Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Martin Aust, München / Regensburg


Imperien in der Globalgeschichte

Die Globalgeschichtsschreibung betrachtet viele Aspekte der Vergangenheit - Imperien haben stets zu ihnen gehört. Umgekehrt ist es aus einzelnen Imperiumsgeschichten stets nur ein kurzer und zugleich naheliegender Schritt in globale Zusammenhänge gewesen. Einen rundum gelungenen Überblick über Imperien in der Globalgeschichte hat John Darwin verfasst. Sein 2007 in London erschienenes Buch After Tamerlane. The Global History of Empire since 1405 (dt. Übersetzung Frankfurt am Main 2010: Der imperiale Traum. Die Globalgeschichte großer Reiche 1400 - 2000) formuliert zwei grundlegende Thesen: seit der Herrschaft Timur Lenks sind Imperien als Akteure großräumiger internationaler Ordnung und Herrschaft aufgetreten. Die weltgeschichtliche Dominanz europäischer Reiche ist - entgegen europäischen Narrativen einer Beherrschung der Welt seit den Entdeckungsfahrten des 15. Jahrhunderts - dabei ein relativ junges Phänomen. Wer 1750 einen Blick auf die Welt warf, dem boten sich muslimische und asiatische Reiche in voller Blüte dar: das Osmanische Reich, das Mogulreich und China. 100 Jahre später hatte sich die Konstellation grundlegend geändert. Das Osmanische Reich galt als "kranker Mann am Bosporus", dessen Existenz von der Gnade der europäischen Großmächte abhing. Das Mogulreich war aufgelöst Den indischen Subkontinent beherrschte nun das Britische Empire, das zugleich im ersten Opiumkrieg (1840-42) die Öffnung Chinas er- und dem Reich der Mitte ein System ungleicher Verträge aufzwang. Erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an lässt sich plausibel von einer europäischen Dominanz in der Welt sprechen, die jedoch nie allumfassend war und um 1900 bereits Grenzen ihrer Geltung erkennen ließ. In einer eingängigen chronologischen Erzählung unterfüttert Darwin beide Thesen in Kapiteln, die stets Politik, Wirtschaft und Kultur behandeln - ein Einstieg in die Weltgeschichte der Imperien, der uneingeschränkt zu empfehlen ist.

In welchem Ausmaß die Vergangenheit von Imperien nicht allein in der Globalgeschichte zu verorten ist, sondern Imperien Globalität schufen und rekonfigurierten, verdeutlicht ein Kapitel der kürzlich von Emily S. Rosenberg herausgegebenen Geschichte der Welt 1870 - 1945. Weltmärkte und Weltkriege (dt. München 2012). Das Buch ist konzeptionell gegliedert und bietet fünf thematische Schneisen durch die Weltgeschichte von 1870 bis 1945. In einem der fünf Kapitel beleuchten Tony Ballantyne und Antoinette Burton das Verhältnis von Imperien und Globalität. Sie lassen zunächst die Zunahme imperialer Herrschaft in der Welt bis 1945 in einer einleitenden Darstellung aller imperialen und kolonialen Mächte Revue passieren, bevor sie dann drei Aspekte in den Vordergrund stellen. Unter dem Schlagwort der Reterritorialisierung von Imperien beschreiben sie erstens imperiale Eingriffe in Räume, die von weit ausgreifenden Eroberungen und Grenzländern über Kasernen, Missionsstationen und koloniale Arbeitsräume wie Plantagen und Minen bis hinab zum Haushalt als kleinster mikrogeschichtlicher Einheit reichen. Die globale Dominanz der Imperien lag nicht allein in der Obhut von Militärs und Geographen, sondern hing auch von der Verbreitung zivilisatorischer Muster und Praktiken sowie Geschlechterrollen in Familien und Haushalten ab. Zweitens nahmen die Imperien gewaltigen Einfluss auf globale Verkehrsinfrastrukturen, damit zusammenhängende Standardisierungen der Vorstellungen von Raum und Zeit, sowie Waren- und Handelsströme. Drittens schufen Imperien jedoch auch Globalität in einem Sinn, der im Widerspruch zum Repertoire imperialer Herrschaftstechniken stand. Dem Herrschaftsprinzip divide et impera zuwider führten globale Vernetzungen und Ströme auch zum Austausch unter antikolonialen Nationalbewegungen, deren Geschichte transnational in einem globalen und imperialen Rahmen zu verorten ist. Die Architektur imperialer Globalität stellte Instrumente ihrer Überwindung bereit. Ballantyne und Burton liefern eine souveränen Überblick über die Globalität der Imperien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und mit ihrem Unterkapitel eines von mehreren Argumenten, die für diesen Teilband einer auf fünf Bände angelegten Weltgeschichte sprechen.

