Rezension über:

Elly Rachel Truitt: Medieval Robots. Mechanism, Magic, Nature, and Art, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2015, XI + 255 S., 36 Farbabb., ISBN 978-0-8122-4697-1, GBP 36,00
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Rezension von:
Susanne Thürigen
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Thürigen: Rezension von: Elly Rachel Truitt: Medieval Robots. Mechanism, Magic, Nature, and Art, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/27926.html


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Elly Rachel Truitt: Medieval Robots

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Automaten, Androiden, Roboter oder Cyborgs - wie prekär und umstritten ontologische, binäre Kategorien und Definitionen von Leben und Tod, von natürlich und artifiziell sind, zeigte sich zuletzt in den Debatten um BioArt und Anthropozän. Automaten, Objekte also, die von Menschenhand hergestellt, mithilfe verschiedener Techniken dem Anschein nach von sich aus, aus eigenem Antrieb agieren, und dabei 'natürliche' Formen wie diejenigen von Menschen, Tieren oder den Kosmos selbst nachahmen, wurden in den letzten Jahrzehnten intensiv in den Literatur-, Kunst- und Geschichtswissenschaften diskutiert. In den vorliegenden Überblickswerken über Automaten der frühen Neuzeit schrumpfte das Mittelalter dabei meist zu einer kurzen Vorgeschichte zusammen. [1] Die Wissenschaftshistorikerin Elly R. Truitt legt mit Medieval Robots nun eine erste Gesamtdarstellung über die Automaten dieses "missing millenium" (3) vor.

Truitts beeindruckende, exzellent geschriebene und umfangreich recherchierte Syntheseleistung arbeitet chronologisch voranschreitend mehrere große Themenkomplexe auf, aus denen sie zwei zentrale Tendenzen für das sich verändernde Automatenverständnis zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert herausarbeitet. Zuerst beschreibt sie den Prozess der 'Vereinheimischung' ("process of indigenizing") (117) des technischen Wissens über Automaten. Diese erreichten den lateinischen, christlichen Westen seit dem 9. Jahrhundert zunächst als diplomatische Geschenke oder durch Reisebeschreibungen aus dem Dār al-Islām sowie den Byzantinischen und später den Mongolischen Imperien und wurden explizit als fremd wahrgenommen. Noch im 12. und 13. Jahrhundert wurden Naturphilosophen, die sich 'fremdes' Wissen aneigneten, als mit okkulten Kräften operierende Automatenbauer beschrieben. Ab der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts werden Automaten dann nachweislich von Ingenieuren und Handwerkern in Europa konstruiert, zeitgleich mit der Beherrschung technischer Elemente wie Zahnrad, Hebel oder Gegengewichte. Hier zeichnet sich für Truitt eine zweite Tendenz ab. Der Automatenbau, zunächst gelehrten Naturphilosophen zugeschrieben, gelangt im Zuge dieses Vereinheimischungsprozesses zunehmend in die Hände von Ingenieuren und Handwerkern. Truitt begreift mittelalterliche Automaten als "Schwellenobjekte" ("liminal objects"), die Grenzbereiche zwischen höfischem und unhöfischem Verhalten, zwischen Gut und Böse, lebendig und tot, natürlich und artifiziell ausloteten und verkomplizierten.

Im ersten Kapitel thematisiert Truitt Automaten - sich selbst bewegende Statuen, tönende Brunnenanlagen, Wasseruhren oder mechanische Vögel, die in künstlichen Bäumen sitzen - als Erzeugnisse außereuropäischen Wissens. Ob in Byzanz, dem Dār al-Islām, am mongolischen Hof oder an die Ränder der bekannten Welt versetzt in Äthiopien, Babylon oder Indien, Automaten wurden stets als Wunderwerke und Ausdruck unfassbaren materiellen wie intellektuellen Reichtums verstanden, die einen exklusiven Zugang zu altem oder magischem Wissen verkörpern. Ein zentraler Aspekt liegt jedoch in ihrer politischen Instrumentalisierung. Sie dienten beispielsweise in mehreren chansons de geste des 12. und 13. Jahrhunderts der Aushandlung von religiösen und geopolitischen Konflikten. Durch Frömmigkeit und göttliche Gunst triumphierten lateinische Christen in der literarischen Fiktion über die ihnen wissensmäßig in Naturphilosophie und Technik überlegenen muslimischen oder oströmischen Feinde. Selbst die außergewöhnlichsten Automaten werden schlussendlich durch die Mirakel des christlichen Gottes übertrumpft. Für Byzanz arbeitet Truitt die wichtige Rolle von Automaten in der höfischen Prunkentfaltung mithilfe von erhaltenen Zeremonienbüchern heraus. Dies kulminiert in dem berühmten Thron des Solomon als zentraler Bestandteil der Choreografie des Hofzeremoniells. Diese Herrscherfantasie der absoluten Kontrolle über die Naturkräfte lässt sich auch am Hof der Abbasiden in Bagdad im 8./9. Jahrhundert beobachten; dort lag sie in den Händen des Kalifen.

Europäische Vorstellungen von Fremdheit wurden durch die Expansion der bis dahin weitgehend unbekannten, plötzlich in Europa auftauchenden Mongolen als eine neue Gruppe von Nicht-Christen im 13. Jahrhundert erschüttert. In den Reiseberichten der Franziskanermönche William von Rubruck und Odorich von Portenau oder des venezianischen Kaufmanns Marco Polo wird deutlich, dass es den ethnografisch präzisen Beobachtern schwer fiel zu entscheiden, ob diese Automaten das Resultat beeindruckender Ingenieurskunst oder von Magie darstellten.

