sehepunkte 16 (2016), Nr. 11

Samantha Barbas: Laws of Image

Image ist die Vorstellung oder das Bild, welches ein Individuum oder eine Gruppe von einem anderen Individuum, einer anderen Gruppe oder einer Sache hat. Jeder Mensch versucht, sein Image nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten und es anderen Menschen glaubhaft zu vermitteln. Je höher der Aufwand ist, der zur Gestaltung und Aufrechterhaltung des eigenen Images bemüht wird, desto größer wird der Wunsch, die eigene Imagekonstruktion vor Dritten zu schützen. Davon geht zumindest die US-amerikanische Rechtshistorikerin Samantha Barbas in ihrem Buch "Laws of Image. Privacy and Publicity in America" aus.

Die Autorin sieht diesen Befund in dem Umstand belegt, dass sich US-Amerikanerinnen und Amerikaner im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend an die Justiz wandten, um ihr (öffentliches) Image zu verteidigen und zu kontrollieren. Die Entwicklung eines "image law" und immer häufiger auftretende "personal image litigation" können somit als Manifestierung der amerikanischen "image society" im 20. Jahrhundert angesehen werden. Diese zeichne sich dadurch aus, dass US-Amerikanerinnen und Amerikaner zusehends begeisterter und obsessiver ihr eigenes Image konstruierten, pflegten und zu vermitteln versuchten (2).

Barbas Ziel ist es, die Entwicklung der Bildrechte in den USA nachzuverfolgen und zu erklären. Die Autorin stützt sich neben eigenen früheren Forschungen [1] hauptsächlich auf historische und rechtswissenschaftliche Literatur sowie publizierte Quellen wie Presseartikel oder Gerichtsurteile. Unter "image laws" versteht die Autorin die klassische Verleumdungsklage ("libel"), das "right to privacy" und die Anerkennung von seelischen Verletzungen ("emotional injuries"). Dabei verspricht Barbas nicht nur eine Rechtsgeschichte, sondern auch eine die Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Recht berücksichtigende Kulturgeschichte. So soll einerseits gezeigt werden, wie die Rechtsentwicklung von "cultural forces" geprägt wurde und andererseits, welche Rückschlüsse von der Rechtsentwicklung auf die Werte, Überzeugungen und Sorgen der US-amerikanischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert möglich sind.

Dies ist ein begrüßenswertes Unternehmen, ist doch der Dialog zwischen Rechts- und Kulturgeschichte gerade in der Neueren Geschichte und Zeitgeschichte nach wie vor ausbaufähig. Barbas verspricht die erstmalige Verbindung der in Fülle vorliegenden rechtswissenschaftlichen und rechtsgeschichtlichen Literatur zu Verleumdungsklagen und "privacy law" mit kultur- und mediengeschichtlicher Literatur zu verschiedenen Formen des Images, aber auch zu Werbung und der Inszenierung von Prominenz (5f.). Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich dabei vom ausgehenden 19. bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und endet mit einem Ausblick zu Bildrechten im digitalen Zeitalter in den USA.

Barbas räumt dem um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert aufkommenden Image-Bewusstsein zu Recht viel Platz ein, zeigt sich doch, dass die Grundlagen für alle späteren Imagekonflikte bereits zur Zeit der Jahrhundertwende angelegt sind. In vier Kapiteln (9-80) geht die Autorin sowohl auf die rasante Zunahme von Verleumdungsklagen und -prozessen ab 1880 und die sukzessive Anerkennung von seelischen Verletzungen im US-amerikanischen "common law" als auch auf die "Erfindung" des US-amerikanischen "right to privacy" durch die amerikanischen Juristen Samuel D. Warren und Louis D. Brandeis ein. Konsequenterweise interpretiert Barbas deren berühmten Artikel in der Harvard Law Review [2] dann auch nicht als Versuch, ein weitreichendes "Recht in Ruhe gelassen zu werden" zu etablieren, sondern lediglich als Vorstoß, ein Recht zu begründen, um das eigene öffentliche Image zu kontrollieren (26).

