Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Eduard Mühle, Warschau


Gert Melville: Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012

Wer die Weihnachtstage als einen Moment der 'Besinnung' zu nutzen vermag, mag eine Ahnung davon erhaschen, was es bedeuten könnte, dem Trubel der Welt auf der Suche nach innerem Frieden zu entsagen. Nicht nur im Christentum haben Menschen immer wieder in eremitischen oder coenobischen Lebensformen die Vollkommenheit ihrer Seele gesucht. In einer großen Synthese zeichnet Gert Melville die Geschichte dieser Bemühungen für das europäische Christentum von dessen spätantiken Anfängen bis ins ausgehende Mittelalter nach. In 16 Kapiteln erfolgt ein spannender Durchgang durch über 1200 Jahre Klostergeschichte zwischen kühnen Experimenten, Neuansätzen, wiederholten, beharrlichen Reformen, Niedergang und Scheitern, von den eremitischen Anfängen über die benediktinische Blüte, die Regularkanoniker und Zisterzienser zu den Prediger- und Bettelorden, bis zu den spätmittelalterlichen Diskussionen um devotio moderna oder Armutsideal. Der Leser kann gebannt verfolgen, wie sich ein überaus vielfältiges Spektrum klösterlicher Lebensformen - dessen strukturelle Grundelemente in einem (vielleicht etwas knappen) systematischen 17. Kapitel auf den Punkt gebracht werden - unter sich verändernden kulturellen Bedingungen und sich wandelnden Frömmigkeitsvorstellungen, Gemeinschafts- und Individualitätskonzepten zu einem "effizienten Grundmodul" der Kultur des Mittelalters ausformte, das sich nicht nur aufgrund äußerer Einflüsse, sondern auch aus einer großen inneren Dynamik heraus zu einer "unglaublichen" Erfolgsgeschichte entwickelte.

Deutsch-polnische Erinnerungsorte. Band 3: Parallelen, hrsg. von Hans Henning Hahn / Robert Traba, Paderborn u.a. 2012.

Dies ist ein Lesebuch der besonderen Art. Nicht dass die Idee der "Erinnerungsorte" neu wäre - das Konzept ist längst etabliert und in vielfältiger Weise erprobt. Die von Hans Hennig Hahn und Robert Traba gemeinsam mit knapp 100 Kolleginnen und Kollegen realisierten "Deutsch-polnischen Erinnerungsorte" sind gleichwohl ein Ereignis. Sie sind die Frucht des bislang größten geschichtswissenschaftlichen deutsch-polnischen Kooperationsprojektes, dessen erfolgreicher Abschluss nicht nur eine ungeheure organisatorische, sondern vor allem eine gewaltige intellektuelle Leistung darstellt. Geschmökert werden kann zum Fest zunächst in Band 3, der Aspekte der deutsch-polnischen Wahrnehmungsgeschichte bzw. der Erinnerungskultur beider Gesellschaften im europäischen Kontext anhand von 22 parallelen bzw. asynchronen Erinnerungsorten erzählt. Vom Mittelalter bis in die Gegenwart wird dem Leser hier ein faszinierendes Spektrum realhistorischer wie imaginierter Ereignisse (z.B. Der Dreissigjährige Krieg / Potop; Das Wunder von Bern 1954 / Wembley 1973), Gestalten (z.B. Beethoven / Chopin), Artefakten (z.B. VW-Käfer & Trabi / Maluch) und Symbole (z.B. Hl. Bonifatius / Hl. Adalbert) vor Augen geführt, die deutsche und polnische Identitäten in der historischen wie aktuellen Gegenwart geprägt haben und weiter prägen. Auf die vier weiteren Bände, die - wie ihre teilweise bereits vorliegenden polnischen Versionen zeigen - weitere tiefschürfende und erhellende Einblicke in die historische bzw. gegenwärtige deutsch-polnische Befindlichkeit eröffnen wie die im 3. Band skizzierten "Parallelen", dürfen wir uns dann spätestens zu Weihnachten 2013 freuen.

Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911-2010, München 2012.

Frauke Geyken erzählt die Geschichte einer starken Frau, eingängig und unterhaltsam, ohne großen theoretisch-historiographischen Überbau, gleichwohl fundiert, präzise und auf der Basis bislang zum Teil unzugänglicher Quellen. Das macht das Buch zu einer entspannten Nachmittagslektüre. Behutsam, einfach und klar wird dem Leser ein beinahe hundertjähriges, auf drei Kontinenten geführtes Leben geschildert, dessen Brüche, Verluste und Neuanfänge über die individuelle Biographie hinaus paradigmatische Einblicke eröffnen. Auf diese Weise wird nicht nur das lange Zeit nicht wahrgenommene spezifische Schicksal der Frauen der Widerständler des 20. Juli ins Bewusstsein gehoben, sondern vor allem die faszinierende Geschichte einer allmählichen, zunächst eher von den Zeitumständen aufgezwungenen als aus sich selbst heraus angestrebten, dann aber doch sehr konsequent und erfolgreich realisierten individuellen Emanzipation vor Augen geführt.

Thomas Etzemüller: Biographien. Lesen - erforschen - erzählen, Frankfurt / New York 2012

Wem leicht erzählte, theoretisch explizit nicht reflektierte Biographien ein Gräuel sind, wird Linderung bei Thomas Etzemüller finden. Seine kompakte, klug strukturierte und gut geschriebene Einführung bietet theoretisch gesättigte Einblicke in die Vielfalt und Charakteristika des Genres 'Biographie'. Dessen fortdauernde Attraktivität kann freilich auch der sozialwissenschaftlich imprägnierte Theoretiker nicht leugnen. Den geschichtswissenschaftlichen Wert von Biographien möchte er gleichwohl darauf beschränken, als 'Sonde' zu dienen, "um das Funktionieren der Gesellschaft zu verstehen." Aus dieser Zweckperspektive macht Etzemüller in sechs Kapiteln - mit Blick auf die gesellschaftlichen "Biographiegeneratoren", die Spezifik der Quellen, die Konstruiertheit biographischer Texte, die Wirkungen von Biographien auf die soziale Ordnung und mit Blick auf die Spannung zwischen Einheit des Genres und Differenz des Objekts - die "verborgenen Bedingungen" sichtbar, "die Biographien entstehen lassen". Damit bietet diese Einführung eine hervorragende Anleitung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem beliebten Genre, der auch ein mitunter etwas übertriebener Konstruktivismus keinen Abbruch tut.