sehepunkte 17 (2017), Nr. 9

Christian Oertel: The Cult of St Erik in Medieval Sweden

Als Weiterführung seiner Jenaer Dissertation legt Christian Oertel eine geschichtswissenschaftliche Studie zum Heiligenkult im mittelalterlichen Norden vor. Anhand des heiligen Erik von Schweden erarbeitet er, wie Heiligenkult durch weltliche und kirchliche Akteure gezielt gestaltet wurde, um eigene Positionen zu stärken, und welche Umstände ihn besonders prägten. Neben liturgischen Textquellen verwendet Oertel auch Urkunden, Siegel, Patrozinien und Bildquellen, führt die Forschungsergebnisse mediävistischer Nachbardisziplinen zusammen und stellt den Heiligen in den Gesamtzusammenhang von gut vierhundert Jahren skandinavischer Geschichte.

Die Publikation gliedert sich in acht Kapitel. Hiervon leiten die ersten drei in unterschiedliche Dimensionen der Studie ein: allgemeinere Aspekte von Religion, Politik und Heiligenkult (Kapitel 1), verwendete Quellen (Kapitel 2) und der Stellenwert königlicher Heiliger in der Bekehrungsgeschichte (Kapitel 3).

Im Hauptteil ist die Arbeit in vier Phasen und damit Kapitel unterteilt. Grund für diese Unterteilung ist die gängige Periodisierung der schwedischen Geschichte, die Oertel nun mit der Verehrung des heiligen Erik synchronisiert. Er skizziert verschiedene Grade der Kultintensität, welche mit den politischen Ereignissen der Zeit in wechselseitiger Bedingung stehen. Jedes dieser Kapitel wird durch eine historische Synopse eingeleitet und am Ende knapp und präzise zusammengefasst.

Kapitel 4 widmet sich dem frühen Kult von 1160 bis ca. 1250. In dieser Zeitspanne konzentrierte sich die Verehrung lokal auf Uppsala und Umland und entbehrte jeder Politisierung. Die erste Phase der Kultintensivierung umfasste die Zeit von ca. 1250 bis 1319 (Kapitel 5). Hier breitete sich der Kult langsam im Königreich aus, bedingt durch die Etablierung eines Domkapitels in Uppsala und des Königshauses Bjälbo, welche beide mithilfe des hl. Erik ihre Stellungen zu stärken suchten. Der Kult des heiligen Erik konzentrierte sich eigentümlicherweise auf den Adel und den führenden Klerus. In Kapitel 6 wird die Stagnation des Kultes und die spätere Erhebung zum Reichspatron durch König Magnus Eriksson 1319-1389 beschrieben. Diese Rolle, so Oertel, konstruierte Magnus Eriksson nach dem Vorbild des heiligen Olav von Norwegen. Mechanismen der Verehrung, Kultausbreitung und Attribute der beiden Heiligen werden dadurch vergleichbar. Deutlich wird zwischen der institutionalisierten Verehrung und der persönlichen Frömmigkeit von Einzelpersonen getrennt. Oertel schlägt zudem vor, dass die Viten des heiligen Erik und Henrik als Teamarbeit in Dominikanerkonventen Uppsalas und Turkus entstanden sein könnten unter der Beteiligung derselben Schlüsselfiguren (142-3).

Kapitel 7 führt bis an die Reformation heran (1389-1520) und konzentriert sich besonders auf die Kalmarer Union. Aufgrund seiner jetzt fest etablierten Rolle als Reichspatron bedienten sich politische Führer immer wieder des heiligen Erik, um eigene Positionen zu stärken und ihren Herrschaftsanspruch zu kommunizieren. Am deutlichsten geschah dies zur Abgrenzung gegen die dänische Bedrohung. Das letzte Kapitel 8 widmet sich Eriks Stellenwert im Heiligenkanon. Hier zeigt Oertel auf, dass die politische Verwendung königlicher Heiliger keineswegs auf den Norden beschränkt, sondern ein im Europa nördlich der Alpen weit verbreitetes Phänomen war, beispielsweise auch bekannt aus Böhmen, Kiew und Ungarn. Die Intensität von Heiligenkulten lässt sich jedoch, so Oertel, nicht landesübergreifend vergleichen, da die jeweilige Quellenlage und unterschiedliche örtliche Gegebenheiten das Bild stark verzerrten. In diesem Zusammenhang wäre ein Vergleich mit anderen nicht-königlichen Heiligen hilfreich gewesen, um deren eventuelle Sonderstellung deutlicher herauszuarbeiten. Aus den nordischen Ländern böten sich beispielsweise Magnus von Orkney oder Guðmundur von Hólar an, zu denen in den letzten Jahren grundlegende Publikationen erschienen sind. [1]

Die abschließende Zusammenfassung ist auf Englisch und Deutsch angefügt. Die Arbeit umfasst sechs Anhänge, darunter die lateinische Erikslegende (leider ohne Angabe der Quelle oder Übersetzung) und diverse systematische Auflistungen des verwendeten Materials. Siebzehn Karten und 31 Abbildungen insbesondere von Darstellungen des Heiligen veranschaulichen ferner den Text. Die Bibliographie ist umfassend und zeugt von großer Literaturkenntnis.