Durch Rückgriffe auf Forschungen der Technik-, Medien- und Kulturgeschichte werden die rechtlichen Entwicklungen immer wieder in ihre kulturellen Kontexte gestellt. Dass Barbas dabei mitunter zu eindimensional wirkenden Kausalitäten neigt, verdeutlicht beispielsweise die Erklärung der Autorin für den rasanten Anstieg der Verleumdungsklagen. Dieser Trend wird auf das gleichfalls expandierende und sich wandelnde Pressewesen zurückgeführt. Presseprodukte mit zuvor unbekannten Auflagen erreichten nämlich nicht nur eine größere Leserschaft, sondern erschlossen durch sogenannte "human interest stories" auch kontinuierlich neue Themenfelder. Nun fanden sich vermehrt auch private Personen als Objekte einer in Massenauflage erscheinenden Presseberichterstattung wieder. Um ihre öffentlichen Images zu verteidigen, hätten sie, so Barbas, häufig den Weg der Verleumdungsklage gewählt (10f.). In diesem Zusammenhang erscheint diskutabel, ob nicht auch eine Demokratisierung des Rechtssystems, beispielsweise durch die Etablierung des erfolgsbasierten Anwaltshonorars ab 1880, ebenso zu einem Anstieg der Verleumdungsklagen führte.

Allein für die detaillierte Untersuchung des Rechtsstreits Sidis versus F. R. Publishing greift die Autorin auf eigene Archivrecherchen zurück. Folglich bildet der Fall des in den 1910er Jahren als Wunderkind zu großer Berühmtheit gelangten William James Sidis den Kern des zweiten Teils des Buches, in dem die Weiterentwicklung des "personal image law" beschrieben wird (81-197). Das Magazin New Yorker hatte sich 1937 an die frühere Berühmtheit erinnert und den scheu und zurückgezogen lebenden Einzelgänger in seinem heruntergekommenen Bostoner Wohnheim aufgesucht und interviewt. Der Artikel beschreibt Sidis detailreich als Exzentriker. Das ehemalige Wunderkind verklagte daraufhin den New Yorker mit der Begründung, in seine Privatsphäre sei eingegriffen worden. Barbas interpretiert den Prozess als Testfall für den ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute in den USA, aber auch in Europa regelmäßig auftretenden Konflikt zwischen dem Recht des Individuums, sein Image zu schützen, und dem Recht des Individuums, über öffentliche Ereignisse und Personen zu sprechen und sich eine Meinung zu bilden (129).

Auch dank dem Sidis-Fall seien ab 1940 "personal image lawsuits" fester Bestandteil der amerikanischen Rechtskultur geworden (102). So kann Barbas anhand der Rechtstreitigkeiten schlussfolgern, dass US-Amerikaner spätestens ab den 1940er Jahren ihre soziale Identität zusehends als Image verstanden haben.

Auch wenn wirtschaftliche Gründe für die "laws of image" zuweilen stärkere Berücksichtigung von Barbas verdient hätten - man denke nur an die Kommerzialisierung des eigenen Bildes, wie dies etwa in Folge des Gesetzes des Bundesstaats New York von 1903 zur Verhinderung der unerlaubten Nutzung des Namens oder des Bildes einer Person für den Zwecke des Handels ermöglicht wurde -, liegt mit der vorliegenden Arbeit doch eine gut leserliche Studie zu einem zentralen Problem moderner Gesellschaften am Beispiel der USA vor, nämlich der Abwägung zwischen dem Recht auf Informationsfreiheit und freie Meinungsbildung auf der einen und dem Recht auf Privatheit und informationelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite.


Anmerkungen:

[1] Vgl. u. a. Samantha Barbas: From Privacy to Publicity. The Tort of Appropriation in the Age of Mass Consumption, in: Buffalo Law Review 61 (2013), 1119-1189; dies.: The Laws of Image, in: New England Law Review 47 (2012), 23-92; dies.: The Sidis Case and the Origins of Modern Privacy Law, in: Columbia Journal of Law & the Arts 36 (2012), 21-69; dies.: Saving Privacy from History, in: DePaul Law Review 61 (2012), 973-1048.

[2] Vgl. Samuel D. Warren / Louis D. Brandeis: The Right to Privacy, in: Harvard Law Review 4 (1890), 193-220.

Rezension über:

Samantha Barbas: Laws of Image. Privacy and Publicity in America, Stanford, CA: Stanford University Press 2015, 311 S., ISBN 978-0-8047-9144-1, USD 17,99

Rezension von:
Philipp Schulte
Heidelberg
Empfohlene Zitierweise:
Philipp Schulte: Rezension von: Samantha Barbas: Laws of Image. Privacy and Publicity in America, Stanford, CA: Stanford University Press 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 11 [15.11.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/11/28872.html


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