Im zweiten und dritten Kapitel diskutiert Truitt naturphilosophische Theorien über die Automatenherstellung: "The range of possibilities, from studying the quadrivium to trafficking with demons, runs the gamut from intellectually legitimate to maximally transgressive" (48). Gerbert von Aurillac, Roger Bacon sowie den Scholastikern Robert Grosseteste und Albertus Magnus als Pionieren der Naturphilosophie, Alchemie und Sternenwissenschaften wird jeweils erst in der postumen Legendenbildung der Bau prophetischer Automaten zugeeignet. Zeitgenössische Bedenken und Ängste gegenüber dem neuen, von den Naturphilosophen importierten Wissen werden durch ihre angeblichen Aktivitäten als tüftelnde Automatenbauer dramatisiert. In ihrer ausgezeichneten Analyse der divinatorischen 'sprechenden Köpfe' wird dabei deutlich, dass wie schon in den religiösen Auseinandersetzungen der chansons de geste gesehen, das Prädikat 'Automatenbauer' der Diffamierung einer gegnerischen Partei dienen kann.

Verschiedene mittelalterliche Definitionen von 'Leben' werden im vierten Kapitel ergründet. In der Untersuchung des Conte de Floire et Blancheflor, des Tristan Thomas von Britains und zeitgenössischer Versionen des Roman de Troie stechen besonders die von Truitt herausgearbeiteten Interdependenzen zwischen den Automaten einerseits und andererseits historischen Praktiken der Präparierung und Konservierung toter Körper hervor. Anhand verschiedener Versionen des Roman de Troie kann Truitt zeigen, dass sich die Autoren in ihren Automaten-Ekphrasein nun zunehmend technisch versierter zeigten. Hektors Körper ist im Troy Book aus dem 15. Jahrhundert schließlich ein aus zahlreichen Röhren und Schweißdrähten bestehendes Meisterstück der Schmiedekunst. Diese Veränderungsprozesse beschäftigen Truitt auch im fünften Kapitel. Die Verbindung zwischen den Automaten und ihrem außereuropäischen, fremden Ursprung wurde seit Mitte des 13. Jahrhunderts zunehmend gekappt. Mit den Beispielen von Villard de Honnecourt und Al-Jazari wie auch dem Lustgarten von Hesdin werden dem Leser nun handfeste Automaten - kirchliche Objekte, künstliche Vögel, Brunnen, mechanische Tiere und Uhrenautomaten - in ihrer Vielfalt an Techniken, Materialien und an der Herstellung beteiligten Handwerken präsentiert und den literarischen Fiktionen gegenübergestellt: "By the early fifteenth century [...] automata had moved from bookish fantasy to fact, and the men who created actual automata were skilled and ingenious craftsmen working with their hands to apply mechanical principles." (115)

Mit der Mimesis der himmlischen Bewegungen in monumentalen astronomischen Uhren des späten Mittelalters beschließt Truitt den Band. Als etwas unglücklicher Schlussstein für den zweiten großen, von Truitt geschlagenen Bogen der Verlagerung der Profession des Automatenbaus von Philosophen / Gelehrten zu Ingenieuren / Handwerkern dient ihr der Straßburger Mathematikprofessor Conrad Dasypodius (1530/1532-1600/1601). Dieser lobt zwar ganz grundsätzlich, wie hier zitiert, Fleiß, Talent und Geschicklichkeit der Handwerkskünste, die das menschliche Leben erleichtern, und manchmal auch erheitern würden - eine der Zeit bekannte, vielfach wiederholte Trope (151-152). Im Hinblick auf eine komplexe Himmelsmaschine wie die Straßburger Münsteruhr, die Dasypodius hauptverantwortlich konstruierte, betont er aber selbst nachdrücklich, dass "Automatopoietike" noch immer ein von Gelehrten besetztes Spezialgebiet ist: Die Straßburger Münsteruhr zumindest sei nicht durch die doch nur mangelhaft mathematisch ausgebildeten Handwerker entstanden, sondern eben durch seine eigene fachkundige Anleitung. [2]

Dies fällt jedoch angesichts der Fülle neuer Einsichten, die Truitt der Geschichte europäischer Automaten des Mittelalters liefert, kaum ins Gewicht. Elly Truitt ist es gelungen, das 'missing millenium' des Automatenbaus erstmals in eine profunde, überzeugend argumentierte, und dabei sowohl sprachlich als auch im Umfang gut lesbare Form gegossen zu haben.


Anmerkungen:

[1] Siehe zuletzt Minsoo Kang: Sublime Dreams of Living Machines: The Automaton in the European Imagination, Cambridge 2011; Kevin LaGrandeur: Androids and Intelligent Networks in Early Modern Literature and Culture: Artificial Slaves, London 2013; Adelheid Voskuhl: Androids in the Enlightenment: Mechanics, Artisans, and Cultures of the Self, Chicago 2013. Eine Ausnahme stellt dieser Sammelband dar: Klaus Grubmüller / Markus Stock (Hgg.): Automaten in Kunst und Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2003.

[2] Dies lässt sich nicht nur in der von Truitt zitierten, lateinischen Beschreibung der Straßburger Münsteruhr, sondern bereits in der deutschen Version von 1578 nachlesen: Conrad Dasypodius: Wahrhafftige Außlegung des astronomischen Uhrwerks zu Straßburg, Straßburg 1578, Vorrede.

Susanne Thürigen