Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Michael Rohrschneider, Bonn


Dass die Publikationsflut im Zuge von historischen Gedenk- und Jubiläumsjahren für Historiker/innen immer Lust und Last zugleich bedeutet, haben die Jahre 2017 und 2018 mehr als deutlich vor Augen geführt. Zwar wird sich wohl kaum jemand, der professionell in der Geschichtswissenschaft tätig ist, ganz davon frei machen können, die inflationär anmutenden Neuerscheinungen zu den großen Jubiläen (Reformation, Oktoberrevolution, Prager Fenstersturz, Ende des Ersten Weltkrieges, 1968 usw.) mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis zu nehmen. Dennoch ist unstrittig, dass im Zuge der Jubiläen und Gedenktage der letzten beiden Jahre herausragende Arbeiten publiziert wurden, die von großem wissenschaftlichem Wert sind und einen bleibenden Leseeindruck hinterlassen. Drei Bücher seien aus diesen Kontexten besonders empfohlen.

Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017.
In seiner zunächst 2009 in englischer Sprache erschienenen Monographie entwirft Peter H. Wilson, ein ausgewiesener Experte der Geschichte des Alten Reiches, das beeindruckende Panorama eines Krieges, der als Gesamtphänomen zweifellos zu den grauenerregendsten Erfahrungen der Menschheitsgeschichte zu zählen ist. Rechtzeitig zum Gedenkjahr 2018 wurde dieses Opus magnum nun auch in deutscher Übersetzung publiziert. Die vergleichsweise nüchterne Darstellung zeichnet sich zum einen dadurch aus, eine ungeheure Stoffmenge bewältigt und in einer großangelegten Synthese gebündelt zu haben. Zum anderen versteht es Wilson, die Vorzüge britischer Militärgeschichtsschreibung in idealer Weise mit den vielfältigen deutschen Traditionen der Erforschung der Alten Reiches und des Großen Krieges in Einklang zu bringen. Wer sich zuverlässig über die europäische Tragödie der Jahre 1618 bis 1648 informieren will und genügend Zeit und Muße mitbringt, intensiv in das damalige Geschehen einzutauchen, dem sei diese Monographie nachdrücklich empfohlen. Eine leichte Lektüre vor dem Schlafengehen ist dieses über 1.000 Seiten dicke Buch aber nicht - weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne.

Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017.
Schon im Vorfeld der Publikation konnte man gespannt sein: Die Exponentin der kulturalistisch geprägten deutschen Frühneuzeitforschung schreibt eine Biographie! Und das passgenau zum 300. Geburtstag einer Monarchin, deren Leben und Wirken schon länger eine Gesamtdarstellung auf dem Stand der neueren Forschung verdient hatte. Dass die Verfasserin die hohen Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern vielfach übertroffen hat, erübrigt sich an dieser Stelle fast zu sagen. Das Buch bietet jedenfalls alles, was man sich von einer modernen wissenschaftlichen Biographie erhoffen kann: Die Verfasserin weiß um das aus dem Erbe der Postmoderne resultierende Erfordernis, sich stets des unausweichlichen Konstruktcharakters biographischen Erzählens bewusst zu sein. Sie nimmt im Stile einer Ethnologin die Fremdheit und Andersartigkeit des 18. Jahrhunderts ins Visier und kontextualisiert meisterhaft die stereotypen Deutungsmuster zum Leben und Wirken ihrer Protagonistin ("Magna Mater Austriae", biedere "Reichshausfrau" usw.). Unzweifelhaft liegt mit dieser Biographie Maria Theresias eine exzeptionelle darstellerische und analytische Leistung vor, die ein Panoptikum jener Epoche entwirft, das nichts zu wünschen übrig lässt - selbst Vampire haben ihren Auftritt! Gibt es eigentlich jemanden, der das Buch nicht empfehlen kann?

Martin Aust: Die Russische Revolution. Vom Zarenreich zum Sowjetimperium, München 2017.
Es müssen nicht immer 1.000 Seiten sein! Der Osteuropa-Historiker Martin Aust bündelt auf weniger als 300 Seiten ein Geschehen, dessen Komplexität den Wirren des Dreißigjährigen Krieges und den epochalen Herausforderungen der theresianischen Ära bekanntlich in nichts nachsteht. Austs Darstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie zahlreiche Mythen dekonstruiert, teleologische Entwicklungslinien verwirft und auch die Peripherie des russischen Reiches in adäquater Weise einbezieht. Gerade angesichts der derzeitigen Ungewissheit und Sorgen über den zukünftigen Kurs der Innen- und Außenpolitik Russlands ist ein solches Buch, das konzise über einen der Marksteine russischen Geschichte berichtet, eine anregende Lektüre - zumal sie alles andere als frei von Gegenwartsbezügen ist. Zitiert sei in diesem Kontext lediglich die letzte Passage des Buches: "Auf die Möglichkeit eines Wandels durch Revolution angesprochen, pflegte der 2015 ermordete russische Politiker Boris Nemcov zu sagen, dass man in Russland lange leben müsse, um Wandel zu erleben. In Revolutionen lebt man nicht unbedingt lange." (231)

Philip K. Dick: The Man in the High Castle. Das Orakel vom Berge, Frankfurt am Main 2017.
Zum Schluss eine besondere Empfehlung für die Liebhaber kontrafaktischer Geschichte: Mit seinem Roman "The Man in the High Castle" schuf der amerikanische Science Fiction-Autor Philip K. Dick, der inzwischen zu den bedeutendsten US-Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gezählt wird, ein nahezu zeitloses Meisterwerk der Gattung "Alternativweltgeschichte". Die Handlung ist in einer Szenerie angesiedelt, in der Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt haben. Doch nichts ist so, wie es scheint. Der 1962 erschienene Roman, der mit dem wichtigsten Preis des Science Fiction-Genres (Hugo-Award) ausgezeichnet wurde und inzwischen auch Ausgangspunkt einer Fernsehserie ist, spielt in virtuoser Weise mit unterschiedlichen Wirklichkeiten und zeigt die Potenziale der Beschäftigung mit "ungeschehener Geschichte" auf, die sich nicht zuletzt im Geschichtsunterricht und in der universitären Lehre mit großem Gewinn thematisiert lässt.