sehepunkte 13 (2013), Nr. 2

Jan-Christoph Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147

Die bei Felicitas Schmieder an der Fernuniversität Hagen erarbeitete Dissertationsschrift von Jan-Christoph Herrmann hat es sich zum Ziel gesetzt, den so genannten Wendenkreuzzug von 1147 näher zu beleuchten. Diesen verbindet man landläufig einerseits mit der großräumigen Kreuzzugsbewegung und andererseits mit der regionalen Eroberungspolitik vor allem der Fürsten Heinrich des Löwen und Albrecht des Bären sowie dem Beginn der Siedlungsbewegung in den östlichen Teilen Deutschlands. Hermann setzt sich ausdrücklich zum Ziel, "den Wendenkreuzzug, der bislang lediglich ansatzweise meist herrschaftspolitisch oder aber missionsgeschichtlich bearbeitet worden ist, in den Zusammenhang der Kreuzzugsbewegung zu stellen. Dabei sollen die unterschiedlichen Aspekte, die es bei dem Phänomen zu betrachten gibt, einmal in Verbindung zueinander gesehen werden: Die europäische Kreuzzugsbewegung, die deutsche Slawenpolitik vom 10. bis ins 13. Jahrhundert (als Kontext), Missionsgeschichte und die Fremdheits- und Heidenbilder" (21). Der Autor muss sich an den Studien vor allem Hans-Dietrich Kahls und Friedrich Lotters messen lassen. Der Wendenkreuzzug ist bislang mittels herrschaftspolitischer und missionsgeschichtlicher Ansätze, insbesondere aber hinsichtlich seiner landesgeschichtlichen Aspekte bearbeitet worden.

Der unmittelbar den Wendenkreuzzug betreffende Quellenbestand ist sehr übersichtlich - man muss vor allem auf Helmold von Bosau als Zeitzeugen verweisen. Diese Quellenzeugnisse sind aber in der Tat schon gut erarbeitet worden. Es ist daher ein guter Ansatz, die größere Perspektive in den Blick zu nehmen - Fragen dazu gäbe es viele: Was unterschied die orientalische von der deutschen Kreuzzugsbewegung - auch und gerade von kurialer Seite? Wie eng war die Eroberungspolitik der christlichen Fürsten mit dem christlichen Gedanken (Gewalt, Zwangstaufen, Apostasie und so weiter) verzahnt? Wie sah die nachfolgende deutsch-slawische Siedlungsbewegung genau aus, und inwieweit lässt sich diese auf den Wendenkreuzzug zurückführen?

Teilweise stellt sich Hermann diesen Fragen, indem er zunächst die Vorgeschichte (Entstehung des Kreuzzugsgedankens; Vorgeschichte der wendischen Stämme samt deren religiösen Vorstellungen; Entstehung, Entwicklung und Untergang des Liutizenbundes) darstellt, um dann sein Hauptaugenmerk auf den Wendenkreuzzug selbst zu richten: So beschäftigt er sich mit der Rolle Bernhards von Clairvaux und präsentiert kurze Biogramme der Hauptprotagonisten und ihrer Kreuzzugsmotive (Albrechts des Bären, Heinrichs des Löwen und Anselms von Havelberg), aber auch von "Außenseiter[n]" (12) wie Heinrich Zdik oder Wibald von Stablo. Des Weiteren wird die Vorstellung von Helmold von Bosau als Hauptchronist der Zeit und Region sowie abschließend die Bewertung des Wendenkreuzzugs (Taufe der Heiden, Wiederentstehung des Bistums Havelberg, Siedlungsaufrufe) untersucht.

