sehepunkte 20 (2020), Nr. 4

Paweł Machcewicz: Der umkämpfte Krieg

Der aktuelle Streit zwischen Russland und Polen um die Täter und Opfer des Zweiten Weltkrieges hat auf der gesamteuropäischen Ebene ein breites Echo gefunden. In den öffentlich vermittelten Diskursen geht es heute nicht um Aufdeckung neuer Fakten, sondern um eine Emotionalisierung der Erinnerung, die identitätsstiftend wirken soll. Die Funktion der Erinnerung an den Krieg und den Holocaust hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt - es geht nicht mehr um Versöhnung zwischen den Staaten oder Bemühungen um dialogisches Erinnern, sondern um eindeutige Zuschreibung, wer als Opfer, wer als Täter zu gelten hat - und um Durchsetzung dieser Zuschreibungen auf der internationalen Ebene.

Verzweifelt rufen Historiker dazu auf, die Geschichte ihnen zu überlassen - Politiker drehen im Jahr des 75. Jubiläums des Kriegsendes weiter an der Konfliktspirale. Die Frage nach der Deutung der Kriegsgeschichte ist gegenwärtig aktueller denn je, was das vorliegende Buch "Der umkämpfte Krieg" von Paweł Machcewicz zu einem höchst aktuellen und wertvollen Beitrag zur Debatte macht. Der polnische Historiker und ehemalige Direktor des Kriegsmuseums in Danzig legt hier ein Zeugnis davon ab, welche tragischen Folgen die politische Monopolisierung der Erinnerungskultur für die wissenschaftliche Beschäftigung und für die öffentliche Vermittlung der Geschichte haben kann. Sein Buch ist zweierlei: ein persönlicher Bericht über die Entstehung und Auflösung des Museums und eine scharfe Analyse der polnischen Geschichtspolitik seit der Regierungszeit der rechtskonservativen PiS-Partei, in deren Folge das Museum, das er und seine Mitarbeiter Rafał Wnuk, Janusz Marszalec und Piotr M. Majewski aufgebaut hatten, geschlossen wurde.

Das Original ist im Jahr 2017 auf Polnisch unter einem lakonischen Titel "Muzeum" erschienen, für die deutsche Fassung wurde es geringfügig gekürzt. Machcewicz schildert zunächst die Arbeit an einem narrativen Geschichtsmuseum, das die polnische Erfahrung im Zweiten Weltkrieg als Teil der europäischen Geschichte darstellen sollte: die Entstehung der Idee zum Museum, seine Gründung 2008, die Arbeit an den Ausstellungsinhalten, die internationale Vernetzung und schließlich der Kampf um seine Existenz seit 2015. Der Grund, warum der Krieg in diesem Museum zu einem "umkämpften Krieg" wurde, lag in einem universalistischen, transnationalen Ansatz der Museumsmacher. Die Zeit zwischen September 1939 und Mai 1945 sollte eben nicht als exklusives nationales Narrativ von Polen als Helden und Märtyrer erzählt werden, sondern als ein gesamteuropäisches, ja globales Geschehen. Es sollte für Besucher aus aller Welt verständlich machen, was der Zweite Weltkrieg war und warum es als größte menschliche humanitäre Katastrophe der modernen Geschichte gilt. Darum sollten gerade die zivilen Opfer des Krieges im Zentrum der Ausstellung stehen und der Holocaust in den allgemeinen Kontext der deutschen Terrormaschinerie eingeordnet werden. Es sollte auch solch unbequemen Wahrheiten wie das polnische Massaker an den Juden von Jedwabne 1941 aus dem Schatten holen und darstellen, dass Polen nicht nur Opfer, sondern z.T. auch Mittäter waren. Was das Museum eben nicht leisten sollte, war die Bestätigung der tradierten heroischen Geschichtsbilder, die seit der Wende eine zentrale Rolle in der Geschichtspolitik Polens einnehmen. Die Besucher des Museums sollten eben nicht mit Stolz erfüllt, sondern erschüttert und berührt werden. Der pazifistische Ton der Ausstellung wurde zum weiteren Kritikpunkt der nationalkonservativen Regierung, die in der selbstkritischen Ausrichtung der Ausstellung Bedrohung der nationalen Identität sah.

