienischen Einzelstudien, die von der Autorin in der äußerst ausführlichen Bibliografie aufgeführt werden. So liegt mit der Überblicksstudie von Paolo Preti ein Standardwerk vor, das die Entwicklung und Aktivitäten des venezianischen Geheimdienstes von seinen Anfängen bis zum Ende der Republik nachzeichnet. Während sich Preti jedoch vornehmlich auf die Spionagetätigkeiten der Geheimdienste und ihre Einflüsse auf die internationalen Beziehungen konzentrierte, legt Iordanou ihren Fokus auf die internen Strukturen. Denn bisher fehlte eine fokussierte Analyse des Prozesses, der die Etablierung des venezianischen Geheimdienstes im frühneuzeitlichen Behördenapparat der Republik untersucht. Die meisten vorliegenden Darstellungen sind Einzelfallstudien zu bestimmten Personen oder Personengruppen, die mit dem venezianischen Geheimdienst verbunden waren.

Zu Beginn ihrer Ausführungen erläutert die Autorin klar die drei ambitionierten Ziele ihrer Untersuchung, die auf den nächsten 230 Seiten in Angriff genommen werden, wobei sie ihre Analyse auf die Jahre 1500-1650 fokussiert:

Zum einen wird die bisher weithin akzeptierte Haltung infrage gestellt, "that systematized intelligence and state-organized security are characteristic of the modern state"(5). Laut Iordanou existierten institutionell organisierte Geheimdienste bereits in der Frühen Neuzeit als klar strukturierte und etablierte Behörden und nicht nur als Spionagenetzwerke einzelner Personen. Zum anderen soll belegt werden, dass Venedig einer der ersten frühneuzeitlichen Staaten war, der einen zentral organisierten und institutionalisierten Geheimdienst geschaffen hat. Zu guter Letzt soll die Bedeutung der sozio-ökonomischen Interessen Venedigs bei der Etablierung des Geheimdienstes sowie bei der Priorisierung seiner Arbeit untersucht werden. Die Autorin stellt die Hypothese auf, dass es vor allem die kommerziellen Interessen der venezianischen Republik waren, die als treibende Kraft hinter der Etablierung des Geheimdienstes standen.

Die ersten beiden postulierten Ziele der Arbeit werden erreicht. Innerhalb von fünf Kapiteln beschreibt die Autorin eindrücklich und informativ den Entstehungsprozess des venezianischen Geheimdienstes, von seinen Anfängen unter dem Rat der Zehn, dessen schrittweise Entmachtung im Laufe des 16. Jahrhunderts und die Neuorganisation unter den Staatsinquisitoren. Von besonderem Interesse ist die detailreiche Analyse der internen Organisation - Personal, Finanzierung, Arbeitsprozesse und -teilung, alles wird gründlich und zugleich konzise dargestellt und analysiert. Besonders spannend und informativ liest sich das Kapitel zur Kryptologie-Abteilung des venezianischen Geheimdienstes. Gerade hier wird deutlich, wie auch bereits in der Frühen Neuzeit einzelne Berufe eine erstaunliche Professionalisierung erlebten. Venedig entwickelte im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts eine spezialisierte Ausbildung für seine Kryptologen, die kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Hier wird auch das herausstellende Merkmal der vorliegenden Arbeit deutlich: Sie konzentriert sich nicht auf die Personen, die das System entwickelten oder darin arbeiteten, sondern auf das System selbst und die Prozesse, die seine Funktionalität und Langlebigkeit gewährleisteten.

Den eigenen Ansprüchen nicht ganz gerecht wird das Buch hinsichtlich des dritten postulierten Zieles: Aufzuzeigen, dass sozio-ökonomische Interessen zur treibenden Kraft der Etablierung des venezianischen Geheimdienstes gehörten, denn eben diese sozio-ökonomischen Interessen kommen in der Folge kaum zur Sprache. Die meisten Fallbeispiele stammen aus dem Bereich Diplomatie und Militär, während nur wenige tatsächlich die kommerziellen Interessen Venedigs tangieren - abgesehen davon, dass natürlich alle drei Themenkomplexe zu einem gewissen Grad miteinander verwoben sind. Im Zentrum stehen sie letztlich nur in einem Kapitel, als über die Rolle von Kaufleuten im Spionagenetzwerk der Republik berichtet wird. Hier wird zwar deutlich, dass Kaufleute eine essentielle und wertvolle Quelle für Informationen für den venezianischen Geheimdienst darstellten und viele in der einen oder anderen Form für den Geheimdienst arbeiteten. Jedoch kann die Argumentation nicht überzeugen, dass ökonomische Interessen von größerer Bedeutung waren als etwa militärische oder außenpolitische, zumal in den meisten Fallbeispielen die Kaufleute eingesetzt wurden, um gerade militärisch relevante Informationen zu sammeln und weiterzugeben.

Nichtsdestotrotz argumentiert die Autorin überzeugend für die Kernthese ihres Buches: Dass Venedig einen der frühesten zentral verwalteten Geheimdienste in Europa etablierte und diese Behörde über institutionelle Strukturen und Arbeitsprozesse verfügte, die es ihr erlaubten, bis zum Ende der Republik aktiv nachrichtendienstliche Arbeit zu verrichten. Der venezianische Geheimdienst war an keine einzelne Person gebunden, sondern war fest im Behördenapparat der Republik verankert und weist in seiner Arbeitsteilung, spezialisierter Ausbildung seiner Mitarbeiter und Etablierung fester Arbeitsroutinen Merkmale auf, die gerade im Bereich der Geheimdienste eher mit modernen Institutionen des 19. und 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden.

Das vorliegende Werk ist eine äußerst informative, gründlich recherchierte und belegte Arbeit zu einer Behörde, die Zeitgenossen wie Historiker schon lange fasziniert, auch wenn es nicht immer seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird. Iordanou hat in ausführlicher und geduldiger Kleinstarbeit das umfassende Quellenmaterial zum venezianischen Behördenapparat, zum Rat der Zehn und den Staatsinquisitoren ausgewertet und eine gelungene Analyse geschaffen, die für jeden, der sich für Venedig oder frühneuzeitliche Spionage interessiert, eine lohnende Lektüre bietet.

Juliane Märker