Rezension über:

Margrit Vogt: Von Kunstworten und -werten. Die Entstehung der deutschen Kunstkritik in Periodika der Aufklärung (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung; Bd. 32), Berlin: de Gruyter 2010, VII + 365 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-023318-6, EUR 79,95
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Rezension von:
Steffen Egle
Staatsgalerie Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Egle: Rezension von: Margrit Vogt: Von Kunstworten und -werten. Die Entstehung der deutschen Kunstkritik in Periodika der Aufklärung, Berlin: de Gruyter 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1 [15.01.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/01/20330.html


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Margrit Vogt: Von Kunstworten und -werten

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Eine größere Zahl von Studien widmet sich in jüngerer Zeit einem alten Gegenstand der kunstgeschichtlichen Forschung: der Kunstliteratur. Zu nennen sind hier etwa Karin Hellwigs Beitrag zu den Künstlerviten (2005) oder die rezeptionsgeschichtlichen Untersuchungen zum Galeriegespräch von Joachim Penzel (2007) und zur Bildbeschreibung von Oliver Kase (2010). [1] Diese Arbeiten nehmen eine Anregung ernst, die Hermann Bauer indirekt bereits 1976 an prominenter Stelle gab: die Kunstliteratur als einen immanenten Diskurs zu betrachten, der seine eigene inhärente (Medien-)geschichte besitzt, und für den die Kunstwerke selbst wiederum den Status einer Quelle besitzen. Anders gesagt: Die Kunstliteratur wird in formaler Hinsicht analysiert und systematisiert sowie als Faktor in einem komplex gedachten Kunstsystem behandelt. [2]

In diesem Forschungskontext ist Margrit Vogts germanistische Dissertation über die Entstehung der deutschen Kunstkritik in Periodika der Aufklärung zu verorten, von der zu wünschen ist, dass sie auch in der Kunstgeschichte Aufmerksamkeit findet. Vogt leistet mit ihrer interdisziplinär angelegten Arbeit einen substantiellen Beitrag zur Medienkultur im ausgehenden 18. Jahrhundert. Sie legt den seit langem ersten monografischen Beitrag zur Erforschung der Kunstzeitschriften im ausgehenden 18. Jahrhundert vor und verdeutlicht deren Bedeutung für die Ausdifferenzierung des Kunstsystems exemplarisch an einem konkreten Textgenre: der Kunstkritik. [3]

Margrit Vogt hat sich für ihre Dissertation einen materialreichen und komplexen Gegenstand vorgenommen, was sich teilweise in Gliederungsproblemen niederschlägt. Bis zu vier Gliederungsebenen mutet sie innerhalb der insgesamt sieben Kapitel dem Leser zu (Kap. VII.), hinzu kommen Exkurse bzw. Abschnitte mit Exkurscharakter (4.4.6., 5.3.2., 6.5.). Im Grunde verfolgt die Autorin zwei Fragestellungen, wobei sie diese durchaus schlüssig verknüpft. Auf der einen Seite stellt sie die Genese der Kunstzeitschrift als Medium des Kunstgesprächs im 18. Jahrhundert dar; auf der anderen Seite - das ist ihr Hauptinteresse - zeichnet sie die Geschichte der Kunstkritik auf formaler und inhaltlicher Ebene nach. Eine sinnvolle Eingrenzung und Strukturierung der Arbeit ergibt sich durch die enge Begrenzung und Periodisierung des betrachteten Zeitraums (1740-1790) - den zeitlichen Einschnitt von 1790 begründet Vogt mit der Gründung der klassizistischen und romantischen Kunstperiodika - und durch die Konzentration auf bestimmte Kunstzentren (Leipzig, Augsburg, Frankfurt, Dresden und Rom).

In chronologischer Hinsicht arbeitet Margrit Vogt zwei Phasen der Etablierung einer deutschen Kunstkritik heraus. Eine erste Phase bis etwa 1770, die Vogt an Gottscheds Leipziger Gelehrtenschriften, den Augsburger Akademie-Zeitschriften und am Beispiel der Frankfurter Gelehrten Anzeigen nachvollzieht, ist von Informationsorientierung und einer weitgehenden Kritikabstinenz gekennzeichnet. Die analysierten Zeitschriften enthalten fast ausnahmslos Rezensionen kunsttheoretischer Schriften, Inventare von Kunstbeständen sowie Verkaufsankündigungen von Kupferstichen. Gemälde- bzw. Kupferstichbesprechungen beschränken sich in dieser Periode fast ausnahmslos auf Motivexplikationen und die kursorische Anwendung des aus Frankreich übernommenen Rubrikenschemas. Eine zweite Phase von 1770 bis 1790 zeichnet sich, wie Vogt zeigen kann, durch eine Koexistenz dieser rudimentären Form der Kunstberichterstattung und einer ganzen Reihe von neuen, elaborierteren Formen des Schreibens über Kunst aus. Zu der neuen Vielfalt gehören nun in engerem Sinne kunstkritische Texte, die für Deutschland spezifische Kultur des Kunstbriefes, eine Reflexion auf die Kunstkritik im Rahmen einer binnenmedialen Kritik an der Kritik, die zunehmende Literarisierung und auch Nationalisierung der Kunstkritik sowie historisch-antiquarische Beiträge.

