sehepunkte 14 (2014), Nr. 2

Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt

Äußern sich deutsche Historiker zur Europäischen Union oder zur Eurozone, dann sind das meist affirmative Kommentare zum Leitbild eines sich immer enger zusammenschließenden supranationalen Institutionengeflechts und zum Eurokurs der letzten Bundesregierungen. Der Bonner Historiker Dominik Geppert beschreitet einen anderen Weg, indem er in ruhigem, aber klarem Ton die desaströsen Konsequenzen der Euro-Rettungsmaßnahmen benennt: Diese drohten die "Errungenschaften von über dreihundert Jahren westlicher Demokratiegeschichte und Rechtsstaatstradition zu untergraben. Sie bringen die Budgethoheit der nationalen Parlamente zum Verschwinden. Und sie gefährden die Prinzipien von no taxation without representation und one man one vote." (106) Zudem befeuerten sie die Nationalismen Europas neu, anstatt sie abzubauen, und vertieften die Spaltung Europas in Nord- und Südstaaten sowie Euro- und Nichteuroländer.

Nachdem die Forschung mittlerweile klar belegt hat, dass der Euro zwar nicht anlässlich der Wiedervereinigung erfunden, aber doch maßgeblich in diesem Kontext auf den Weg gebracht wurde [1] und insofern durchaus ein Zugeständnis der Deutschen - gegen ihre eigenen Interessen - für die Zustimmung der Franzosen zur Wiedervereinigung war [2], wurde der Euroraum zwar zunächst nach den deutschen Stabilitätsprinzipien konzipiert. Die Stabilitätsarchitektur wurde aber schrittweise unterlaufen: zuerst durch die Aufnahme nicht vorbereiteter südeuropäischer Staaten und Belgiens in die Eurozone, dann durch die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Zentralbank und die Veränderung ihrer Ausrichtung auf konjunkturpolitische Ziele und Anleihekäufe zugunsten der überschuldeten Krisenländer. Dies hatte die Isolierung des Bundesbankvertreters im Zentralbankrat zur Folge.

Geppert zeigt jedoch auch, dass der europäische Einigungsprozess von Anfang an von höchst unterschiedlichen nationalen Erwartungen bestimmt und von zahlreichen Krisen begleitet war. Die Monnet-Methode der Integration durch Krisen sieht er nun aber wie auch das deutsch-französische Tandem an ein Ende gelangt. Stattdessen empfiehlt er ein an Großbritannien und den Vorschlägen David Camerons orientiertes "Europa der Vaterländer", das sich in unterschiedlichen Verbindungen flexibel zusammenfindet, ohne weiter die ohnehin von den meisten unserer Nachbarn nicht geteilte Vision einer weiteren Vereinigung und Zentralisierung der EU zu verfolgen. Auch von den Weltmachtambitionen, wie sie Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian Nida-Rümelin - ähnlich wie in der berühmten Freiburger Antrittsvorlesung Max Webers von 1895 - träumten [3], rät Geppert dringend Abstand zu nehmen. Europa könne und solle den USA und China nicht Paroli bieten.

Bei der Frage nach der Zukunft des Euro bleibt Geppert etwas vage. Zustimmend zitiert er den einstigen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Hansjörg Häfele: "Wer sich nicht an die Regeln hält, entscheidet sich für den Austritt aus dem Euroverbund." (182) Notfalls empfiehlt Geppert etwas sybillinisch einseitige Schritte der Bundesregierung; der französische Staatspräsident Charles de Gaulle habe Mitte der 1960er Jahre "aus nichtigerem Anlass eine Politik des leeren Stuhls betrieben". (183)

Geppert zeigt eindringlich die Fragwürdigkeit historischer Legitimationsdiskurse, welche für den Euro und die EU bemüht werden. In der Geschichte der EU und des Euro wurden immer unterschiedliche nationale Interessen zur Geltung gebracht, die auch in Zukunft bestehen bleiben. Wolle man dem Schicksal Belgiens mit seinen kaum handlungsfähigen Proporzregierungen entgehen, so Gepperts Botschaft, müsse man umsteuern: weg von der vertieften Integration, hin zu einem dezentralen, flexiblen, offenen europäischen Netzwerk, das auf einer begrenzten, aber stabilen Rechtsgrundlage beruht.

Der Autor tritt nicht als rückwärtsgewandte Kassandra auf, die ex post alles besser weiß, denn schon vor Einführung des Euro hatte er an einem Buch mitgearbeitet, das die meisten der nun eingetretenen Befürchtungen zu Papier brachte. [4] In letzter Zeit sind nun eine ganze Reihe von kritischen Büchern zum Euro und zur EU erschienen, und der Eindruck drängt sich auf, dass Europa bei diesen Kritikern und politisch Inkorrekten in wesentlich besseren Händen ist als bei den Berufseuropäern unterschiedlicher Couleur. Zumindest sollte endlich auch in Deutschland eine breite Debatte darüber entstehen, welche Alternativen zum Status quo denkbar sind. Gepperts Buch bietet für eine solche Diskussion fundierte, in eine schnörkellose Sprache gekleidete Argumente.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009, 264-270; Wilfried Loth: Helmut Kohl und die Währungsunion, in: VfZ 61 (2013), 455-480.

[2] So äußerte sich zumindest Bundeskanzler Helmut Kohl drei Tage nach dem entscheidenden EG-Gipfel im Dezember 1989 gegenüber US-Außenminister James Baker. Kohl rechtfertigte diesen Schritt damit, dass Deutschland Freunde brauche, was Geppert angesichts der gegenwärtigen Feindseligkeiten in Europa für einen Trugschluss hält (132).

[3] Vgl. den Artikel "Habermas, Bofinger, Nida-Rümelin. Für einen Kurswechsel in der Europapolitik", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. August 2012.

[4] Arnulf Baring in Zusammenarbeit mit Dominik Geppert: Scheitert Deutschland? Abschied von unseren Wunschwelten, Stuttgart 1997.

Rezension über:

Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro, Hamburg: Europa Verlag 2013, 189 S., ISBN 978-3-944305-18-9, EUR 16,99

Rezension von:
Peter Hoeres
Würzburg
Empfohlene Zitierweise:
Peter Hoeres: Rezension von: Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro, Hamburg: Europa Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/02/23757.html


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