sehepunkte 18 (2018), Nr. 4

Sina Rauschenbach / Christian Windler (Hg.): Reforming Early Modern Monarchies

Dem der Einleitung der beiden Herausgeber unter dem Titel The tradition of "Spanish German Conferences" vorangestellten und auf den September 2015 datierten Vorwort von Sina Rauschenbach zufolge entstand der Band aus der Reihe der "Spanisch-Deutsche[n] Arbeitsgespräche", die 1993 durch Vereinbarung der spanischen Stiftung Xavier de Salas in Trujillo mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin begründet wurden. Ziele der spanischen Seite und der beiden deutschen Begründer Dietrich Briesemeister (Berlin) und Friedrich Niewöhner war die Förderung von Austausch und Begegnung von Frühneuzeit-Forscherinnen und Frühneuzeit-Forschern beider Seiten. Nach sieben zwischen 1994 und 2002 abgehaltenen, großenteils publizierten Treffen zu diversen Themen brach diese Tradition mit dem Ausscheiden von Briesemeister 2004 und dem überraschenden Tod von Niewöhner 2005 zunächst ab. 2011 unternahmen dann Volker Bauer (Wolfenbüttel), Sina Rauschenbach (Potsdam) und Jaime de Salas (Madrid / Trujillo) 2011 einen Neuanfang mit in zweijährigem Turnus abwechselnd in Wolfenbüttel und Trujillo abgehaltenen Tagungen. Das Thema des vorliegenden Bandes wurde 2013 in Trujillo diskutiert, die Verfasserin lässt aber offen, ob die im Band enthaltenen Beiträge durchgehend der Tagung von 2013 entstammen, die mit dem nun den Untertitel des vorzustellenden Werkes bildenden Titel überschrieben war.

Der von dem kastilischen Fachbegriff "propios y arbitrios" für das kommunale Finanzwesen abgeleitete Begriff "arbitrista" bezeichnet abschätzig 'eine Person', die abwegige Pläne und Projekte zur Verbesserung der öffentlichen Finanzen oder zur Abstellung von Missständen konzipiert, den Obrigkeiten mitteilt und oft auch publiziert, wie noch die 20. Auflage des Lexikons der spanischen Sprache feststellt. [1] Diese Kategorisierung von Personen verbreitete sich in Zeiten Philipps II. und seiner Nachfolger rasch, bis die Bezeichnung unter den Bourbonen mit ihrer zentralistischen Politik einen negativen Beiklang erhielt und Manuel Colmeiro, ein Vorläufer der modernen Wirtschaftsgeschichte, seit Mitte des 19. Jahrhunderts Schriften der "arbitrista" zu sammeln begann.

Die Einleitung beider Herausgeber knüpft an diese Vorgeschichte an, stellt sie in den Zusammenhang der literarischen Diskurse jener Epoche über den Niedergang Spaniens, die prominent schon bei Cervantes und Quevedo begegnen, um dann zu deren Analyse durch angelsächsische und französische, sich mit dem spanischen 17. Jahrhundert auseinandersetzenden Historikern, wie J. H. Elliott, Earl J. Hamilton, Henry Kamen und Pierre Vilar überzuleiten. Zahlreiche dieser Autoren werden dann meist in Fußnoten, obwohl häufig inzwischen kritisch ediert, angeführt, ohne in die auf den Seiten 199-220 folgende Abschlussbibliografie aufgenommen zu werden. Deutlich herausgestellt wird schließlich, dass bisher keine ernsthaften Bezüge bzw. Vergleiche mit dem französischen donneur d'avis, dem italienischen avvisatore oder dem englischen projector als Angehörige einer diesbezüglich relevanten Gattung angestellt wurden.

