sehepunkte 20 (2020), Nr. 11

John Donoghue / Evelyn P. Jennings (eds.): Building the Atlantic Empires

Das Buch ist aus einem Harvard-Seminar zur "History of the Atlantic World" (2005) sowie einer Konferenz an der Loyola University Chicago "Unfree Labor, the Atlantic Empires, and Global Capitalism" (2010) entstanden. Und natürlich aus der Forschungsperspektive der Herausgeber und Autoren. Das Zielpublikum des Buches sind Experten. Das Buch versucht, "to understand the range of and interactions among different forms of unfree labor in the evolution of imperialism and capitalism in the Atlantic world" (4). Der innovative Ansatz besteht darin, den Staat, auch in Gestalt seiner Administratoren, Legislatoren, Beamten / Funktionäre, Chefs von Korporationen und Exekutoren, als "key actor" zu analysieren. Das aber nicht nur innerhalb eines gegebenen Staates / Imperiums und seinen Beziehungen zu anderen Akteuren (institutionellen und privaten), sondern auch in Überschreitung nationaler, imperialer, kolonialer, geographischer und historischer Grenzen (Introduction, 1-24, hier 1). Ein Trans-Buch. Das heißt: (Kolonial-)-Imperialismus und Kapitalismus (bzw. seine Akteure in Vernetzung) sowie die Rolle von Sklavereien und anderen Formen unfreier Arbeit bei ihren Entwicklungen - ein großes Thema. Kolonialgeschichte und Atlantic empires werden dabei (auch) in einer sich seit ca. 2004 massiv entwickelnden transkulturellen und trans-imperialen Perspektive von Second Slaveries (vor allem für Karibik, Kuba und Brasilien) sowie der "New History of Capitalism" (bisher für die USA) betrachtet (14-16). Traditionelle Geschichtsschreibung der Imperien und intellektuell-kulturelle Geschichten des Atlantiks haben, so die Kritik des Buches "rarely grappled with the explicitly capitalist economic contexts of colonization and empire-building" (14).

Die einzelnen Beiträge unter einem solchen Großkonzept, fast möchte ich sagen, den Anfängen eines neuen Großnarrativs, zu einen, ist nie leicht. Die Herausgeber haben es aber sogar geschafft, die einzelnen Beiträge in mikro- und regionalgeschichtlichen Perspektiven auf das neue Groß-Narrativ einzuschwören oder zumindest Bezug darauf zu nehmen und komparative Ansätze zu verfolgen. Aus traditioneller Atlantik- und Imperial-Perspektive mag man sagen - sind halt nur mikrohistorische und regionale Beispiele (oder "case studies"). Der Rezensent sagt dagegen: Makrogeschichten von Imperien und Atlantik sind immer das, was sie halt sind: "Narrative" - Erzählungen; quellenbasierte Mikrogeschichten und Regionalbezüge ändern dagegen immer die großen Narrative.

Der erste Beitrag ist der der Mitherausgeberin Evelyn P. Jennings ("The Sinews of Spain's American Empire: Forced Labor in Cuba from the Sixteenth to the Nineteenth Centuries"; 25-54). Jennings, die seit Jahren auch zu Staats-Sklavereien forscht, zeigt den Festungs- und Infrastrukturbau als eine der großen Leistungen des kolonial-spanischen Staates auf Kuba und im spanischen Imperium in Amerika in der Überlagerung von militärischer Imperial- und Atlantikpolitik (Verteidigung), Unterstützung und Sicherung kapitalistischer Handelsformen (u.a. Sklavenhandel), staatlichen Akteuren sowie unterschiedlichen Formen von Zwangsarbeit, darunter der sehr viele Versklavte, und "freier Arbeit" sowie Militär (u.a. auch versklavte Soldaten). Jennings legt auch die Änderungen dar, die sich im vollen Sklaverei-Kapitalismus der Second Slavery auf Kuba im 19. Jahrhundert ergaben. Der Staat baute Versklavte unter seiner Kontrolle ab. Zugleich sicherte er den massiven illegalen Menschenhandel und die massive Second Slavery ab, in dem er Kontrollen verhinderte und zusätzliche unfreie Arbeitskräfte, wie asiáticos (coolies) und emancipados ("befreite Sklaven" von den Schmuggelschiffen), sicherte.

Rafael Chamboulayrons ("Indian Freedom and Indian Slavery in the Portuguese Amazon (1640-1755)"; 54-71) zeigt, wie flexibel portugiesisch-brasilianische Akteure in einem Territorium der Indianer-Frontier, genannt "Staat" (Estado do Maranhão aus den Generalkapitanien Maranhão und Grão-Pará) agierten und formelle sowie informelle Indio-Sklavereien / unfreie Arbeiten (auch Ruder- und Militärdienst) in der erstaunlichen Anpassungsfähigkeit des portugiesischen Sklaverei- und Kolonialmodells zur Expansion und Sicherung des Kolonialimperiums in Amerika nutzten.

