Rezension über:

Richard Hunter / Casper C. de Jonge (eds.): Dionysius of Halicarnassus and Augustan Rome. Rhetoric, Criticism and Historiography (= Greek Culture in the Roman World), Cambridge: Cambridge University Press 2019, X + 300 S., ISBN 978-1-108-47490-0, GBP 75,00
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Rezension von:
Friedrich Meins
Historisches Seminar, Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meins: Rezension von: Richard Hunter / Casper C. de Jonge (eds.): Dionysius of Halicarnassus and Augustan Rome. Rhetoric, Criticism and Historiography, Cambridge: Cambridge University Press 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 7/8 [15.07.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/07/32797.html


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Richard Hunter / Casper C. de Jonge (eds.): Dionysius of Halicarnassus and Augustan Rome

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Der vorliegende, von Richard Hunter und Caspar de Jonge herausgegebene Band geht auf eine Konferenz zum Thema in Leiden im Jahre 2012 zurück und beinhaltet Beiträge beinahe aller zurzeit bedeutenden Vertreter der englischsprachigen Forschung zu Dionysios von Halikarnassos. Als gemeinsame Stoßrichtung der sämtlich auf höchstem Niveau angesiedelten Studien betonen die Herausgeber in ihrer Einleitung (1-33) die Diskussion des Verhältnisses der beiden zentralen (scheinbaren) Gegensätze in Werk und Leben des Dionysios: von Geschichtsschreibung und Rhetorik sowie von griechischer und römischer Kultur im augusteischen Rom.

Der Band gliedert sich in drei Hauptteile zu den Themenbereichen "Dionysius and Augustan Rhetoric and Literary Criticism" (35-124), "Dionysius and Augustan Historiography" (125-200) und "Dionysius and Augustan Rome" (201-266). Es soll hier jeweils ein Beitrag pro Sektion diskutiert werden, in dem sich besonders zeigt, wie fruchtbar der Ansatz ist, Dionysios' Wirken nicht künstlich in Tätigkeitsfelder aufzuspalten. Zugleich sind Beiträge ausgewählt, deren Verfasser umfangreicher zum Thema publiziert haben, sodass eine Einordnung in das jeweils von ihnen gezeichnete Bild nützlich scheint.

Das ist schon beim Beitrag Wiaters "Experiencing the Past: Language, Time and Historical Consciousness in Dionysius' Criticism" (56-82) der Fall. Wiater, dessen deutsche Übersetzung der Antiquitates momentan erscheint, hat in seiner Dissertation eine Deutung des attizistischen Klassizismus als "Ideology of Classicism" vorgenommen. [1] Er versteht dabei Ideologie als Weltbild einer Gruppe, das diese wesentlich konstituiere. Ein Kernbegriff der Studie, der des "Classicist self-fashioning", begegnet im vorliegenden Beitrag wieder (68). Wiater betont den Unterschied zwischen der Forderung nach Idealisierung der Vergangenheit und dem Bewusstsein, dass die Athener der klassischen Zeit keine besseren Menschen waren. So komme es zur Abtrennung einer "structure of feelings" (57), die für die Rezipienten das klassische Ideal durch emotionale Identifikation erfahrbar mache. Zugleich betont Wiater auch die Intention der Klassizisten, die er in der Aneignung eines durchaus praktischen Habitus sieht: Hier spiele neben der Fähigkeit zur Rezeption der Klassiker - auch durch eine Neugestaltung des Kanons durch sprachliche μετάθεσις der eben doch unvollkommenen ästhetisch-moralischen Vorbilder - die politisch-rhetorische Tätigkeit eine Rolle.

Dafür, die Rhetorik in Dionysios' Historiographie nicht als ihr Problem, sondern als Element einer ernsthaften historischen Konzeption aufzufassen, hat sich Fox bereits in verschiedenen Zusammenhängen ausgesprochen. [2] Diese Ernsthaftigkeit im Anspruch diskutiert er in seinem Beitrag zur "Prehistory of the Roman polis" (180-200) im Hinblick auf die meist als unglaubwürdig aufgefasste These vom griechischen Ursprung Roms. Er widmet sich dafür der Darstellung der frühen Einwanderungen nach Italien, die für Dionysios vordergründig den Beleg der griechischen Abstammung darstellen. Die Art, in der Dionysios seinen Lesern die Versionen in den älteren Überlieferungen präsentiere, zeige, wie er sie "[...] in the evaluation of the sources [...]" involviere (195-6). Vor allem aber arbeitet Fox die Diskrepanz zwischen den historischen Stadien heraus: Die vorrömischen Siedler seien keine Idealtypen. Vielmehr zeige sich in ihren (auch auf der Begriffsebene als prinzipiell vorpolitisch gekennzeichneten) Gesellschaften der Gegensatz griechischer Zivilisiertheit und barbarischer Praktiken, die die politischen Gebilde der Vorzeit zerstört haben. Fox betont, dass sich bei Dionysios dennoch kaum "nationalistische" Rhetorik ausmachen lasse. Er schließt, dass Dionysios' "diffuse idea of ethnicity" (199) gegenüber der Vorstellung des "international ideal of civil society" (200) zurücktrete. So sei es letzteres, das Dionysios als "griechisch" identifizierte, es zugleich aber in der römischen Gesellschaft des frühen Prinzipats und seinen "experimental aspects" (197-8) eher verkörpert sah als in den griechischen Gesellschaften seiner Zeit - und Rom so als griechisch bezeichnete.