Von den neun monografischen Einzelbeiträgen werden freilich nur einige diesem vergleichenden Anspruch gerecht. Zunächst gebührt Christian Windler das Verdienst, die Gattung in Spanien klarer zu definieren und in Beziehung zur Regierungspraxis und den in jener Epoche so dominierenden königlichen Favoriten in der Rolle von Premierministern zu setzen. Nachfolgend analysiert Fernando Bouza die zentrale Bedeutung des Zugangs zur Druckerpresse für die politische Kommunikation im spanischen Barock und die daraus resultierenden Folgen für die Produktion politischer Arbitrios. Dabei erweitert er das Genre um die Avisos, politische Nachrichten, die bereits erheblich früher eine wichtige Rolle in vernetzten Unternehmen spielten, wie die für die Geschichte der Fugger so zentralen "avisi". Auf Reflexionen von Arndt Brendecke zu Conquista und Arbitrismo folgt mit dem Vergleich, den Anne Dubet zu Donneurs d'avis und Arbitristas in Frankreich und Spanien im 17. und 18. Jahrhundert mit ihrem "Vorschlag für eine Interpretation" anstellt, einer der zentralen, vergleichend angelegten und mit Bezug auf die im Buchtitel genannten Arbitristas weiterführenden Beiträge des Bandes. Nicht weniger zentral ist der allgemeiner ausholende Beitrag von Bartolomé Yun Casalilla, der das spanische Genre in den weiteren Zusammenhang der Projectors, Eccentrics und der politischen Denker stellt und damit die Kontextualisierung und "Übersetzung" eines europäischen Phänomens voranbringt. Justus Nipperdey beschäftigt sich mit politischer Ratgeberliteratur in Spanien und dem Heiligen Römischen Reich im 17. Jahrhundert, bevor Baki Tezcan mit einer Untersuchung zu türkischer Ratgeberliteratur interessant in ein sprachlich eher fremdes und mithin wenig vertrautes Thema einführt. Die beiden abschließenden Beiträge sind der Behandlung von Minderheitenphänomenen in der Ratgeberliteratur Spaniens gewidmet. Niccolò Guasti verfolgt die Diskussion über die Ausweisung der "Zigeuner" in der arbitrismo-Literatur. Sina Rauschenbach analysiert die Beachtung, die Juden und Conversos in der kastilischen Gattung des 17. Jahrhunderts fanden. Unter Rückgriff auf ein einleitendes Zitat von Henry Kamen, das darauf verweist, dass angesichts der schweren Krise der spanischen Monarchie des 17. Jahrhunderts die arbitristas beileibe nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Probleme behandelten, wie sie die beiden in der Überschrift genannten Bevölkerungsgruppen darstellten, unterstreicht sie die Dimension der generellen Thematik.

Dies erfordert freilich den abschließenden Hinweis darauf, dass die spanische Wirtschaftsgeschichte zusammen mit dem Begriff auch seinen negativen Bedeutungsgehalt zu entsorgen versucht hat, da sie die Gattung als Ganzes unter "frühes ökonomisches Denken" der wirtschaftsgeschichtlichen Theoriegeschichte eingliederte. Jüngste Buchausstellungen und mehrbändige Gesamtdarstellungen erwähnen den von Colmeiro im 19. Jahrhundert übernommenen Begriff nicht mehr. [2] Unter der Begrifflichkeit des "Normativen" versucht zudem neuerdings ein rechtsgeschichtliches Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt einen Teil dieser Gattung frühneuzeitlicher Publikationen im iberoamerikanischen Kulturraum zusammenhängend auf den Begriff zu bringen. [3] Ungeachtet dessen bietet der vorliegende Band dem Frühneuzeithistoriker, selbst wenn er mit der spanischen Geschichte vertraut ist, interessante, weiterführende Einblicke.


Anmerkungen:

[1] Real Academia Española: Diccionario de la Lengua Española, Madrid 1984.

[2] Vgl. Luis Perdices de Blas / Alfonso Sánchez Hormigo: 500 Años de Economía a través de los libros españoles y portugueses - 500 Years of Economic Writing in Spanish and Portuguese, Madrid / Zaragoza 2007; Enrique Fuentes Quintana (dir.): Economía y economistas españoles, 8 vols., Barcelona 1999. Die Bände 2 und 3 behandeln unter Epoche des Merkantilismus die inzwischen weithin edierte Arbitrista-Literatur bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts.

[3] https://www.rg.mpg.de/forschung/regelungsregime auf der webpage des Instituts mit Schwerpunkt auf Hispanoamerika und in Bezug zu anderen Teilprojekten.

Rezension über:

Sina Rauschenbach / Christian Windler (Hg.): Reforming Early Modern Monarchies. The Castilian Arbitristas in Comparative European Perspectives (= WolfenbĂĽtteler Forschungen; Bd. 143), Wiesbaden: Harrassowitz 2016, 232 S., ISBN 978-3-447-10485-2, EUR 58,00

Rezension von:
Horst Pietschmann
Universität Hamburg
Empfohlene Zitierweise:
Horst Pietschmann: Rezension von: Sina Rauschenbach / Christian Windler (Hg.): Reforming Early Modern Monarchies. The Castilian Arbitristas in Comparative European Perspectives, Wiesbaden: Harrassowitz 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 4 [15.04.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/04/30269.html


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