Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Maren Röger, Warschau


Odessa im frühen 20. Jahrhundert ist der eigentliche Protagonist von Vladimir Jabotinskys, Die Fünf, Berlin 2012. Über sieben Jahrzehnte nach der russischen Erstausgabe ist der Roman ins Deutsche übertragen worden - endlich muss man angesichts des großen Lesevergnügens hinzufügen. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen die fünf Kinder der Familie Milgrom, darunter durchaus exzentrische Charaktere, anhand derer der politische Wandel in Odessa und Russland nachgezeichnet wird. Der Roman ist eine Liebeserklärung an die multikulturelle und polyglotte Metropole am Schwarzen Meer. Er würde das Leben mit allem Unglück wiederholen, wenn er "es nur noch einmal in Odessa beginnen könnte", lässt Jabotinsky - bekannt für sein politisches Engagement in der zionistischen Bewegung - seinen Ich-Erzähler sagen. Doch der Roman ist gleichzeitig ein Abgesang auf das heitere Odessa, dessen Bewohner nach der Jahrhundertwende in den Sog von Nationalismen und Ideologien geraten.

In den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs spielt Józef Wittlin, Das Salz der Erde, Frankfurt am Main 2000 [Erstausgabe 1937, erstmals auf Deutsch 1969] - ein Roman, den ich nicht deshalb empfehle, weil im Gedenkjahr 2014 unbedingt auch auf meiner Liste ein Titel zum Ersten Weltkrieg stehen muss soll, sondern weil dieser Klassiker völlig zu Unrecht in partielle Vergessenheit geriet. Der Protagonist Piotr Niewiadomski - was mit Peter Unbekannt oder Peter, der Ahnungslose, übersetzt werden kann - lebt zufrieden als Bahnwärter in den Peripherien des Habsburger Imperiums bis er an die Front einberufen wird. Wittlin schildert eindringlich, wie hilflos Niewiadomski der sich in Bewegung setzenden Militärmaschinerie gegenübersteht, die ihn und Tausende weitere Unwissende ihrer Individualität beraubt und zu Nummern macht.

Inzwischen weitestgehend vergessen sind auch die Romane von Gregor von Rezzori, der in der frühen Bundesrepublik große Erfolge feierte, zu dem aber viele Literaturkritiker Distanz bewahrten, wohl wegen seiner großen Offenheit für das Unterhaltungssegment. Geboren und aufgewachsen in Czernowitz spielen zahlreiche seiner Erzählungen in der Bukowina, einem Ort, der oft als multikulturelles Idyll beschrieben wurde. Eine Entdeckung waren für mich von Rezzoris Memoiren eines Antisemiten, München 1979 - ein Buch, bestehend aus fünf Erzählungen, das bereits durch seinen Titel provoziert(e). Als Pseudo-Autobiographie verfasst, beschreibt von Rezzori darin Ursachen und Formen antijüdischer Vorurteile in den multikulturellen Regionen Europas.

Während Jabotinsky und Wittlin lange auf ihre Übersetzung ins Deutsche warten mussten, erschien Joanna Bators, Sandberg, Frankfurt am Main 2011, erfreulicherweise nur zwei Jahre nach der polnischen Erstausgabe. Am Beispiel mehrerer Familien entfaltet Bator in dem Roman ein Panorama der jüngeren polnischen Geschichte. Schwerpunktmäßig beleuchtet sie den Alltag in der Bergbaustadt Wałbrzych im sozialistischen Polen und dann in der politisch-wirtschaftlichen und mentalen Umbruchsphase nach 1989. Bis 1945 war Wałbrzych eine deutsche Stadt, Waldenburg. Entsprechend ist der Roman auch eine Erzählung über die tiefgehende Entwurzelung, die viele Polen im und nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben, die (Un-)Möglichkeit sich neue Wohnorte zur Heimat zu machen und die Zerstörung eines multikulturellen Landes durch den Krieg.

Die jüngere tschechische Geschichte ist Thema des Graphic Novel Alois Nebel (Jaroslav Rudiš/Jaromír 99; Dresden 2012), einem Bestseller im Nachbarland, der inzwischen verfilmt wurde und 2013 auch in die deutschen Kinos kam. Protagonist ist wie bei Wittlin ein Bahnwärter, der titelgebende Alois Nebel, der lange ein ruhiges Leben führt und das ihn umgebende Zeitgeschehen weitgehend ausblendet. Doch dann bekommt Neben stärker werdende Visionen. Er sieht Geisterzüge, die etwa Deutsche zu Kriegsende aus dem Land bringen.

Und zum Schluss sei Denjenigen, die von guten und vor allem schön gestalteten Büchern nicht genug bekommen kann, ein anderer Klassiker ans Herz gelegt: Eine Mitgliedschaft bei der Büchergilde Gutenberg.