Rezension über:

Klaus Rosen: Attila. Der Schrecken der Welt. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2016, 320 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-69030-3, EUR 24,95
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Rezension von:
Christian Barthel
Dahlem Research School, Freie Universität Berlin / Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Christian Barthel: Rezension von: Klaus Rosen: Attila. Der Schrecken der Welt. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/28663.html


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Klaus Rosen: Attila

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Das "lange" fünfte Jahrhundert ist in den letzten Jahren wieder vermehrt ins Blickfeld der Forschung geraten. Dabei wurden die tiefgreifenden politischen und kulturellen Umwälzungen, die schrittweise die gesamte Mittelmeerwelt erfassten, nicht wie gewöhnlich der Herrschaftszeit eines römischen Kaisers zugeordnet, sondern stattdessen als "Age of Attila" tituliert. [1] Eben jenem schillernden Hunnenkönig hat der emeritierte Bonner Althistoriker Klaus Rosen eine eigene Biografie gewidmet. Sein Titelheld macht sich allerdings zunächst rar. Die Bühne betritt Attila erst zu Beginn des neunten von insgesamt fünfzehn Kapiteln. In Anbetracht der äußerst knappen Quellengrundlage - wirklich fundierte Aussagen lassen sich über ihn nur mit der Gesandtschaftsreise des Priscus treffen - nutzt Rosen die gut 100 Seiten zuvor für eine geraffte Überblicksdarstellung über den Vielvölkerverband der Hunnen und deren Zusammentreffen mit der spätrömischen Welt.

Anstatt einer klassischen Einleitung, die über die Möglichkeiten und Grenzen einer historischen Biografie hätte Auskunft geben können, nimmt er den Leser anschaulich in eine rezeptionsgeschichtlich angelegte Einführung mit (7-15). Dabei demonstriert er, welch hohes Maß an Tagesaktualität, von der jüngsten französischen Bildungsreform bis hin zum Kölner Karneval, der mit zahlreichen Mythen behafteten Figur des Attila und seiner "Hunnenhorde" innewohnt. Die Auseinandersetzung mit den antiken Quellen beginnt Rosen dann folgerichtig mit einem Abriss der verschiedenen Herkunfts- und Ursprungsmythen der Hunnen (16-24). Geschickt verschränkt er dabei die apokalyptischen Deutungshorizonte der christlichen Autoren des vierten und fünften Jahrhunderts mit den genreüblichen Barbarenversatzstücken der griechisch-römischen Historiografen. Nur allzu gern wollte man in Anlehnung an Herodot in den Hunnen "neue" Skythen entdecken.

Der Frage: "Wer waren die Hunnen?" geht der Autor in einem eigenen Kapitel nach (25-47). Neben der Auswertung der literarischen Überlieferung, insbesondere des Hunnenexkurses von Ammianus Marcellinus, werden hier auch die Erkenntnisse der archäologischen und sprachwissenschaftlichen Forschung herangezogen. Mit Verweis auf die Ethnogenesetheorie von Reinhard Wenskus sieht Rosen in der vom asiatischen Altaigebirge kommenden Gruppe einen "Primär- oder Hegemonialstamm, der zunächst individueller Träger des Hunnennamens war" (33). Durch die Unterwerfung und Eingliederung weiterer (Teil-)Stämme entstand dann eben jener polyethnische Verband, der ab 375 mit dem Einfall nach Europa begann. Zu Recht weist Rosen aber auch darauf hin, dass der Begriff "Hunne" ursprünglich nicht viel mehr als ein aus dem Norden oder Osten kommender "Nomade" bedeutete (34).

