Rezension über:

Virginia Blanton / Veronica O'Mara / Patrizia Stoop (eds.): Nuns' Literacies in Medieval Europe: The Hull Dialogue (= Medieval Women: Texts and Contexts; Vol. 26), Turnhout: Brepols 2013, XXXIII + 367 S., ISBN 978-2-503-53972-0, EUR 90,00
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Rezension von:
Cordelia Heß
Centrum för medeltidsstudier, Universität Stockholm
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Cordelia Heß: Rezension von: Virginia Blanton / Veronica O'Mara / Patrizia Stoop (eds.): Nuns' Literacies in Medieval Europe: The Hull Dialogue, Turnhout: Brepols 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/07/23965.html


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Virginia Blanton / Veronica O'Mara / Patrizia Stoop (eds.): Nuns' Literacies in Medieval Europe: The Hull Dialogue

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Die in diesem Band versammelten Beiträge stammen von der im Juni 2011 an der University of Hull abgehaltenen Konferenz gleichen Titels. In vier Sektionen präsentieren siebzehn Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse über Lese- und Schreibpraktiken in mittelalterlichen europäischen Frauenkonventen. So entsteht eine breite Palette von Fallstudien unterschiedlicher Größe und Ausrichtung, die insgesamt ein ungemein vielfältiges und breites Bild nicht nur der Schriftkultur, sondern des weiblichen Religiosentums insgesamt ergeben - der Plural "Literacies" im Titel ist wegweisend für den ganzen Band. Der geographische Schwerpunkt liegt, der Überlieferung folgend, auf dem nordgermanischen Raum: Norddeutschland, Niederlande, Schweden. Da hier, wie in der Einleitung ausgeführt, derzeit die größten Forschungsprojekte zum Thema angesiedelt sind und damit am ehesten eine Vergleichbarkeit des Forschungsstandes gegeben ist, wurde darauf verzichtet, einzelne Beiträge etwa über Italien oder Spanien einzuwerben.

Das erste Kapitel versammelt unter dem Titel "Literacy and Nuns: Finding and Interpreting the Evidence" Fallstudien, in denen die Schwierigkeiten deutlich werden, Schreibkundigkeit und Textnutzung von Frauen festzumachen. Das Lesen in den Randbemerkungen und Glossen, das Auffinden von Auftraggeberinnen und die Rekonstruktion ihrer Beiträge zum Inhalt der Manuskripte, oder die nachzuweisende pragmatische Schriftlichkeit in den Rechnungsbüchern der Konvente werden hier als notwendige Bestandteile des wissenschaftlichen Arbeitens über schriftkundige Nonnen behandelt. Die Beiträge reichen von St. Servatius in Quedlinburg im 10. Jahrhundert über Fontevrault bis Zwiefalten und der Schreiberin Mathilde von Neuffen, und weiter bis ins England des 15. Jahrhunderts, wo die Befunde weniger eindeutig und seltener sind. Veronica O'Mara beispielsweise stellt in ihrem Beitrag "The Late Medieval English Nun and her Scribal Activity: A complicated Quest" fest, dass es für die Schreibtätigkeit englischer Frauen keine allgemeinen und eindeutigen Belege gibt, weder für Religiose noch für Laien. Hier wird auch deutlich, dass die Zugehörigkeit zum selben Orden nicht automatisch Gemeinsamkeiten in der Schriftnutzung bedeutet, denn nicht einmal das Birgittenkloster Syon hatte ein eigenes Skriptorium, während die Birgittinen in Vadstena und Nürnberg prominente Beispiele von Schreiberinnen aufweisen.

