sehepunkte 17 (2017), Nr. 3

Verena Rodatus: Postkoloniale Positionen?

Afrique: Entendus. Sous-entendus. Malentendus - der Titel der 7. DAK'ART Biennale bildete 2006 den thematischen Rahmen dieser Großausstellung afrikanischer zeitgenössischer Kunst. In seiner Programmatik verweist er auf die virulenten Auseinandersetzungen um "vor-gesehene" (Silverman) wie auch widerständige Verständnisse von Afrika und '(pan-)afrikanischer Kunst' im Kontext des sich durchaus globalisierenden, aber bei Weitem nicht egalitären Kunstbetriebs im 21. Jahrhundert. Die Ausstellungsmacherinnen und Ausstellungsmacher und Chefkurator Yacouba Konaté setzten damit den Impuls zur kritischen Weiterführung des Diskurses um Kunst aus Afrika und der Diaspora, der nach wie vor von marginalisierenden Zuschreibungen und Definitionshoheiten sowie der Aushandlung von 'Selbst-Verständnissen' bestimmt ist.

Verena Rodatus nimmt die 7. DAK'ART zum Anlass für die Frage nach künstlerischen und kuratorischen Strategien, mit denen dominante eurozentrische Positionierungen von 'Afrikanischer Kunst' durch internationale Großausstellungen kritisiert und dekonstruiert werden (können). Im Zentrum steht dabei ein Spannungsfeld unterschiedlicher kolonialer und dekolonialer Konzepte von "Afrikanität", deren Ambivalenzen die Autorin unter anderem im Rekurs auf Roland Barthes' Mythen-Kritik rekonstruiert: "Während das 'Afrikanische' in einem okzidentalen Exotismus mit Konnotationen von Primitivismus und 'Ursprünglichkeit' einherging / geht, findet sich der Begriff im Kontext von Unabhängigkeitsbewegungen, wie der Négritude oder dem Panafrikanismus, im Zusammenhang mit 'Subversion' und 'Widerstand'." (17) Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus Afrika oder der Diaspora sehen sich dabei einem Dilemma ausgesetzt: Zunehmende Sichtbarkeit im globalisierten Kunstbetrieb verstärkt den Druck, im Sinne eines ethnic marketing zu produzieren, das heißt "neben dem Anspruch an Zeitgenossenschaft gleichzeitig eine ihnen mehr oder weniger bewusst zugeschriebene 'Andersheit' beziehungsweise 'Afrikanität' (performativ) zu bestätigen" (16).

Für ihre Analyse verknüpft Verena Rodatus Theoriebildungen der postkolonialen, feministischen Kunst- und Kulturwissenschaften mit der kritischen Biennalenforschung. Daraus ergibt sich eine theoretische Perspektive, die zum einen die komplexen Verflechtungen von historisch tradierten und vergeschlechtlichten Zuweisungen von Ethnizität in den Blick nimmt und zum anderen auf die Vielzahl durchaus widerstreitender Ausstellungspraxen schaut, die von dissidenten Selbst-Positionierungen bis zu marktorientiertem Konformismus reichen. Ihre Ausgangsthese, dass sich das "koloniale Unbewusste" (Schmidt-Linsenhoff) auch in zeitgenössische Künstlerinnen- und Künstlerbilder einschreibt und in aktuellen Ausstellungs- und Anerkennungspolitiken wirksam wird, belegt die Autorin überzeugend anhand der kritischen Analyse von Repräsentationspraxen und Sichtbarkeitspolitiken westlicher Großausstellungen seit 1989. Dazu verfolgt sie Verschiebungen im Diskurs um nicht-europäische und speziell 'afrikanische Kunst' und erklärt, wie deren Konstruktion mit Vorstellungen von Ursprünglichkeit, Kollektivität, Natürlichkeit und Weiblichkeit verbunden ist. Auf diese Weise funktioniert sie weiterhin als komplementäres Gegenbild zu einem (west-)europäischen Verständnis von (autonomer) Kunst und (männlich konnotierter) Autorschaft. Zwar werden koloniale Ordnungslogiken, Stellvertreterprinzipien und eurozentrische Kunstvorstellungen in der kuratorischen Praxis zunehmend mitreflektiert. Doch Rodatus zeigt auf, wie sich die dichotome Differenzkonstruktion zwischen ahistorisch verstandener 'kultureller Authentizität' und einer an Innovation und Fortschritt orientierten westlichen 'künstlerischen Authentizität' auch in Ausstellungskonzepten fortschreibt, die mit programmatischen Konzepten wie "Dialog der Kulturen", "Differenzvielfalt" oder "Hybridität" binäre ethnisierende Identitätskonstruktionen aufzulösen versprechen.