In den folgenden Kapiteln (IV-VII) beginnt Rosen mit der Schilderung der konfliktreichen Beziehung zwischen den Hunnen und dem römischen Reich. Im Fokus stehen dabei zunächst die Kämpfe gegen Alanen und Goten rechts der Donau (48-64), bevor dann die Situation im Reich erörtert wird (65-96). Neben den überfallartigen Raubzügen auf römisches Gebiet kam es ebenso zu integrativen Momenten. Einzelne hunnische Gruppen ließen sich als Hilfstruppen anwerben oder dienten, wie etwa im Fall von Stilicho, als Leibgarde bedeutender römischer Amtsträger. Der Zugriff auf das Reservoir an kriegstüchtigen hunnischen Söldnern wurde so unversehens zum innenpolitischen Faktor.

Mit dem Aufkommen des hunnischen Doppelkönigtums in den Quellen (Kapitel VIII-IX) verbindet Rosen eine Abkehr von der nomadischen Lebensweise, die "spätestens unter Rua" einsetzte (104-105). Die hunnische Königsherrschaft entwickelte demnach territoriale Züge. Dieser Aspekt wurde in der jüngeren Forschung meist anders beurteilt und eine personen- und stammesgebundene Form der Herrschaft favorisiert. [2] Zu einer grundsätzlichen Aufteilung des regnums kam es laut Rosen aber nicht. Die beiden Könige "einigten sich nur auf die jeweilige Stoßrichtung bei der Festigung und Ausdehnung ihrer Herrschaft" (97).

Der Hauptteil des Buches widmet sich erwartungsgemäß der Alleinherrschaft Attilas. Eine Schlüsselrolle nimmt die ausführliche Zusammenfassung des Priscusberichts (Fragment 8, Ed. Carolla) ein. Neben den wertvollen Informationen über das römische Gesandtschaftswesen lässt sich so auch ein einzigartiger Blick auf die Machtverhältnisse am Hof Attilas werfen (148-184). Der Aufbau und die interne Struktur von Attilas Reich ruhten auf seiner Person. Umgeben von einer Gruppe engster Vertrauter, den logades, band Attila vor allem durch die Aussicht auf Beute und Wohlstand die verschiedensten Stämme und Krieger an sich (185-200). Das Erpressen von römischen Jahrgeldern reichte auf Dauer nicht aus, um die Loyalität dieser heterogenen Militärelite zu bewahren. In regelmäßigen Abständen mussten Feldzüge wie die großangelegte Offensive gegen das Westreich durchgeführt werden (201-225). Der umgehende Angriff auf Italien nach der verlustreichen Schlacht auf den "Katalaunischen Feldern", gekoppelt mit dem raschen Zerfall des hunnischen Großreiches unter seinen Söhnen verdeutlicht, wie erfolgsabhängig Attilas Herrschaftssystem letzten Endes blieb (226-247).

Auf Attilas abruptes Ableben in der Hochzeitsnacht mit Ildico folgte eine breitgefächerte Rezeption in der europäischen Literatur und Geschichte, die Rosen in einem abschließenden Kapitel behandelt (248-262). Eine Zeit- und Herrschertafel sowie ein Personenverzeichnis runden das Buch ab.

Klaus Rosen legt mit seiner Attilabiografie eine kenntnisreiche und ungemein lesenswerte Studie vor, die sich hervorragend für interessierte Laien und Studenten als Einstieglektüre eignet. Spezialisten wird freilich vieles bekannt vorkommen, was den positiven Gesamteindruck nur geringfügig mindert.


Anmerkungen:

[1] Siehe Michael Maas (ed.): The Cambridge Companion to the Age of Attila, Cambridge 2014; oder auch die Neuauflage von Colin Douglas Gordon: The Age of Attila: Fifth-Century Byzantium and the Barbarians. Revised edition, with a new introduction and notes by David Stone Potter, Ann Arbor 2013.

[2] Auf die hunnischen Dörfer zur Zeit Attilas kommt Rosen ebenfalls zu sprechen. Siehe 186-188. Vgl. hierzu mit weiterer Forschungsliteratur Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich, München 2002, 99-101; Peter Heather: Empires and Barbarians. Migration, Development and the Birth of Europe, London 2009, 221-245.

Christian Barthel