Im zweiten Kapitel "Language and Literacy: Latin and the Vernacular" schöpfen die Beiträge stärker aus dem Vollen, was die Überlieferung betrifft. Monica Hedlund listet viele der namentlich bekannten Schreiberinnen aus Vadstena auf, die sowohl Latein als auch Altschwedisch schrieben, und weist in einem Appendix sogar auf ihre jeweiligen Kenntnisse und Vorlieben bezüglich Abkürzungen, Nasalstrichen und Logogrammen hin. Eine noch breitere Quellenbasis nutzt Cynthia J. Cyrus, die sieben Wiener Konvente vergleicht und dabei feine Unterschiede in der Verwendung von Latein und Volkssprache zwischen den einzelnen Häusern ausmachen kann und anstelle von klar abgrenzbaren Kategorien ein "Kontinuum" (132) zwischen den beiden Sprachen feststellt. Cyrus betont auch die Bedeutung der Bilingualität für eine weitgehende Unabhängigkeit der Nonnen von männlichen Klerikern für Andacht, Liturgie und Lernen. Thom Mertens schließt diese Sektion mit einem Beitrag über die mittelniederländischen Gebetbücher der Devotio moderna. Ausgehend von Geert Grootes Stundenbuch beleuchtet er die Techniken der Übersetzung, Vereinfachung und Vermittlung lateinischer Texte, die eine Appropriation monastischer Praktiken durch Laien ermöglichten und damit die Dynamik des Verhältnisses Klerus-Laien in den Konventen der Schwestern vom gemeinsamen Leben bestimmten.

Das dritte Kapitel mit dem Titel "Literate Nuns: Reading and Writing in the Convent" beginnt mit drei Beiträgen von den britischen Inseln. Lisa M. C. Weston und Stephanie Hollis arbeiten jeweils vor allem die sozialen und politischen Aspekte der angelsächsischen Klöster und der dort gepflegten Texttraditionen heraus, während Virginia Blanton die überlieferten 22 Legendarien aus dem 13.-15. Jahrhundert untersucht, die mit englischen Nonnenklöstern in Verbindung gebracht werden können. Sie arbeitet spezifische Lesepraktiken und damit verbundene Kulte von einheimischen weiblichen Heiligen heraus. Alfred Thomas geht am Beispiel Agnes' von Böhmen und Kunigundes erneut auf die Bedeutung monastischen Lebens für Fürstenhöfe ein. Regina Dorothea Schiewer nutzt die St. Georgener Predigten, die als Andachtslektüre für Nonnen dienten, um die massenhafte Produktion von Sermones in den dominikanischen Nonnenklöstern bei gleichzeitiger spezifischer Adaption und Textgestaltung zu untersuchen. Die Sektion schließt mit zwei weiteren Beiträgen über Vadstena, von Ingela Hedström und Jonas Carlquist.

In der letzten Sektion "Authorship and Nuns: Writing by the Nun for the Nun" sind zwei der seltenen Beispiele dokumentiert, in denen die Autorinnenschaft von Nonnen als gesichert angesehen werden kann, beide aus den Niederlanden. Wybren Scheepsma stellt die Autorin Griet Essinchghes aus Diepenveen vor und beleuchtet damit einmal mehr die Schreibkultur innerhalb der Devotio moderna, hier anhand der vier bekannten Schwesternbücher. Im letzten Beitrag beschreibt Patricia Stoop die Zisterzienserinnen aus Ter Kameren und ihre Praxis, die Predigten ihres Priesters niederzuschreiben.

Wie die Herausgeberinnen in der Einleitung schreiben, ist der Band "Nuns' Literacies" ein Versuch eines "multum in parvo" (xxxii). Wenn es etwas an dieser gelehrten, vielfältigen und dennoch fokussierten Sammlung auszusetzen gibt, dann sind es die wiederkehrenden Demutstopoi in der Einleitung bezüglich der Grenzen der hier versammelten Erkenntnisse in Bezug auf ihre Allgemeingültigkeit, Vergleichbarkeit etc. - angesichts der Vielfältigkeit der Phänomene, die mit dem Themenkomplex "Schriftlichkeiten von Nonnen" zusammenhängen, sowie der Unterschiedlichkeit in der Überlieferung in den verschiedenen europäischen Regionen scheint es weder erwartbar noch erstrebenswert, eine Gesamtsicht zu erarbeiten. Stellenweise hätte sicherlich, wie in vielen Anthologien, eine deutlichere Bezugnahme zwischen den einzelnen Beiträgen nicht geschadet - die drei ForscherInnen etwa, die über Vadstena arbeiten, zitieren einander immer wieder, nehmen aber keinen Bezug auf die Arbeiten aus anderen Regionen. So zeigt die jeweils in den Beiträgen benutzte Literatur die nach wie vor stark nationalstaatlich gebundene Forschung - umso erfreulicher ist es, dass der "Hull Dialogue" in seiner Gesamtheit tatsächlich einen Dialog zwischen ExpertInnen der am besten erforschten Regionen, Orden und Quellenkorpora eröffnet.

Cordelia Heß