Rezension über:

Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit, München: C.H.Beck 2013, 298 S., 7 Kt., 53 Farb-, 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-65217-2, EUR 24,95
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Rezension von:
Patrick Kupper
ETH Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Kupper: Rezension von: Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit, München: C.H.Beck 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/23616.html


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Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn

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Eine andere Geschichte der Menschheit verspricht uns der Untertitel von Küsters neuem Buch. Diesem Anspruch hält es nicht stand. Was wir vorgesetzt bekommen, ist vielmehr eine Geschichte der Kulturpflanzen, geschrieben aus vorwiegend europäischer Sicht. Innerhalb der chronologisch angeordneten Kapitel ist das Material entlang von Pflanzen bzw. Pflanzengruppen organisiert. Wie der Buchtitel insinuiert, stehen Kulturpflanzen, die der menschlichen Ernährung dienen, im Zentrum, aber Küster schreibt auch über Pflanzen, die Menschen als Genussmittel oder Werkstoffe kultivierten, wie etwa Tabak oder Hanf. Am Ende des Buchs steht ein Register der Pflanzennamen. Dieses ist sehr nützlich, in seiner Fokussierung auf die Pflanzen aber auch bezeichnend für das Werk als Ganzes. Aus umweltgeschichtlicher Warte überzeugt Küsters Behandlung der Thematik nämlich nicht. Seine Schilderungen historischer Prozesse und gesellschaftlicher Interaktionen mit der Umwelt bleiben insgesamt an der Oberfläche und erwecken im Detail wenig Vertrauen.

Am stärksten sind die Kapitel zu den prähistorischen Zeiten. Hier gelingt es Küster unter Verweis auf archäologische und paläobotanische Forschungsergebnisse, den Prozess der Kultivierung wilder Pflanzen und dessen räumliche Verbreitung plausibel zu machen. Anschaulich vermittelt er, wie eine von Menschen ausgehende Selektion eine allmähliche Auseinanderentwicklung von Wild- und Kulturpflanzen bewirkte und zu einer grundsätzlichen Veränderung des menschlichen Umwelteinflusses führte. Mit Ackerbau und Sesshaftigkeit wandelte sich die Lebensweise von einer Natur aneignenden zu einer Natur produzierenden. Dies erlaubte es diesen Gesellschaften wiederum, Wachstumsbeschränkungen zu durchbrechen. Je weiter Küster in die historische Zeit vordringt und je wichtiger die Auswertung schriftlicher Quellen wird, desto einseitiger wird die Darstellung: So manche Passage wirkt historisch unterbelichtet. Der Tiefpunkt wird im Schlusskapitel erreicht, das eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand vermissen lässt und stattdessen ein Loblied auf die moderne Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie anstimmt.

Bei den eher spärlichen Exkursen, in denen gesellschaftliche Aspekte ins Zentrum gerückt werden, oder auch bei den kurzen Verweisen auf solche, würde man gerne wissen, worauf Küster seine Schilderungen stützt. Leider verzichtet das Werk auf Anmerkungen. Dies dürfte eine verlegerische Entscheidung sein. Das Buch richtet sich offensichtlich an ein breites Publikum, was der Verlag mit einer attraktiven Gestaltung und einem günstigen Ladenpreis unterstreicht. Neben vielen Farbfotos von Pflanzen und einigen historischen Darstellungen finden sich auch mehrere hilfreiche Karten, welche die räumliche Ausbreitung des Kulturpflanzenbaus illustrieren. Hinweise zu Küsters wissenschaftlichen Grundlagen gibt das nach Kapiteln geordnete Literaturverzeichnis. Aufgeführt sind vorwiegend naturwissenschaftliche Titel, einschlägige historische Studien sucht man hingegen vergeblich. Seltsam mutet schließlich Küsters Verwendung (und Kritik) des Begriffs "Anthropozän" an. Ohne Referenzen zu nennen, lässt er das Anthropozän mit der Einführung des Ackerbaus beginnen. In der seit einigen Jahren breit geführten internationalen und interdisziplinären Debatte wird der Begriff jedoch als Bezeichnung für ein neues geologisches (und umwelthistorisches) Zeitalter beginnend um 1800 mit der Industrialisierung und dem Aufstieg der Menschheit zu einer global wirksamen geologischen Kraft diskutiert. [1]

Die hier geäußerte Kritik dürfte Küster eigentlich nicht überraschen, merkt er doch selbst an: "eine engere Verzahnung zwischen Naturwissenschaft und Kulturgeschichte ist weiterhin ein Desiderat" (19). Daran ändert Küsters Buch leider nichts.


Anmerkung:

[1] Steffen, Will / Paul J. Crutzen / John R. McNeill: The Anthropocene: Are Humans Now Overwhelming the Great Forces of Nature, in: AMBIO: A Journal of the Human Environment, 36/8 (2007), 614-621.

Patrick Kupper