sehepunkte 13 (2013), Nr. 4

Sabine Appel: Heinrich VIII.

Die Tudors gehören im englischen öffentlichen Bewusstsein beharrlich zu den Gründergestalten einer englischen nationalen Identität. Hierbei stehen vor allem Heinrich VIII. und seine Tochter Elisabeth I. im Scheinwerferlicht des Interesses. Während Maria Tudor nach wie vor als negatives Gegengewicht zu ihrer Halbschwester Elisabeth konstruiert wird, verschwimmen im Allgemeinen die Konturen der anderen beiden Tudorherrscher, Heinrich VII. und Edward VI. Die Anzahl von immer neuen Biographien insbesondere über die beiden Ikonen der Tudormonarchie reißt nicht ab und füllt beständig die Regale auch von nicht-akademischen Buchhandlungen und Museumsläden.

Einen besonderen Aufschwung an Popularität hat Heinrich VIII. anlässlich seines Thronjubiläums 2009 erhalten. Dieses Erinnerungsjahr ist auch in Deutschland zur Kenntnis genommen worden. Vor allem die unter Federführung von David Starkey und Susan Doran äußerst erfolgreich vorgestellte Ausstellung in der British Library bot Nuancen am allgemeinen Image des Monarchen als Frauenheld und Kritiker Roms an, und brachte beispielsweise "the King's Great Matter"- die Scheidung von seiner ersten Frau Katharina von Aragon und den Bruch mit Rom - viel weniger mit Heinrichs Objekt der Begierde, Anne Boleyn, in Verbindung, sondern hob anstelle dessen sehr viel stärker die eher traditionelle persönliche Frömmigkeit des Monarchen hervor. [1] Dagegen blieb die deutsche Berichterstattung doch stark Heinrichs altem Blaubart-Image verhaftet. So bezeichnete ihn die Süddeutsche Zeitung am 12.12. 2011 als "Frauenheld mit Appetit" und auch Die Welt vom 21.04.2009 nannte den Monarchen wenig schmeichelhaft einen "übelriechende[n] Superstar". Das ZDF widmete dem König 2010 eine Miniserie unter dem Titel "Mörder auf dem Königsthron: Prunksüchtiger Tyrann und Frauenheld", der den politischen Realitäten der Renaissance kaum gerecht wird.

Vor diesem Hintergrund bietet die deutschsprachige Biographie der Germanistin Sabine Appel in der Tat eine nuanciertere Studie von Heinrich und seiner Zeit. Obwohl auch in ihrem Buch die Beziehung des Königs zu seinen ersten beiden Ehefrauen und die sich daraus ergebenden politischen und religiösen Umwälzungen im Vordergrund stehen, erfahren die Leser doch auch mehr über die anderen Akteure in diesem politischen Drama: Thomas Cranmer, Thomas Moore, Thomas Cromwell und, aus etwas weiterer Entfernung, Erasmus von Rotterdam. Zudem wird Heinrichs Außenpolitik im letztendlich für ihn wenig erfolgreichen Ringen mit den anderen europäischen Herrschern seiner Zeit vorgestellt. Das ist teilweise gut gelungen, so etwa bei der Darstellung der ewigen Rivalität mit Heinrichs Generationsgenossen Franz I. von Frankreich. Auszüge insbesondere aus Martin Luthers Kommentaren zu Heinrichs Rompolitik und Heinrichs eigenen Schriften gegen den Reformer sind dagegen zwar interessant, aber etwas mühsam durch eine Fülle von überlangen Zitaten, die in jeder akademischen Seminararbeit negativ und mit der Aufforderung, das doch komplexe Thema in eigene Worte zu fassen, angekreidet würden.

Für das Lesepublikum dieses Buches, das sich nicht an Fachhistoriker richtet, dürfte auch das einleitende Kapitel mit einer Tour de Force durch die Ereignisse, die zur Thronbesteigung des ersten Tudors führten, schwer zu verstehen sein. Kaum ein Leser wird wissen, was es mit den "verlorengegangenen Gebiete[n] in Frankreich" (23) oder dem Herzogtum Bretagne im europäischen Kräftemessen der Zeit auf sich hatte. Die Vorgeschichte der Politik Heinrichs VII. bleibt den alten Klischees vom misstrauischen, überkontrollierenden Geizkragen auf dem Thron verhaftet, die in der neueren Forschung überholt sind. [2] Über die Figur Heinrichs VIII. lernt man am Ende vielleicht, dass er in vielen Fällen ein Opfer seiner eigenen Illusionen war, der nicht so leichtfertig mit dem Stand der Ehe umging, wie die Blaubart-Analogie vermuten ließe. Über die Zeit selbst hätte man mehr lernen können. Die Anachronismen und Vergleiche, wie etwa der von Thomas More in seiner Utopia streng eingeschränkten Ausreiseerlaubnis mit dem DDR-Visum (119) sind ebenso irritierend wie die Heinrich unterstellte politische Theorie von der Notwendigkeit des Fürsten, Spaß zu haben, um ein guter Herrscher zu sein (64). Der Vergleich der in vielen Schauspielen als dunkelhaarig dargestellten Lady Macbeth mit der brünetten Anne Boleyn macht wenig Sinn, und auch der Verweis auf einige Tropfen bayerischen Blutes in den Adern der Tudors (16) ist wohl angesichts des allgemein weitverzweigten Heiratsverhaltens des europäischen Adels der Zeit wenig aussagekräftig.

Das Buch bietet eine Zeitleiste, eine Reihe zeitgenössischer Portraits der wichtigsten Protagonisten und eine Bibliographie, die neben den üblichen populärwissenschaftlichen Werken einer Alison Weir auch neuere wissenschaftliche Arbeiten von Tudorspezialisten wie Richard Rex und David Starkey enthält. Wo möglich, hat die Autorin hier die deutschen Übersetzungen angegeben, was dem intendierten Lesepublikum sicherlich entgegenkommt.

Trotz einiger Irritationen hat Sabine Appel ein Buch vorgelegt, das mit einigen Klischees über einen Monarchen aufräumt, dessen Bekanntheitsgrad vor allem durch das Verhältnis zu seinen Ehefrauen geprägt ist. Die Geschichte von Heinrichs sechs Frauen wird auch hier erneut erzählt. Es geht nicht anders. Dennoch erhalten der König und seine Zeit ein etwas nuancenreicheres Profil, und vielleicht regt ja diese Lektüre auch zur weiteren Auseinandersetzung mit Renaissancemonarchien an, für die Heinrich VIII. nach wie vor ein ausgezeichnetes Rollenmodel liefert.


Anmerkungen:

[1] David Starkey / Andrea Clarke / Susan Doran (eds.): Henry VIII. Man and Monarch. On the occasion of the exhibition at The British Library 2009. London 2009.

[2] Siehe beispielsweise Mark R. Horowitz (ed.): Who was Henry VII? The 500th Anniversary of the Death of the the First Tudor King, 1509-2009. In: Historical Research (Special Issue) 82, 217, 2009.

Rezension über:

Sabine Appel: Heinrich VIII. Der König und sein Gewissen. Eine Biographie (= Beck'sche Reihe; 6056), München: C.H.Beck 2012, 320 S., 26 Abb., ISBN 978-3-406-63856-5, EUR 16,95

Rezension von:
Raingard Esser
Rijksuniversiteit Groningen
Empfohlene Zitierweise:
Raingard Esser: Rezension von: Sabine Appel: Heinrich VIII. Der König und sein Gewissen. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/04/22547.html


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