sehepunkte 12 (2012), Nr. 12

Jürgen Macha / Anna-Maria Balbach / Sarah Horstkamp (Hgg.): Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit

Der vorliegende Aufsatzband verdankt sich einer Tagung, die im Februar 2011 zum Thema "Konfession und Sprache in der frühen Neuzeit" in Münster stattfand. Die Beiträge stammen von international tätigen Germanisten und Historikern. Gerade die bei der genannten Themenstellung sinnvolle Interdisziplinarität wird in der Einleitung unterstrichen (7f.), und zwar nicht nur aus fachlichen, sondern auch aus sozialen Gründen: "Mancher Germanist ahnt gar nicht, wie nett Historiker sein können! Et vice versa! " (8) Neben diesen sicher erfreulichen sozialen Synergieeffekten ließen sich aber auch inhaltliche herstellen; dass nun bei deren Begründung Leopold von Ranke gleichsam im Vorbeigehen nicht nur ungenau zitiert, sondern auch unzutreffend profiliert wird (ebd.), tut ihrem hohen Wert für das benannte Thema keinen Abbruch.

Im Folgenden soll überblicksartig und exemplarisch gezeigt werden, wie diese inhaltlichen Zusammenhänge erfolgreich hergestellt werden konnten. Der Band sortiert die beigesteuerten Studien nach sprachwissenschaftlichen, historischen und epigraphischen Aspekten. Die Mehrzahl der Beiträge ist dabei unter dem Rubrum Sprachwissenschaften zusammengefasst. Auf der qualitativen Ebene bleiben jedoch die Aufsätze zu historischen und epigraphischen Aspekten nicht hinter den sprachwissenschaftlichen zurück.

Das beweist die der historischen Sektion zugeordnete Studie von Jan Brademann (123-156), die sich mit der konfessionellen Gebundenheit der frühneuzeitlichen Sepulkralkultur auf ländlichen Friedhöfen befasst. Im Vergleich zu den meisten anderen Studien zeichnet sich Brademanns Beitrag auch und gerade durch sein Bemühen aus, seinen Gegenstand historisch und theologisch zu kontextualisieren: Vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Memorialkultur weist er auf die in theologischem Boden wurzelnden Verschiebungen in den reformatorischen Konfessionskirchentümern hin, die sich allein schon an der Lage und der Gestaltung der Friedhöfe festmachen lassen; auch die im nachtridentinischen Katholizismus festzustellenden Kontinuitäten zum Spätmittelalter werden erwähnt (126-129). Mit dieser Kontextualisierung im Rücken zeichnet er dann erhellend die konfessionelle Prägung von Grabinschriften sowie gesprochenem und gesungenem Wort nach und gelangt so zur Bestätigung neuerer kirchenhistorischer Forschungen zur Etablierung der Konfessionskulturen: Auf ländlichen Kirch-/Friedhöfen vollzieht sich "die eigentliche Konfessionalisierung der Sepulkralkultur" erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (154), wodurch sich die ländliche Grabkultur von der städtischen und adelig-höfischen unterscheidet. Nicht minder anregend ist der zweite der beiden historische Beiträge: Ricarda Matheus untersucht in ihrer Studie die diskursiven Rahmenbedingungen von frühneuzeitlichen Konversionsbegründungen (157-170). Da nun "der Konvertit aus den unteren und mittleren sozialen Schichten [...] keine Rechtfertigungsschriften oder Konversionserzählungen hinterlassen" hat (160), macht Matheus römische Aufnahme- und Verhörprotokolle aus dem 17. und 18. Jahrhundert. zur Grundlage ihrer Überlegungen zu den Argumenten, die Konvertiten für ihren Übertritt zur Papstkirche anführen. Meist wird die Konversion damit begründet, dass die römische Kirche wegen ihres hohen Alters die Wahrheit unbeschadet aller Umbrüche der Zeit verkündige (163). Ihre Ergebnisse nimmt Matheus zu Recht als Beleg dafür, dass "religiöse Wissensbestände sowie Kenntnisse konfessioneller Propria in allen Bevölkerungsschichten verbreitet waren" (168) - eine Tatsache, die bei Kenntnis frühneuzeitlicher Predigtkultur freilich nicht verwundern kann.

