sehepunkte 16 (2016), Nr. 6

Christoph Pallaske (Hg.): Medien machen Geschichte

Was macht ein geschichtsdidaktisches Medium aus? Die Kölner Tagung "Geschichtsdidaktische Medienverständnisse" im April 2014, deren Beiträge nunmehr in dem von Christoph Pallaske herausgegebenen Band "Medien machen Geschichte" gesammelt vorliegen, diskutierte diese Frage theoriegeleitet und interdisziplinär.

Die Relevanz des Tagungsbandes ergibt sich aus der aktuellen Debatte um die Auswirkungen des digitalen Wandels auf das historische Lernen. [1] Die acht Beiträge reichen von theoretisch-konzeptionellen Überlegungen bis hin zu praktisch-anwendungsbezogenen Darlegungen.

Pallaske stellt in den Band einführend Überlegungen zu Medienbegriffen des Geschichtslernens an. Es folgt ein Beitrag Hilke Günther-Arndts, die der Frage nachgeht, ob es überhaupt eines neuen geschichtsdidaktischen Medienbegriffs angesichts des digitalen Wandels bedarf. Astrid Schwabe schaut sodann über den Tellerrand der Disziplin und lotet die Potenziale eines kommunikationswissenschaftlichen Medienverständnisses für die Geschichtsdidaktik aus. Mit Medienumbrüchen, neuen Lernkonzepten und deren Bedeutung für das Geschichtslernen im digitalen Zeitalter beschäftigt sich Lisa Rosa. Sandra Aßmann und Bardo Herzig analysieren sogenannte TwHistory-Projekte, die eine besondere Form historischer Narration im Social Web darstellen. Mit Geschichte im Social Web befasst sich auch Hannes Burkhardt, der Geschichtsnarrative und Erinnerungsdiskurse auf Facebook und Twitter untersucht, während Christopher Friedburg die Begriffe Social Web und Web 2.0 selbst einer kritischen Prüfung unterzieht, insbesondere die in das neue Netz gesetzte Erwartung unbeschränkter Partizipation. Im letzten Beitrag liefert Anke John ein Beispiel für die bildgestützte Internetrecherche im Geschichtsunterricht.

Die Diskussion um geschichtsdidaktische Medienverständnisse eröffnet Günther-Arndt mit einem kritischen Rückblick auf den von Hans-Jürgen Pandel für die Didaktik des Geschichtsunterrichts grundgelegten Medienbegriff. Sie kommt zu dem Schluss, dass die fundamentale Unterscheidung zwischen Quelle und Darstellung vor dem Hintergrund des digitalen Wandels Bestand habe, auch wenn sich Mediennutzung und -praxis und die Rahmenbedingungen für historische Lehr- und Lernprozesse ändern. Wesentlich für einen geschichtsdidaktischen Medienbegriff sei die Bestimmung der Funktion der Medien im historischen Erkenntnis- und Lernprozess.

Friedburg, der in seinem Beitrag den Begriff Web 2.0 historisiert, plädiert "für einen bedachteren und differenzierteren Umgang mit neuen, interdisziplinären Medienbegriffen" und fordert, "eine Theoriebildung aus einer konkreten (medialen) Praxis heraus vorzunehmen" (97), wie dies Jan Hodel mit dem Konzept der "digitalen Netzmedien" geleistet hat. [2]

Im Hinblick auf die außerschulische Geschichtskultur betont Schwabe die Notwendigkeit eines breiteren, integrativen Medienverständnisses, das in Rechnung stellt, dass digitale Medien zu Beteiligungsmedien werden. Sie regt an, den Fokus vom Medium zur Medienanwendung zu verschieben. Rosa spricht sich hingegen - vor einer "reduktionistische[n] Falle"(56) warnend - gegen einen eigenen geschichtsdidaktischen Medienbegriff aus. Nach ihrem mehrdimensionalen Verständnis sind Medien als "das 'Betriebssystem' der Kultur" (56) aufzufassen.

