sehepunkte 15 (2015), Nr. 6

Rudolf A. Mark: Krieg an fernen Fronten

"Nicht erst mit der Bundeswehr wurde der Hindukusch deutsches Einsatzgebiet!", heißt es im Klappentext zum vorliegenden Werk des Historikers für Osteuropäische Geschichte Rudolf A. Mark. Mit den aktuellen Vorgängen am Hindukusch hat das Buch freilich nichts zu tun. Es behandelt nämlich den Ersten Weltkrieg und reicht in seiner Darstellung bis zum Jahr 1924 in die Zeit der Weimarer Republik hinein. Insoweit ist es als Ergänzung zur Flut an Büchern zum Ersten Weltkrieg zu sehen, die in den letzten beiden Jahren auf den Markt kamen. Marks Buch schildert hier ein bislang weitgehend unbekanntes Kapitel des Ersten Weltkrieges. Ferner kann sein neues Buch als Fortsetzung seines 2012 erschienenen Werkes: "Im Schatten des "Great Game". Deutsche "Weltpolitik" und russischer Imperialismus in Zentralasien 1871-1914" gelesen werden, an das "Krieg an fernen Fronten" nun inhaltlich anknüpft und da fortfährt, wo es 2012 endete. In beiden Büchern beschäftigt er sich näher mit der deutschen Außenpolitik, genauer mit der Berliner "Orientpolitik" als einem Element der deutschen Weltpolitik (man denke hierbei an Fritz Fischer).

Im Zentrum von Rudolf Marks Buch stehen die deutschen Bemühungen, in Zentralasien während des Ersten Weltkrieges einen Aufstand der dortigen muslimischen Bevölkerung gegen die russische Herrschaft zu entfachen, um sich dort selbst festzusetzen (vgl. 7). Hierzu will Mark "Lücken und weiße Flecken beseitigen helfen" (8), gerade im Hinblick auf die Vorgänge im damaligen Russisch-Turkestan, die so bisher von der Forschung kaum oder gar nicht beachtet wurden. Deutsche Versuche, einen Dschihad anzuzetteln, gab es nicht nur in Zentralasien, sondern auch auf der Arabischen Halbinsel. Berlin hegte die Hoffnung, ein vom Osmanischen Reich ausgerufener "Heiliger Krieg" würde die Muslime in den Kolonien und Gebieten im Herrschaftsbereich der Entente-Mächte sowie Russlands zum Aufstand bringen. Damit hofften die Deutschen, ihre Kriegsgegner entscheidend schwächen und besiegen zu können. Die Orientpolitik der Deutschen ist schon Gegenstand einzelner Untersuchungen gewesen, in denen Personen wie Werner Otto von Hentig, Max von Oppenheim oder Wilhelm Wassmuss, die sich bei Mark wiederfinden, eine Rolle spielen.[1]

Mark nun hat seine Studie "grundsätzlich chronologisch" angelegt, einige Kapitel dagegen sind "eher thematisch angelegt" (11). Sein Werk ist auf diese Weise in sechs große Kapitel unterteilt. Nach einer knappen Einleitung (7ff.) beginnt Mark seine Schilderung im zweiten Kapitel mit Turkestan und der deutschen Kriegszielpolitik, zunächst die Jahre 1914-1916 umfassend (13ff.). Hier erfährt der Leser mehr über die "russländische Kolonie Turkestan" (14ff.), aber auch über die deutschen Pläne für den Osten (vgl. 17ff.). Dazu beschreibt Mark die für diese Pläne wichtige Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) unter Leitung Max von Oppenheims (22ff.). Die NfO stellte verschiedene deutsche, aber auch Experten bzw. Exilpolitiker aus Russland, Persien oder auch aus Indien ein. Es wurden ferner Propagandabroschüren verfasst, "nationale Kommittees" gegründet sowie islamische Kriegsgefangene in deutschen Lagern betreut (vgl. 26ff.). Für diese wurde auf russisch und turk-tatarisch die Zeitung "EL DSCHIHAD" gedruckt (vgl. 27). Anzumerken im Zusammenhang mit den Aktivitäten der NfO ist, dass der Islam damals nicht "als Vorstufe eines panturanischen oder auch nur pantürkischen Reiches" instrumentalisiert wurde (30). Im daran anschließenden Kapitel III wendet Mark seine Aufmerksamkeit den Deutschen in Mittelasien zu, die der Krieg dort überraschte (49ff.). In diesem Kapitel berichtet Mark vom Versuch einer deutsch-türkischen Mission sowie über die Mission von Hentigs und Oskar Niedermayers nach Afghanistan, auf der auch das Titelbild aufgenommen wurde (vgl. 97ff.). In Kapitel IV befasst sich Mark mit Revolution und Kriegsende im Osten (129ff.). Die Deutschen hielten die Oktoberrevolution für ihre Pläne in Zentralasien für förderlich, da nun die "Unabhängigkeitsbestrebungen der nichtrussischen Völker" immer deutlicher wurden (138). Allerdings mussten sie nicht nur weiter mit den Russen in diesem Raum rechnen, sondern auch mit Briten, Afghanen und selbst den Türken. Ein weiteres wesentliches Problem war auch die sehr schlechte Nachrichtenlage (vgl. 138). Nicht zuletzt fehlten den Deutschen schlicht die personellen sowie materiellen Mittel, sich in Zentralasien stärker zu engagieren. Auch hier waren ihnen die Briten mit dem Entsenden starker Truppenverbände zuvorgekommen (vgl. 150). Das Kapitel V behandelt vor allem das Schicksal der deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen (169ff.), deren Los lange im Dunkeln blieb. In Berlin dachte man zeitweilig daran, die dortigen deutschen Kriegsgefangenen für deutsche Zwecke zu instrumentalisieren. Die Rote Armee wollte auf dieses Menschenpotenzial selbst zurückgreifen und sie für ihre Reihen rekrutieren. Viele der Gefangenen jedoch wollten eigentlich nur eines, wieder heim kommen. Tatsächlich schlossen sich aber nicht wenige der deutschen und österreichischen Gefangenen der Roten Armee freiwillig an. So waren sie an der Niederwerfung Bucharas maßgeblich beteiligt (vgl. 183ff.). Es folgt noch ein Kapitel VI, das die deutschen Wirtschaftsinteressen in Turkestan in der Zeit der Weimarer Republik bis 1924 behandelt, ebenso aber auch Enver Paschas turkestanisches Projekt (193ff.). Bemerkenswert ist, dass sich Veteranen wie von Hentig und Niedermayer auch nach der Kriegsniederlage, vom Chef der Reichswehr General von Seeckt dazu ermuntert, wieder mit afghanisch-indischen Projekten befassten (vgl. 195).