Zu den Stärken der Arbeit zählt die beeindruckende Anzahl und Vielfalt von Quellen, die Oertel vorzüglich zu einem Gesamtbild zu verbinden weiß. An vielen Stellen revidiert er bisher sicher Geglaubtes und fordert etablierte Forschungsmeinungen heraus. Dabei schlägt er Alternativen vor, ohne bisherigen Vorschlägen ihre Validität abzusprechen. Dass er an einigen Stellen über das Ziel hinausschießt (etwa wenn er vorschlägt, die mittelalterliche Hagiographie sei aufgrund Teamarbeit mehrheitlich anonym überliefert, 143), tut der Freude an der Spekulation, von der sich der Leser mitreißen lässt, keinen Abbruch.

Durch das Buch ziehen sich leider kleinere Schwächen. So werden lateinische Titel fehlerhaft wiedergegeben ("Antiphonarium Nidrosiensis", 124, und "Liber ecclesie Vallentunense", 65 und 73). Einige Inschriften sind fehlerhaft und erscheinen bisweilen ohne Markierung editorialer Ergänzungen ("S[anct]US" statt "S[an]C[tu]S", 109 und 217). Zudem sind in Kapitel 7 einige Nummerierungen zwischen Abbildung und Text verschoben (Fig. 24 - Fig. 22 - Fig. 23 statt Fig. 23 - Fig. 21 - Fig. 22, 199f). Die Publikation liest sich mitunter umständlich, denn viele Sätze sind ausgesprochen lang, substantivstark und ohne notwendige Interpunktion. Gewöhnungsbedürftig ist, dass Oertel die Bibliographie nach dem Mittelnamen der Autoren sortiert, selbst bei englischsprachigen, norwegischen, dänischen und isländischen Personen. Die verwendeten altnordischen Quellen werden inkonsequent zitiert und bibliografiert; so werden etwa "Oddr Snorrason" und "Einarr Skúlason" unter ihrem Vornamen, "Sturlusson, Snorri" und "Þorgilsson, Ari" jedoch unter ihrem Patronym gelistet, ohne dass dabei ein System ersichtlich wäre. Eine genauere Redaktionsarbeit hätte der Publikation gut getan und die Nutzerfreundlichkeit verbessert.

Dessen ungeachtet ist Christian Oertel eine grundlegende Studie zum Heiligenkult im mittelalterlichen Norden gelungen. Bezüglich des Quellenspektrums und der Umsicht, mit der diese Quellen ausgewertet werden, hat sie Vorbildcharakter. Die Studie ergänzt die unlängst erschienenen Arbeiten zum heiligen Magnus und zum heiligen Olaf, wählt jedoch keinen philologischen, sondern einen allgemein historischen Zugang. Hierdurch ergibt sich ein besonders vielschichtiges Bild. Gleichzeitig erlebt der Leser einen Spaziergang durch die skandinavische Geschichte und erfährt interessante Details, durch die Geschichte plastisch erfahrbar gemacht und die Leselust erhöht wird.


Anmerkung:

[1] Haki Antonsson: St. Magnús of Orkney: A Scandinavian Martyr-Cult in Context (The Northern World; 29), Leiden 2007; Joanna A. Skórzewska: Constructing a Cult: The Life and Veneration of Guðmundr Arason (1161-1237) in the Icelandic Written Sources (The Northern World; 51), Leiden 2011.

Rezension über:

Christian Oertel: The Cult of St Erik in Medieval Sweden. Veneration of a Royal Saint, Twelfth-Sixteenth Centuries (= Acta Scandinavica; Vol. 5), Turnhout: Brepols 2016, XIV + 398 S., 48 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-55507-2, EUR 100,00

Rezension von:
Astrid Marner
Københavns Universitet, Kopenhagen
Empfohlene Zitierweise:
Astrid Marner: Rezension von: Christian Oertel: The Cult of St Erik in Medieval Sweden. Veneration of a Royal Saint, Twelfth-Sixteenth Centuries, Turnhout: Brepols 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 9 [15.09.2017], URL: https://www.sehepunkte.de/2017/09/30056.html


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