Wesentlich ist auch der Beitrag de Jonges zur "Composition in Augustan Rome". Nachdem er in seiner Monographie die Bezüge von Dionysios' kritisch-rhetorischer Lehre zu diversen griechischen Vorbildern in unterschiedlichen τέχναι herausgestellt hat [3], widmet er sich hier der Frage nach dem Verhältnis von Dionysios' Kompositionstheorie zu Elementen einer solchen in der Dichtung des Horaz. De Jonge verweist auf die Unterschiede der Genres und betont, dass es ihm nicht um den Nachweis einer direkten Abhängigkeit geht. Tatsächlich untermauert er plausibel die These Hunters, wonach man von ähnlichen kritischen Traditionen sprechen könne: Es zeigen sich vergleichbare, wenn auch in ihrem Fokus mitunter verschiedene Ansätze hinsichtlich der Orientierung an spezifischen technischen Anleitungen, der Verwendung erläuternder Analogien aus den schönen Künsten, schließlich der Betonung des "artful arrangement of common words" als Stilideal (253 und 257). Für de Jonge ist das ein Hinweis darauf, dass Dionysios an einem "literary discourse that connects various Greek and Roman poets and critics" (263) teilnahm, und damit zumindest ein indirekter Beleg für dessen Teilhabe am "Augustan Rome", die auch ihm als Migranten nicht verwehrt blieb.

Der kurze "Envoi" von Joy Connolly (267-277) geht von einer Diskussion eben des Migrantenstatus des Dionysios aus. Während sie die Grenzen historischer Vergleiche betont, deutet sie Parallelen zu berühmten Fällen der jüngeren Geschichte an. Connolly stellt die Problematik heraus, mit modernen Vorstellungen von "ethnischen" Kriterien der Realität der augusteischen Gesellschaft gerecht werden zu wollen; dennoch mache Dionysios' Bemühen "between cultures and [...] genres" zu sprechen ihn zu einem verkannten "light-bearer" (268f.).

Ob die geringe Beachtung von "ethnischen" Unterschieden - im Hinblick auf Rom ein Gemeinplatz seit der Antike [4] - ein Alleinstellungsmerkmal ist, kann man diskutieren. Vor allem aber, und das ist der einzige Aspekt, den diese sonst maßgebliche Publikation etwas vermissen lässt, sollte Bestandteil zumal einer intendiert an modernen Maßstäben orientierten Wertung auch eine Diskussion des platonisch-aristotelischen Einflusses gerade in den Antiquitates sein, den bereits Goudriaan herausgearbeitet hat. [5] Dionysos' rhetorische Theorie erschiene dann nicht mehr allein als Betonung der konsensstiftenden Fähigkeit der Sprache "[...] to move us, to alert us to the beliefs and commitments of others [...]" (276), sondern auch als Technik elitärer Machtausübung. Die "community of actors" (276), an die Dionysios sich wandte und in der er die wahren Römer sah, stellte eben nur einen Ausschnitt des historischen "Augustan Rome" dar.


Anmerkungen:

[1] Nicolas Wiater: The Ideology of Classicism. Language, History, and Identity in Dionysius of Halicarnassus (= Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte; 105), Berlin / New York 2011.

[2] Vgl. Matthew Fox: Roman Historical Myths. The Regal Period in Augustan Literature, Oxford 1996 sowie weitere Einzelbeiträge.

[3] Caspar de Jonge: Between Grammar and Rhetoric. Dionysius of Halicarnassus on Language, Linguistics and Literature (= Mnemosyne; Supplements 301), Leiden [u.a.] 2008.

[4] Vgl. Florence Dupont: Rom - Stadt ohne Ursprung. Gründungsmythos und römische Identität, Darmstadt 2013.

[5] Koen Goudriaan: Over classicisme. Dionysius van Halicarnassus en zijn program van welsprekendheit, cultuur en politiek, Diss. Amsterdam 1989.

Friedrich Meins