Zur Untersuchung der künstlerischen und kuratorischen Praxen, die auf der DAK'ART 2006 zur Dekonstruktion dieser kolonial geprägten Mythen von Afrikanität zum Einsatz kommen, greift die Autorin auf Mieke Bals Ansatz einer narratologischen Ausstellungsanalyse zurück: Rodatus nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf einen Parcours vom Flughafen durch die Stadt Dakar in das Hauptgebäude der Biennale, das Musée de l'IFAN. Entlang des Weges diskutiert sie anhand eigener Fotografien, touristischer Stadtpläne und des offiziellen Begleitmaterials explizite und implizite Bedeutungsproduktionen in den Inszenierungsformen und kuratorischen Entscheidungen. Unbewusste koloniale, ethnische und geschlechtliche Konnotationen, zum Beispiel in der Nutzung und Gestaltung von brachliegenden Flächen, städtischen und musealen Räumen, Schwellen und Architekturen, untersucht sie auch, indem sie ihren eigenen, westlich disziplinär geschulten Blick einer systematischen Selbst-Reflexion unterzieht. So entfaltet sich eine Interpretation teils intendierter, teils 'unbeabsichtigter' Logiken von Sichtachsen und thematischen (Un-)Ordnungen, die als bedeutungsproduzierende "Gesten des Zeigens" (Muttenthaler / Wonisch) in den Ausstellungsdisplays lesbar werden. Zu den verlautbarten 'eigenen' Verständnissen zur Biennale als 'autonomer afrikanischer' Institution sowie den Intentionen des panafrikanischen Ausstellungskonzepts, die Rodatus anhand von eigens mit den Kuratorinnen und Kuratoren geführten Interviews, Begleitmaterialien (Katalog, Pressematerial) und der internationalen Presserezeption herausarbeitet, stehen diese Gesten in einem durchaus ambivalenten Spannungsverhältnis. Deutlich wird dies an kaum bemerkten, über-sehenen Aufstellungen: Verena Rodatus beschreibt eine geradezu wörtliche 'Unter-Stellung' der ständigen Sammlung ethnografischer Artefakte im Erdgeschoss des Musée D'IFAN, um der temporären Ausstellung der Biennale-Kunst im ersten Stock 'Platz zu machen'. Zugleich fungiert das Ensemble aber als vermeintlich zeitlos traditionalistische Gegenfolie, vor der die Zeitgenossenschaft der Gegenwartskunst der DAK'ART in Szene gesetzt wird.

Bei den künstlerischen Arbeiten erhalten Positionen besondere Aufmerksamkeit, die nicht etwa einfache Um- bzw. Aufwertungen innerhalb des Diskurses um Afrikanität vornehmen, sondern die Muster und Strategien der Wertung und Anerkennungsbemessung selbst reflektieren. Postkoloniale Positionen, so das Fazit, erheben "kritische, historische Einwände" gegenüber einer Repräsentationsweise, die "unter ahistorischem Fokus auf Afrika" (185, Herv. i. O.) ethnisierende Andersheit reproduziert.

Das Buch leistet mit seinem Blick auf die Überlagerungen von Ethnizität und Gender einen wichtigen Beitrag für die kunstwissenschaftliche Theoriebildung, die Biennalenforschung wie auch für die Visual, Cultural und Postcolonial Studies. Die fundierte und zugleich anschauliche Analyse der unterschiedlichen Perspektiven auf zeitgenössische afrikanische Kunst eignet sich zudem als Einführung. Nicht zuletzt stellt Verena Rodatus praktizierend vor, wie in der wissenschaftlichen Analyse kritische Reflexion und Selbst-Reflexion auf unterschiedlichen Ebenen sehr produktiv zusammengeführt werden kann.

Rezension über:

Verena Rodatus: Postkoloniale Positionen? Die Biennale DAK'ART im Kontext des internationalen Kunstbetriebs (= Transpekte; Bd. 8), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2015, 229 S., 47 Abb., ISBN 978-3-631-65874-1, EUR 44,95

Rezension von:
Tania Meyer
Universität Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Tania Meyer: Rezension von: Verena Rodatus: Postkoloniale Positionen? Die Biennale DAK'ART im Kontext des internationalen Kunstbetriebs, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 3 [15.03.2017], URL: https://www.sehepunkte.de/2017/03/28959.html


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