Machcewicz beschreibt sehr ausführlich und offen, welche Schritte die Regierung unternahm, um die Arbeit am Museum zu behindern, die schließlich in der Auflösung des Museums, unter Vorwand der Fusion mit dem "Museum der Westerplatte und des Krieges von 1939", mündeten. Die PiS-Funktionäre übten nicht nur finanziellen Druck aus, sie unternahmen perfide Taktiken der Denunziation, ausgedachte Anschuldigungen, psychischen Terror, um die Mitarbeiter an der Arbeit zur Vorbereitung der Eröffnung des Museums zu stören. Diese Methoden erinnern stark an den Zensur-Terror in Zeiten des Sozialismus. Manchem wird dieses Szenario bekannt und vertraut vorkommen: Man kennt das tragische Schicksal des ersten Leningrader Museums für die Verteidigung und Belagerung Leningrads, das 1949 von Stalin und seinen Genossen liquidiert wurde, oder beispielsweise die Auflösung des ersten sowjetischen jüdischen Museums der Nachkriegszeit in Vilnius (aufgelöst ebenfalls 1949).

Der Skandal um das Museum wurde öffentlich und international ausgetragen - Historiker weltweit bekundeten ihre Unterstützung, auch die polnischen Veteranen und weite Teile der polnischen Gesellschaft und vor allem der damalige Bürgermeister Danzigs, Paweł Adamowicz. Trotz aller Versuche der PiS, die Arbeiten am Museum zu stoppen, gelang es Machcewicz und seinen Mitarbeitern, die Ausstellung teilweise im Januar 2017 und dann vollständig im März 2017 zu eröffnen. Die Tatsache, dass sehr viele Menschen in dieser kurzen Zeit sein Museum aufsuchten, bezeichnet Machcewicz als persönlichen Triumph, als unermessliche Freude, die ihm Kraft gab, als er und sein Team gehen mussten.

Machcewicz diskutiert im Schlusskapitel die universelle Frage, was das bedeutet, ein Pole zu sein und was das nationale polnische Erbe ausmacht. Für ihn ist diese Geschichte nicht abgeschlossen: Das traurige Schicksal seines Museums ist mit den allgemeinen Tendenzen der Gegenwart wie Isolationismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit verknüpft. Historisch ordnet Machcewicz diesen Diskurs in die längere Geschichte der Kultivierung der Idee von einer "polnischen Eigenart" seit der neuzeitlichen Epoche ein. Dazu gehört auch die Selbstwahrnehmung vom "stets bedrohten" Polen und das Selbstbild als Märtyrer, als "Christus unter Völkern". Diese Bestandteile des Nationalismusdiskurses sind keineswegs auf dem Ideenfriedhof Europas, wo man diese im 21. Jahrhundert vermuten würde, sondern geben die Richtung für Identitätspolitik vor. Machcewicz' Schilderungen machen abermals deutlich, in was für einem starken Spannungsverhältnis europäische und nationale Deutungsmuster stehen, wenn allein der Ansatz, polnische Erfahrung als Teil der europäischen Erfahrung darzustellen, als kriminell wahrgenommen wird.

Es ist dem Übersetzer und dem Mitherausgeber der Reihe "Polnische Profile" im Harrasowitz Verlag Peter Oliver Loew zuzustimmen, wenn er in der Einleitung schreibt, das Museum könne als Lehrstück und als Warnung gelten. Das Buch schildert ergreifend, welche Macht die Politik über die Wissenschaft hat und klärt darüber auf, mit welchen Mechanismen sich die nationalistische Geschichtspolitik durchsetzen kann. Es macht klar, dass die Politik nicht viel von der wissenschaftlichen Freiheit hält, sondern die Funktion der Geschichtsschreibung einzig und allein im Dienst am Staat sieht. In der aktuellen Atmosphäre, in der Universitäten vertrieben werden (Fall der Central European University in Budapest), Erinnerungsgesetze zum Schutz der Narrative durchgesetzt werden (Polen, Russland, Litauen, die Ukraine u.a.) oder die Wissenschaftler, die nationale Narrative kritisch hinterfragen, als politische "Agenten" stigmatisiert werden, ist diese Warnung aktueller denn je.

Rezension über:

Paweł Machcewicz: Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit (= Polnische Profile; Bd. 5), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, XII + 253 S., 14 Farbabb., ISBN 978-3-447-11035-8, EUR 22,90

Rezension von:
Ekaterina Makhotina
Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Ekaterina Makhotina: Rezension von: Paweł Machcewicz: Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit, Wiesbaden: Harrassowitz 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 4 [15.04.2020], URL: https://www.sehepunkte.de/2020/04/33072.html


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