Pallaske zeigt zwei Strategien auf, die Diskussion weiter zu führen - entweder die Öffnung oder die Ausdifferenzierung von Medienbegriffen. Erstere verfolgen neben Schwabe auch Aßmann und Herzig sowie Burkhardt, die ihren Analysen integrative Begriffskonzepte zugrunde legen. Aßmann und Herzig kombinieren einen zeichentheoretischen, einen systemtheoretischen und einen netzwerkorientierten Ansatz zur Beschreibung von TwHistory-Projekten; Burkhardt nimmt kulturwissenschaftliche Erinnerungskonzepte in den Blick. Er begreift Astrid Erlls Medienbegriff [3] als eine Basis, um Social-Web-Medien für das Lernen im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht nutzbar zu machen.

Im abschließenden Beitrag von John, die am Beispiel der (Re-)Kontextualisierung einer Bildquelle aufzeigt, wie die Internetrecherche historisches Bildverstehen im Geschichtsunterricht fördern kann, sieht Pallaske einen Brückenschlag zum Medienverständnis der jüngeren Mediengeschichtsschreibung [4], auf das auch der Titel des Sammelbandes rekurriert. Mit den Worten Pallaskes: "Medien bilden nicht nur Vergangenheit und Geschichte ab, sondern können selbst Motor historischer Entwicklung sein: Medien machen Geschichte." (15f.)

Die Beiträge dieses Bandes bieten einen interessanten Einblick in die Debatte um die Neubestimmung des geschichtsdidaktischen Medienbegriffs im Zeichen des digitalen Wandels. Nicht nur die Anforderungen werden deutlich, sondern insbesondere auch die Herausforderungen, vor die sich die Geschichtsdidaktik mit dieser Aufgabe gestellt sieht. Aus der Zusammenschau kristallisiert sich kein kohärentes, neues Begriffskonzept heraus, es werden vielmehr Medienverständnisse aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen dargeboten. Diese können die Diskussion bereichern und weiten. Darin liegt gegenwärtig der Wert der vorliegenden Publikation.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Daniel Bernsen / Alexander König / Thomas Spahn: Medien und historisches Lernen. Eine Verhältnisbestimmung und ein Plädoyer für eine digitale Geschichtsdidaktik, in: Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaft 1, http://universaar.uni-saarland.de/journals/index.php/zdg/article/view/294

(zuletzt aufgerufen am 26.05.2016); Marko Demantowsky / Christoph Pallaske (Hgg.): Geschichte lernen im digitalen Wandel, München 2015.

[2] Vgl. Jan Hodel: Verkürzen und Verknüpfen. Geschichte als Netz narrativer Fragmente. Wie Jugendliche digitale Netzmedien für die Erstellung von Referaten im Geschichtsunterricht verwenden, Bern 2013.

[3] Vgl. Astrid Erll: Medium des kollektiven Gedächtnisses: Ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff, in: Astrid Erll / Ansgar Nünning (Hgg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität, Historizität, Kulturspezifität, Berlin / New York 2004, 3-22.

[4] Vgl. u.a. Fabio Crivellari / Kay Kirchmann / Marcus Sandl / Rudolf Schlögl (Hgg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004; Jochen Hörisch: Eine Geschichte der Medien. Von der Oblate zum Internet, Frankfurt a.M. 2004; Ute Daniel / Axel Schildt (Hgg.): Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln u.a. 2010.

Rezension über:

Christoph Pallaske (Hg.): Medien machen Geschichte. Neue Anforderungen an den geschichtsdidaktischen Medenbegriff im digitalen Wandel (= Geschichtsdidaktische Studien; Bd. 2), Berlin: Logos Verlag 2015, 134 S., ISBN 978-3-8325-3956-6, EUR 37,00

Rezension von:
Urban Vaßen
Geschichte und ihre Didaktik, Bergische Universität, Wuppertal
Empfohlene Zitierweise:
Urban Vaßen: Rezension von: Christoph Pallaske (Hg.): Medien machen Geschichte. Neue Anforderungen an den geschichtsdidaktischen Medenbegriff im digitalen Wandel, Berlin: Logos Verlag 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/06/27384.html


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