In seiner Schlußbetrachtung (213ff.) kommt Mark zum Fazit, dass die Deutschen im Ersten Weltkrieg nicht die Errichtung eines "orientalisch-islamische[n] Reic[hes] zur Förderung deutscher Weltbeherrschungspläne" beabsichtigten (213). Vielmehr versuchte man, "mit Hilfe des verbündeten Osmanischen Reiches [...] die islamischen Untertanen ihrer Kriegsgegner zum Dschihad als antikoloniale Erhebung aufzurühren" (ebd.). Wichtig festzuhalten ist, dass die deutschen Kriegsziele und -pläne in Zentralasien "zu keinem Zeitpunkt Resultat einer soliden Planung, sondern [...] eher Ergebnis einer Politik [waren], deren Absichten die verfügbaren Ressourcen nicht entsprachen" (214). Die aktuellen Vorgänge gerade auch in Zentralasien zeigen jedoch deutlich, dass auch lange nach 1914-1918 diese Räume weiterhin einen "Schauplatz von Mächteinteressen" bilden (215), worin der lange Nachhall des Ersten Weltkrieges noch heute zu spüren ist.

Mark gebührt unbedingt das Verdienst, sich einem wenig bekannten Thema gewidmet zu haben, womit er den zahllosen Untersuchungen zum Ersten Weltkrieg eine neue Facette hinzufügt und damit eine Lücke füllen konnte. Nicht weniger verdienstvoll ist auch die Darstellung des Loses der deutschen Kriegsgefangenen in Zentralasien, wozu Mark aus Quellen aus usbekischen und russischen Archiven schöpfen konnte. Allerdings weckt der Titel des Buches Erwartungen beim Leser, die so nicht eingehalten werden können. Denn einen regelrechten Krieg in Zentralasien oder in Russisch-Turkestan, der West- oder Ostfront vergleichbar, hat es dort eben nicht gegeben. Über kleinere Unternehmungen gingen die deutschen Pläne nicht hinaus. Bei manchem Aspekt hätte man sich eine weitere Vertiefung gewünscht, zu schnell und bisweilen etwas zu knapp enden manch interessante Kapitel, was wohl eher am Quellenbestand liegen mag. Angaben aus russischen Quellen über deutsche subversive Aktivitäten werden problematisiert bzw. oft als übertrieben hingestellt, doch hatten die Russen durchaus Grund solche Unternehmungen, die ja auch von Mark beschrieben werden, zu fürchten. Den Lesefluss trüben daneben einige Ungenauigkeiten und leicht vermeidbare Redundanzen sowie typographische Fehler, die eher zu Lasten des Lektorats gehen. Dass überhaupt wenig bekannte Quellen aus z. T. entlegenen Archiven ausgewertet wurden, muss Mark hoch angerechnet werden, wie auch die Tatsache, hier ein Werk vorgelegt zu haben, das eine auch heute noch sehr aktuelle Weltregion in den Fokus gebracht hat. Sein Buch belegt einmal mehr in überzeugender Weise, dass es sich bei dem Ersten Weltkrieg in der Tat um einen "Weltkrieg" gehandelt hat, der auch noch so entfernte Gebiete und deren Bewohner erfasste.


Anmerkung:

[1] Siehe Stefan M. Kreutzer: Dschihad für den deutschen Kaiser: Max von Oppenheim und die Neuordnung des Orients 1914-1918; Hendrik Gröttrup: Wilhelm Wassmuss: Der deutsche Lawrence. Berlin 2013; Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen: Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg. Berlin 2014.

Rezension über:

Rudolf A. Mark: Krieg an fernen Fronten. Die Deutschen in Zentralasien und am Hindukusch 1914-1924, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 285 S., ISBN 978-3-506-77788-1, EUR 34,90

Rezension von:
Dario Vidojković
Institut für Geschichte, Universität Regensburg
Empfohlene Zitierweise:
Dario Vidojković: Rezension von: Rudolf A. Mark: Krieg an fernen Fronten. Die Deutschen in Zentralasien und am Hindukusch 1914-1924, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 6 [15.06.2015], URL: https://www.sehepunkte.de/2015/06/23823.html


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