sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8

Scott Kaufman: Project Plowshare

"Atoms for Peace" - mit diesem Schlagwort hatte US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 einen Wandel in der amerikanischen Nuklearpolitik verkündet, in deren Zentrum nicht länger die militärische, sondern die zivile Nutzung der Kernkraft stehen sollte. Die Kernenergie avancierte in den 1950er Jahren zur Schlüsseltechnologie der Zukunft, an die sich hochgestimmte Erwartungen an ein paradiesisches Zeitalter unbegrenzter Energieressourcen hefteten. Die von der US-Regierung initiierte "Atoms for Peace"-Kampagne zielte indes nicht allein auf den Bau von Kernkraftwerken, sondern implizierte experimentelle Vorhaben unterschiedlichster Art, darunter etwa die Konstruktion reaktorbetriebener Schiffe und Autos.

Ein von der Forschung bislang noch kaum beleuchtetes Kapitel dieser Entwicklung war das "Project Plowshare", zu dem Scott Kaufman, Historiker an der Francis Marion University in South Carolina, nun eine originäre Monographie vorgelegt hat. Das unter Ägide der Atomic Energy Commission (AEC) durchgeführte Programm verfolgte das Ziel, Nuklearexplosionen für Ressourcenförderungs- und Infrastrukturprojekte vorzunehmen; konkret: Sprengungen zur Konstruktion von Kanälen, Gräben, Straßen und Häfen sowie zur Erschließung tief liegender Öl- und Gasvorkommen. Herzstück war der Bau eines zweiten "Panama-Kanals" für den Handelsverkehr zwischen Pazifik und Atlantik. Die Geschichte des "Plowshare"-Programms, das 1957 einsetzte und 1978 aufgrund von anhaltenden Finanzierungsproblemen, rechtlichen Hürden und zivilgesellschaftlichem Protest eingestellt wurde, ist im Kern eine Geschichte des Scheiterns. Denn wenngleich die AEC insgesamt 27 Testexplosionen durchführte, konnte keines der ambitionierten Projekte realisiert werden.

Kaufman gliedert seine mit 233 Seiten (ohne Endnoten) gut lesbare Studie in neun Kapitel und eine Schlussbetrachtung. Die Chronologie der Teilprojekte des "Plowshare"-Programms wird in der Darstellung weitgehend beibehalten. Systematische Einschübe in den Einzelkapiteln brechen die chronologische Struktur jedoch immer wieder gewinnbringend auf. Einleitend expliziert Kaufman sein Vorhaben, das AEC-Programm nicht nur als "story of budgetary appropriations, the science of the atom, or the intense debates over whether to conduct individual tests" zu historisieren: "It is also the story of the power of an idea, one determinedly advertised by its advocates as new, innovative, and beneficial to the United States, if not the world." (6)

Zur Umsetzung dieses Vorhabens kann der Autor auf eine profunde Materialgrundlage zurückgreifen, die auf der teilweise erstmaligen Auswertung von insgesamt 22 US-amerikanischen und internationalen Archiven (Australien, Panama) basiert. Kaufmans Fokus liegt auf offiziellen Dokumenten aus diversen National Archives und Presidential Libraries. Dadurch wird eine konzise Rekonstruktion der Planungsprozesse innerhalb der US-Administration möglich, wobei die vielschichtigen Positionen und Konflikte zwischen der AEC und anderen staatlichen Stellen mit zahlreichen spannenden Quellenzitaten veranschaulicht werden. Internationale "Plowshare"-Projekte, etwa die Planung eines Hafens in Australien, werden auf gleichsam solider Quellenbasis untersucht.