Auf Basis von zahlreichen Fallbeispielen und detaillierten Textanalysen bzw. -vergleichen gelangt Margrit Vogt zu einer Reihe von Befunden. Sie stellt u.a. fest - was im Ergebnis allerdings kaum überrascht - dass sich die deutsche Kunstberichterstattung zunächst fast ausschließlich an der bereits etablierten französischen Kunstkritik orientiert und deren Normen und Verfahren übernimmt bzw. französische Texte sogar wörtlich übersetzt: Kunstkritik realisiert sich als Kulturimport (4.4.4.), sie vollzieht sich, wie Vogt darlegt, als Rezeptions- und Assimilationsleistung des internationalen kunstkritischen Diskurses und damit als "asymmetrischer Kulturtransfer" (128). Auch das merkantile Interesse, von dem insbesondere die Verkaufsankündigungen der Augsburger Kunstzeitschriften der 1770er-Jahre zeugen, liegt auf der Hand.

Eine der zentralen Erkenntnisse, zu welcher die Autorin gelangt, ist der Befund einer zunehmenden Selbstbezüglichkeit der Kunstkritik in der Zeit zwischen 1770 und 1790 bzw. die Etablierung einer Kritik an der Kritik. Zu Recht sieht Vogt die Voraussetzungen dafür in den medialen und institutionellen Entwicklungen, die sich in den 1770er-Jahren vollziehen (auf Forschungsbasis summarisch dargestellt in Kapitel VI.). Die Ausbildung neuer Periodikatypen - Kunstjournale, Kunstzeitschriften, literarkritische Zeitschriften, kulturpolitische Nationaljournale, Akademieschriften, Fachzeitschriften und Kunstmagazine führt zu einem produktiven Ringen um die adäquate kunstkritische Form, wie Vogt in Kapitel 6.6.1. plausibel darlegt. Als Folge tritt der Gegenstandsbezug zeitweilig in den Hintergrund, zugunsten einer Auseinandersetzung mit Vorgängerkritiken - also mit anderen Texten. Zu den Kritiktypen, die verschiedene Autoren in zunehmend polemisch geführten Debatten profilieren, gehören historisch-antiquarische Beiträge auf der einen Seite (Christoph Gottlieb von Murrs Journal der Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur) und als Gegenmodell Beiträge, die sich durch zunehmende Literarisierung auszeichnen. Diese Tendenz zur Literarisierung der Kunstkritik zeichnet Margrit Vogt am Beispiel eines deutschen Spezifikums nach, dem Kunstbrief (7.2.). Den Kunstbrief, ein Derivat der empfindsamen Briefkultur, sieht sie als ein bedeutendes, auf Dialogizität hin orientiertes Mittel zur Herstellung einer kunstkritischen Öffentlichkeit im dezentral verfassten Territorium Deutschlands. Die Textsorte ist zudem geeignet, die auf reine Information hin orientierten Darstellungsformen der Frühaufklärung durch die Darstellung subjektiver Seheindrücke, Verlebendigungsstrategien und mediale Unmittelbarkeit zu verdrängen. Vogts Untersuchung schließt mit Fragen der kunstpolitischen Instrumentalisierung neuer Kritikformen im Rahmen des künstlerischen Schulenstreits an der Dresdner und Leipziger Akademie sowie für die Etablierung einer deutschen Schule im extraterritorialen Rom, wohin sich die kunstkritischen Aktivitäten gegen Endes Jahrhunderts mehr und mehr verlagern.

Was der Leser dieser gut geschriebenen und breit angelegten Studie mitunter vermisst, ist ein Appendix, der einige repräsentative Kunstkritiken im Zusammenhang abdruckte, zumal trotz fortschreitender Retrodigitalisierung die schnelle Zugänglichkeit der besprochenen Texte noch nicht immer gewährleistet ist. Ein großer Gewinn wären auch exemplarische Listen gewesen, die einen Überblick über die in den Zeitschriften besprochenen Künstler und Werke vermittelt hätten. Aus kunsthistorischer Sicht wünschte man sich darüber hinaus mehr Abbildungen, zumal im Falle der teilweise sehr detaillierten Textanalysen, die bisweilen zugespitzter und ergebnisorientierter formuliert sein dürften. Auch ist der ansonsten sehr sorgfältig redigierte Text nicht immer frei von Redundanzen.

Diesen Anmerkungen zum Trotz ist Margrit Vogts Dissertation ein wichtiges Buch, dem eine breite Leserschaft zu wünschen ist. Es macht die besondere Bedeutung der Kunstzeitschriften für die Rezeption der bildenden Kunst im Vorfeld ihrer fachwissenschaftlichen Erschließung durch das 19. Jahrhundert deutlich und leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der textuellen Vermittlung von Kunst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Gerade durch die genaue Textarbeit und den immanenten Blick bildet es eine Grundlage für weitere Studien zur Kunstkritik, die - mehr als Vogt dies aus germanistischer Perspektive tut - sozialgeschichtliche Fragen, Fragen der Verzahnung von Kunstproduktion und Kunstrezeption oder aber von Textfunktionen in den Vordergrund stellen.


Anmerkungen:

[1] Karin Hellwig: Von der Vita zur Künstlerbiographie, Berlin 2005; Joachim Penzel: Der Betrachter ist im Text. Konversations- und Lesekultur in deutschen Gemäldegalerien zwischen 1700 und 1914, Berlin 2007; Oliver Kase: Mit Worten sehen lernen. Bildbeschreibung im 18. Jahrhundert, Petersberg 2010.

[2] Hermann Bauer: Kunsthistorik. Eine kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte, 3. durchgesehene und ergänzte Aufl., München 1989, 124f. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die aktuellen Beiträge von der rein philologischen Untersuchung als kunsthistorische Quelle, wie sie Julius von Schlosser, der den Begriff der Kunstliteratur prägte, und andere um 1900 betrieben.

[3] Zusammenhängend hat die Geschichte der Kunstzeitschriften bisher nur Ernst Lehmann dargestellt: Ernst Lehmann: Die Anfänge der Kunstzeitschrift in Deutschland, Leipzig 1932.

Steffen Egle