Der Verdacht, der sich angesichts der Seitenzahl für jedes behandelte (Unter-)Thema aufdrängt - so zum Beispiel "Bernhard von Clairvaux ruft zum Wendenkreuzzug auf" (35-37); "Heinrich der Löwe" (167-169) -, erhärtet sich beim Einlesen und Nachschlagen: Jedes Thema wird häppchenweise behandelt, wobei die grundlegende Literatur gesichtet, zusammengetragen und mit Quellenzitaten garniert wird. Es ist zunächst also eine Zusammenschau und keine eigene Forschungsleistung zu verzeichnen. Vor allem aber löst der Verfasser das anfangs gemachte Versprechen, den Wendenkreuzzug in die größere Bewegung einzubetten, nicht ein - er bewegt sich auf regionalem Terrain, und die wenigen Ausblicke sind eher interpretativ als (quellen)fundiert. So fällt beispielsweise die Fußnotenarmut bei der "Sorben-Hypothese" (219 f.) auf. Hermann geht hier davon aus, dass die Sorben, die seit dem 10. Jahrhundert mehr oder minder unter deutscher Herrschaft standen, ihr Slawentum bis heute behalten konnten, weil sie "integrierte Untertanen" (219) gewesen seien. Hätten sich die Wenden ebenso verhalten, wäre auch bei ihnen das slawische Element heutzutage stärker präsent. Die Idee ist originell und grundsätzlich gut, wird aber durch keine tiefer gehende wissenschaftliche Analyse unterfüttert und bleibt somit ohne Substanz. Zu viele andere historische Einflüsse bis in die heutige Zeit hinein hätte Hermann hier berücksichtigen müssen, vor allem wohl die Tatsache, dass das Sorbengebiet arm an Städten ist, worauf vielleicht die Andersartigkeit der Sorben zurückzuführen ist. Ihr Gebiet ist überschaubar, eine ähnliche Städtearmut auf dem gesamten, wesentlich größeren wendischen Gebiet wäre - selbst ohne Liutizenbund - kaum denkbar gewesen. Gerade Städte sind als Schmelztiegel und Schauplätze von Akkulturation bekannt, so dass die ethnische Einheitlichkeit der Wenden so oder so nicht bis heute Bestand gehabt hätte.

Dennoch sollte der Historiker sich nicht zu sehr mit "Was wäre wenn"-Fragen beschäftigen, und daher schauen wir auf die Ergebnisse der Arbeit: Es wird in der Zusammenfassung darauf hingewiesen, dass der Wendenkreuzzug erfolgreich war, die Machtbasis der beteiligten Fürsten deutlich erweiterte, somit die Siedlungsbewegung initiierte und auch die (Wieder-)Errichtung einer kirchlichen Struktur (Havelberg, Mecklenburg, Oldenburg, Ratzeburg) ermöglichte. Des Weiteren wird festgestellt, dass der Kreuzzug "ein echtes Kind der gesamten Kreuzzugsbewegung mit allen Begleiterscheinungen, die er mit anderen Kreuzzügen teilt, war" (221). Genaue Analysen bzw. eine Einpassung des Wendenkreuzzugs in diese gesamteuropäische Bewegung erfolgen aber nicht. Der Hinweis, dass Eugen III. mit dem Aufruf gegen die heidnischen Wenden 1147 grundsätzlich einen Präzedenzfall schuf, dem andere Kreuzzüge wie die baltischen Kreuzzüge oder die Preußenreisen folgten, ist grundsätzlich richtig. Hermanns Erklärung dafür - "Denn in dieser Bewegung muss der universale Versuch der römischen Papstkirche gesehen werden, ihre Interessen weltweit gegen jeden äußeren wie inneren Feind durchzusetzen" (223) - überzeugt nicht ganz: Letztlich folgte doch auch die Kurie pragmatisch dem Wunsch deutscher Fürsten, eben nicht in das Heilige Land zu ziehen, sondern eigene Interessen zu verfolgen. Bemerkungen wie "Das unzutreffende Bild von durchweg aus dem Westen mitgebrachten neuen Verhältnissen und Kenntnissen ist vor allem darauf zurück zu führen, dass vielfach gar nicht versucht wurde, entsprechende Verhältnisse in den Herkunftsgebieten der Siedler nachzuweisen" (225) bleiben formelhaft und erfahren keine wissenschaftliche Untermauerung. Andere Ergebnisse sind längst in der Forschung bekannt und daher schlicht banal, so zum Beispiel die Unterstreichung der kritischen Haltung christlicher Chronisten wie Thietmar, Adam oder Helmold gegenüber den deutschen Fürsten, die mit ihrer Profitgier zu einem guten Teil zum Rückfall in die Apostasie beigetragen hätten (79). [1]

Das nur dreiseitige Literaturverzeichnis bestätigt endgültig, dass hier eine Arbeit vorliegt, die vor allem die hauptsächlich in der Einleitung vorgestellten Arbeiten zum Wendenkreuzzug (die dann eben im Literaturverzeichnis nochmals auftauchen) zusammenfasst. Weder ist darin aber eine größere, eigene Forschungsleistung zu sehen, noch wird die eingangs versprochene Einpassung des Wendenkreuzzugs in die komplexeren Strukturen des 12. Jahrhundert zu dem Thema eingelöst.


Anmerkung:

[1] Zuletzt hierzu vor allem Volker Scior: Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck, Berlin 2002.

Rezension über:

Jan-Christoph Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1085), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011, 262 S., ISBN 978-3-631-60926-2, EUR 49,80

Rezension von:
Grischa Vercamer
Deutsches Historisches Institut, Warschau
Empfohlene Zitierweise:
Grischa Vercamer: Rezension von: Jan-Christoph Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2 [15.02.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/02/22981.html


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