Umfassend diskutiert der Autor die Einflüsse außen- und sicherheitspolitischer sowie zivilgesellschaftlicher Faktoren. Das "Plowshare"-Programm wird so überzeugend in die Diplomatiegeschichte des Kalten Krieges sowie in die Umweltgeschichte der Vereinigten Staaten eingebettet. Während der Vietnamkrieg umfänglich Haushaltsmittel absorbierte und die Finanzierung diverser Projekte erschwerte (121-122), warf der 1963 von den Atomstaaten unterzeichnete "Limited Test Ban Treaty" zur Eindämmung thermonuklearer Tests die Frage nach der rechtlichen Konformität des Programms auf. Denn in einer strengen Lesart, die Teile der US-Regierung anlegten, bedeutete die Freisetzung von Radioaktivität durch nukleare Sprengungen eine Verletzung internationaler Verträge und damit eine Gefahr für die Entspannungspolitik (87-95). Für die AEC evozierten diese Faktoren insgesamt einen stets prekären Planungs- und Finanzierungsrahmen, den Kaufman anhand mehrerer Fallstudien präzise verdeutlicht.

Ein zweiter Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen "Plowshare"-Projekte. Dieser reichte von einer lokalen Opposition, wie etwa gegen das "Project Chariot", einem Hafenprojekt in Alaska (50-59), bis hin zu landesweiten und medial befeuerten Umweltprotesten gegen Sprengungen zur Gasförderung (197-205). Es gehört zu den ausdrücklichen Vorzügen der Studie, dass sie die Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster zivilgesellschaftlicher Akteure ebenso einholt wie die Binnensicht der AEC auf die Umweltproteste. Insgesamt schärft das Buch den Blick auf die soziale Konfliktdimension großtechnischer Projekte, den administrativen Umgang mit gesellschaftlichen Widerständen und nicht zuletzt auf die Entstehungsgeschichte der US-amerikanischen Umweltbewegung.

Dem ansprechenden multiperspektivischen Untersuchungsrahmen stehen auf der Darstellungsebene jedoch einige Defizite gegenüber. Diese resultieren primär aus der Struktur des Buches. Die strenge Übernahme der programmeigenen Projekt-Chronologie führt mitunter dazu, dass, sobald eine Projektplanung unterbrochen wird, auch das Kapitel abrupt endet und auf einen anderen Schauplatz gewechselt wird. Erst Seiten bzw. Kapitel später wird der inzwischen verlorene Faden dann wieder aufgegriffen. Hiermit verbunden sind auch überflüssige Wiederholungen in der Argumentation: So wird etwa für nahezu jedes Teilprojekt auf die Einflüsse eines statisch wirkenden Faktorenensembles (Vietnamkrieg, internationale Abkommen usw.) verwiesen, ohne dass hier für den Einzelfall deutliche Priorisierungen vorgenommen bzw. Dynamiken herausgearbeitet werden. Dies hätte sich mit einer systematischer angelegten Kapitelstruktur sicherlich vermeiden lassen.

Auch in methodischer Hinsicht kann das Buch nicht vollends überzeugen. Der einleitende Hinweis Kaufmans auf die weltverbessernden Antriebskräfte hinter dem "Plowshare"-Programm lässt die kritische Distanz zu einer der AEC eigenen Rhetorik vermissen. So wird etwa die retrospektive Deutung des ehemaligen AEC-Vorsitzenden Glenn T. Seaborg, innerhalb der Behörde sei vor allem an die "benefits for mankind" gedacht worden, bei Kaufman zur These: "Plowshare was a program constantly on the move, conveying humankind toward a happier future." (225) Der Authentizitätsgehalt derartiger Proklamationen hätte, zumal mit Blick auf das beständige Bemühen der AEC um öffentliche Akzeptanz und institutionelle Legitimation, durchaus weiter hinterfragt werden können.

Trotz dieser Kritikpunkte ist "Project Plowshare" im Ergebnis ein gelungenes Buch, das makro- und mikropolitische Entwicklungen überzeugend zusammenführt, spannende Quellenbefunde enthält und in der Historiographie zur Geschichte der Kernenergie eine wichtige Lücke schließt.

Rezension über:

Scott Kaufman: Project Plowshare. The Peaceful Use of Nuclear Explosives in Cold War America, Ithaca / London: Cornell University Press 2013, XIV + 295 S., ISBN 978-0-8014-5125-6, USD 35,00

Rezension von:
Christoph Wehner
Ruhr-Universität Bochum
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Wehner: Rezension von: Scott Kaufman: Project Plowshare. The Peaceful Use of Nuclear Explosives in Cold War America, Ithaca / London: Cornell University Press 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/07/22676.html


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