Der Beitrag von Pepijn Brandon; Karwah Fatah-Black ("'For the Reputation and Respectability of the State': Trade, the Imperial State, Unfree Labor, and Empire in the Dutch Atlantic"; 84-108) analysiert - gegen die These, die niederländische Expansion sei rein kommerziell gewesen - den Staat (in Europa und verschiedenen kolonialen Territorien) als key actor der gewaltsamen und globalen niederländischen Expansion sowie der flexiblen Sicherung von meist unfreien Arbeitskräften (trotz oder gerade wegen des Scheiterns eines großen atlantischen Imperiums).

John Donoghue ("The Unfree Origins of English Empire-Building in the Seventeenth Century Atlantic";109-131) legt sehr überzeugend die Bedeutung der englischen Revolution für ein neues Staatsverständnis dar. Er analysiert die Rolle dieses "neuen" Staates bei der Quasi-Versklavungen (Militär zur See und an Land und in den Kolonien), Zeitversklavungen (indenture) sowie der Förderung von privaten und staatlichen Schiffseigentümern im Transport von Menschen aus den Unterschichten bei der Expansion des englischen Empires.

Anna Suranyi ("Indenture, Transportation, and Spiriting: Seventeenth Century English Penal Policy and 'Superfluous' Populations";132-159) untersucht den Transport, seine Bedingungen und die staatliche Transportpolitik, die, so möchte man fast sagen, für formal Versklavte und alle bereits oben genannten Menschengruppen ("eigentumslose Engländer", Iren, u.v.a.m.) gleich schrecklich waren. Als Massenphänomen und Grundlage der Expansion wird profaner Transport neben den Ruhmeshymnen für britannische Seemacht kaum jemals ausreichend analysiert.

Elizabeth Heath ("Citizens of the Empire? Indentured Labor, Global Capitalism and the Limits of French Republicanism in Colonial Guadeloupe"; 160-179) legt die Relationen zwischen unfreier Arbeit (nach der Sklaverei, aber unter Bedingungen von "Sklaven-Arbeit"), dem Status als "Franzose" und der Immigrationspolitik auf Guadeloupe dar. Sie zeigt, wie der Staat auf wirtschaftliche Bedingungen und Krisen mit einem Wechsel von Offenheit und Restriktionen reagiert und damit die Kolonien absichert (Guadeloupe u.a. bis heute!).

Die "Conclusion" des Buches (180-184) ist sehr kurz und muss im Zusammenhang mit der relativ langen "Introduction" (1-24) der Herausgeber gelesen werden.

Die wichtigsten Ergebnisse sind: im Unternehmensbereich und on the spot die enge Verzahnung von privaten und staatlichen Unternehmen, wie etwa Asientos und Handelskompanien [1] - es waren halt joint ventures (181); zweitens: "states and colonial governments helped capitalist systems of slavery and servitude [slaves, convicts, indentured, coolies, soldiers, sailors])" (9). Das ist eine wichtige Kritik an Zentrum-Peripherie-Perspektive der Weltsystem-Theorie. All das mündet in das wichtigste Ergebnis des Buches: seine konnektiven Mikrostudien "adresses a critical yet neglected feature of labor, imperial, and Atlantic historiographies: how states became vital agents in organizing the supply of unfree labor for private and public exploitation, before and after abolition of slavery" (181). Der Rezensent sagt - auch am frühen Beginn der atlantischen Sklaverei (1400-1550) und während der atlantischen Sklaverei (bis 1888). Damit kommt eine kritische Sicht sowohl marxistischer (und Marx'scher) sowie neo-liberaler Ursprungs-Narrative ("um 1650") "into clearer historical perspective" (181). Ganz kann sich das Buch nicht von dieser englischen Ursprungschronologie lösen. Bei all seinen Vorzügen fehlt ihm ein Kapitel zur globalen Rolle Portugals bei all dem und ein Kapitel zum afrikanisch-iberischen Atlantik 1400-1640 (und zur iberischen Globalität) und zum so genannten Südatlantik (1640-1920) und dessen Relationen zur östlichen Hemisphäre, aber auch zu afrikanischen slavers als Kapitalisten und Staaten sowie lokalen Machthabern und Gesellschaften in Afrika als Akteuren des Sklaverei-Kapitalismus.


Anmerkung:

[1] Siehe Andrew Phillips / J. C. Sharman: Outsourcing Empire: How Company-States Made the Modern World, Princeton 2020.

Rezension über:

John Donoghue / Evelyn P. Jennings (eds.): Building the Atlantic Empires. Unfree Labor and Imperial States in the Political Economy of Capitalism, ca. 1500-1914 (= Studies in Global Social History; Vol. 20), Leiden / Boston: Brill 2016, XIV + 215 S., ISBN 978-90-04-28519-4, EUR 108,07

Rezension von:
Michael Zeuske
Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Michael Zeuske: Rezension von: John Donoghue / Evelyn P. Jennings (eds.): Building the Atlantic Empires. Unfree Labor and Imperial States in the Political Economy of Capitalism, ca. 1500-1914, Leiden / Boston: Brill 2016, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: https://www.sehepunkte.de/2020/11/35243.html


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