sehepunkte 13 (2013), Nr. 6

Philippe Cordez: Charlemagne et les objets

Der Band versammelt die Vorträge von Kunsthistorikern, Historikern und Hilfswissenschaftlern zu "Objekten" Karls des Großen, die im Oktober 2008 auf einer Tagung am "Centre d'Études Médiévales" in Auxerre (Burgund) präsentiert worden waren. Die Artikel der international zusammengesetzten Autorengruppe sind auf deutsch, englisch und französisch verfasst. Den Band beschliessen die Summaries aller Beiträge in englischer Sprache. Auf eine Vorstellung der Autoren wurde leider verzichtet.

Der Kunsthistoriker Philippe Cordez, bereits mehrfach durch die Thematik des "Thesaurus" und der "Thesaurisierung" in Erscheinung getreten, erläutert als Herausgeber einleitend (1-4), dass "Objekt" in seiner heutigen Bedeutung als "Sache mit physischen Grenzen" nicht vor dem 18. Jahrhundert gebraucht wurde (Alexandre Du Sommerad, Honoré de Balzac). Cordez vertritt die These, dass Karl der Große innovativ im Umgang mit Objekten gewesen sei, etwa bei der Akkumulation für den Schatz, den Hort. Er untersucht weiter die Rolle der Objekte für die Konstruktion der Memoria Karls in Vergangenheit und Gegenwart.

Daniel Russo (5-27) führt den Band in gut französischer Manier mit einer semantischen Begriffsbestimmung ein. Demnach erscheint "Objekt" - von lateinisch "obiectum" - erstmals im Umfeld der nominalistischen Philosophie des 13. Jahrhunderts, allerdings noch nicht in der heutigen Bedeutung. In einem zweiten Schritt arbeitet Russo jeweils theoriegeleitet den unterschiedlichen Objektgebrauch in Byzanz und im Westen auf dem Hintergrund des sogenannten Bilderstreites vom 8. bis zum 11. Jahrhundert heraus. Er zeichnet die Wissenschaftsgeschichte des Interesses an den Objekten Karls des Großen (Alois Riegl, Erwin Panofsky) nach, insbesondere an den Handschriften aus der sogenannten Hofschule. Schließlich erörtert er die politische Relevanz der visuellen Symbole.

Claire Sonnefraud (29-55) geht der Frage nach, welche Rolle die systematische Inventarisierung von Besitz - Kirchenschätze, Güter - im Zuge der karolingischen Reform spielten, angeregt durch die Kapitularien Karls des Großen und Ludwigs des Frommen sowie durch die Verbreitung der Regula Benedicti. Als herausragende Beispiele von administrativer Schriftlichkeit behandelt sie die Inventare des Angilbert von Saint-Riquier und die Polyptycha von Saint-Remi in Reims unter Erzbischof Hincmar. Sonnefraud vertritt die Ansicht, dass sowohl die Verwendung der Objekte selbst wie auch deren systematische Inventarisierung Ausdruck des politischen Willens der Karolingerdynastie gewesen sei.

Nathania Girardin (115-134) weist nach, dass bei weitem nicht alle Objekte, die seit dem Mittelalter Karl dem Großen zugeschrieben worden sind, sich in dessen Besitz befanden. Sie zeigt auf, dass und wie seit dem 11. Jahrhundert die Zuschreibung bestimmter Objekte Teil der Erinnerungskultur und der Mythosbildung um Karl den Großen war. In diesem Prozess sei mit Hilfe entsprechender Objekte einerseits ein bestimmtes Bild Karls des Großen geschaffen worden, andererseits hätten die Objekte selbst an Prestige gewonnen, seitdem sie mit Karl dem Großen in Verbindung gebracht wurden. Viola Belghaus (169-208) führt vor, wie sich die Zahl der Karl zugeschriebenen Objekte schlagartig durch die Öffnung des Aachener Karlsgrabes unter Otto III. (1000) und Friedrich I. (1165) vermehrte, Vorgänge, die jeweils mit dem Versuch einhergingen, Karl den Großen zu kanonisieren.

Eine Reihe von "karlischen" Einzelobjekten und Objektgruppen werden monographisch bearbeitet: das Flabellum von Tournus durch Herbert L. Kessler (57-85), die Elfenbeintafeln des Tuotilo - laut St. Galler Hausüberlieferung Schreibtafeln Karls des Großen - durch David Ganz (87-114), schließlich die Siegel Karls ebenso wie auf seinen Namen erfolgte Fälschungen und spätere Siegelbilder durch Andrea Stieldorf (209-231). Philippe Cordez plant eine Datenbank aller Objekte, die durch die Hand Karls des Großen gegangen sein sollen, sei es als sein Besitz, sei es als Geschenk. Er stellt das Konzept seines Projektes beispielhaft an vier Objekten aus Conques aus dem 11./12. Jahrhundert vor (135-167).

Der Band weist - ohne dass der Herausgeber oder die Autoren dies thematisieren würden - auf ein Großereignis des Jahres 2014 voraus, die 1200 Jahr-Feier des Todes Karls des Großen, das - wie üblich - in Symposien und Ausstellungen gewürdigt werden wird. Die in Aachen geplante Ausstellung wird sich insbesondere mit den Objekten befassen, die Karl dem Großen zugeschrieben werden. Die Beiträge des vorliegenden Bandes liefern eine Art Vorab-Reflexion dieser bevorstehenden Ausstellung und ihrer Methodik. Bedauerlich an dem hier angezeigten Band ist der stattliche Preis in Anbetracht von 237 Druckseiten und einer einfachen Paperback-Ausstattung.

Rezension über:

Philippe Cordez: Charlemagne et les objets. Des thésaurisations carolingiennes aux constructions mémorielles (= Das Atelier. Arbeiten zur Kunstgeschichte und zur Museumskunde; Vol. 5), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2012, VI + 240 S., ISBN 978-3-0343-1190-8, EUR 67,70

Rezension von:
Hedwig Röckelein
Georg-August-Universität Göttingen
Empfohlene Zitierweise:
Hedwig Röckelein: Rezension von: Philippe Cordez: Charlemagne et les objets. Des thésaurisations carolingiennes aux constructions mémorielles, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/06/22635.html


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