Die Frage, ob die USA ein Imperium sei und welche Zukunft ihm beschieden sei, bestimmte während der Präsidentschaft George W. Bushs einen großen Teil der Literatur, die sich mit Imperien und den USA zumal beschäftigten. Dies ging mit einer geostrategischen und militärischen Lesart von Imperium und seiner Projektion von Macht in den Raum einher, von der zwei Titel sich wohltuend abwechslungsreich abheben. Ian Tyrrell hat in seinem Buch Reforming the World. The Creation of America's Moral Empire (Princeton/NJ 2010) die Geschichte der USA im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Moralvorstellungen und Reformideen durchmustert, die amerikanische Werte exportieren sollten. Die christliche Mission, der Kampf gegen Drogen und Alkohol sowie die Reform des Kolonialismus stehen im Zentrum dieser Darstellung. Organisationen wie Young Men's Christian Association, Woman's Christian Temperance Union und World League against Alcoholism treten dem Leser in diesem interessanten und sehr gut lesbarem Buch entgegen, das die Weltgeltung Amerikas abseits ausgetretener Pfade der Politik- und Militärgeschichte untersucht. Von rein systemisch-strukturellen Auffassungen imperialer Herrschaft wiederum unterscheidet sich das Buch Empire for Liberty. A History of American Imperialism from Benjamin Franklin to Paul Wolfowitz von Richard H. Immerman (Princeton/NJ 2010). Sechs biographische Fallstudien schließen hier individuelle Wahrnehmungshorizonte und Empire building kurz. Im Einzelnen begegnen dem Leser Benjamin Franklin, John Quincy Adams, William Henry Seward, Henry Cabot Lodge, John Foster Dulles und Paul Wolfowitz. Der Clou der Geschichte liegt darin, individuelle Freiheitsprogrammatiken und - rhetoriken als Dienstleister des amerikanischen Empire buildings zu beschreiben - bis in unserer Gegenwart der Irakkrieg die Vereinbarkeit von Empire und Freiheit desavouierte.

Die Geschichte Russlands gilt unter Historikerinnen und Historikern in einem viel stärkerem Maß als eine imperiale Geschichte, als dies von den USA behauptet werden könnte. Die globalen Verknüpfungen der Imperialgeschichte Russlands rücken jedoch erst allmählich in das Scheinwerferlicht der Historiographie. Zwei Bücher vermitteln einen ersten Eindruck, welche Horizonte sich auftun könnten, wenn die Geschichte des Russländischen Imperiums entschiedener in globale Zusammenhänge gestellt würde. Sören Urbansky hat ein faszinierendes Buch über die Ostchinesische Eisenbahn und damit ein globalisierendes Verkehrsmittel geschrieben (Kolonialer Wettstreit. Rußland, China, Japan und die Ostchinesische Eisenbahn, Frankfurt am Main 2008). Die Geschichte spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Mandschurei - einer Region mithin, in der sich die imperialen Ambitionen des Zarenreiches, Japans und Chinas überlappten. Urbansky schildert, wie aus einem Schienenstrang extraterritorialen russischen Eisenbahnimperialismus eine japanische Bahn wurde, die schließlich in chinesische Hoheit überging. Über dem Blick für großregionale wirtschaftliche und geostrategische Ambitionen übersieht Urbansky nicht die Menschen rechts und links der Eisenbahnstrecke und ihre Geschichten - eine überzeugende Verbindung imperialer und lokaler Perspektiven. Eine erfrischende Umkehr gängiger Perspektiven russischer Geschichte nimmt Steven G. Marks in seinem Buch How Russia Shaped the Modern World. From Art to Anti-Semitism, Ballet to Bolshevism (Princeton/NJ 2003) vor. Transfergeschichten Russlands fragen in aller Regel, wer im Zarenreich was wann und zu welchem Zweck aus Europa übernahm. Im Hintergrund lauert die geschichtsphilosophische Vorstellung russischer Rückständigkeit, die es mittels gezielter Transfers aus Europa und dem Westen zu überwinden gelte. Marks schreibt im Gegensatz dazu darüber, was die Welt aus Russland entnahm. In neun Kapiteln lässt er Terrorismus, Kropotkins Anarchismus, Dostoevskijs messianischen Irrationalismus, Tolstojs Imperativ der Gewaltlosigkeit, Antisemitismus, Ballett und Theater, abstrakte Kunst, Kommunismus und die Diktatur der Bol'ševiki als Entnahmekontexte auswärtiger Russlandrezipienten erscheinen. Das Buch steht Systematiken von Imperialgeschichte und Transfergeschichte eher fern, fasziniert und fesselt aber, indem es in amerikanische, europäische und asiatische Russlandrezeptionen führt. Insgesamt stellt es ein überzeugendes Plädoyer für die Verortung Russlands in globalen Transferketten dar.