Das Themenfeld der frühneuzeitlichen Konversionen steht auch in der Studie von Sarah Horstkamp im Mittelpunkt (85-97), wobei dieser Beitrag den sprachwissenschaftlichen Aspekten zugeordnet wurde. Horstkamp nimmt nun die entgegengesetzte Konversionsrichtung in den Blick und untersucht zwei auf Revokationspredigten zurückgehende und Mitte des 17. Jahrhunderts in Leipzig gedruckte Konversionsschriften, mit denen ihre Verfasser den Übertritt von der römisch-katholischen zur lutherischen Kirche rechtfertigten. Aus den Parallelen beider Schriften (91-96) schließt Horstkamp auf eine Abhängigkeit der jüngeren von der älteren Konversionsschrift. Das wiederum führt sie zu der Annahme, in der Frühen Neuzeit hätten "sich für das kommunikative Problem 'Konversion' feste gattungsartige Lösungen etabliert", weshalb man im 17. Jahrhundert von einem "relativ festen 'Textmuster' der protestantischen Konversionsschrift sprechen" könne (97). Im Dienste dieser Einsicht stellt sich dann allerdings die Frage, ob die erwähnten Parallelen der untersuchten Konversionsschriften nicht auch daher rühren könnten, dass beide unabhängig voneinander auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen.

Bemerkenswert sind auch die Überlegungen Dieter Breuers, eines ausgewiesenen Kenners der den Tagungsband beschäftigenden Materie, zum Zusammenhang zwischen konfessioneller Prägung, Sprachattributierung und interkonfessioneller Polemik (31-43). Bekanntlich wurde im protestantischen Umfeld die ostmitteldeutsche Sprachform der sächsischen Kanzlei (32-35) zur deutschen Hochsprache stilisiert, während in römisch-katholischen Territorien die oberdeutsche Sprachform als die eigentlich überlegene galt (35-38). Dabei gab es aber auch ernstzunehmende Bestrebungen, diese interkonfessionellen Konflikte um die Frage, wo das überlegene Deutsch zu finden sei, zu überwinden - diese Überwindungstendenzen sind ihrerseits wieder mit dem Phänomen der Konversion aufs Engste verbunden (38-42): Konvertiten, die teils in ihrem neuen konfessionellen Umfeld ihre alte Sprachfärbung beibehielten, teils ein über den konfessionell vereinnahmten Sprachformen stehendes Hochdeutsch zu etablieren und damit ein politisches Programm zur Stärkung des Reiches und seiner Institutionen zu kommunizieren suchten, trugen zur "Entkonfessionalisierung der Sprache" (40) bei. Doch nicht zuletzt mit der reichsinternen Machtverschiebung zugunsten Preußens im 18. Jahrhundert war "diesem dritten Weg kein Erfolg beschieden" (42).

Schon dieser knappe und selektive Überblick über die Inhalte des Tagungsbandes macht deutlich, dass dieser sich durch die Verquickung sprachwissenschaftlicher und historischer Ansätze und Fragestellungen einer lohnenden Aufgabe der Frühneuzeitforschung widmet. Dabei regt er - ohne mit jedem Beitrag wirklich bemerkenswerte neue Einsichten zu präsentieren - besonders zur Weiterbeschäftigung mit einem Phänomen an, das sich in der zeitgenössischen Forschung mehrerer Disziplinen erhöhter Aufmerksamkeit erfreut, nämlich mit frühneuzeitlichen Konversionen, die ja in mehreren Beiträgen eine zentrale Rolle spielen. Dass die interdisziplinäre Arbeit auf dem weiten Gebiet "Konfession und Sprache" durch Einbezug weiterer - beispielsweise auch theologischer - Fächer eine sinnvolle Ergänzung erfahren würde, führt der vorgestellte Band deutlich vor Augen.

Rezension über:

Jürgen Macha / Anna-Maria Balbach / Sarah Horstkamp (Hgg.): Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Perspektiven (= Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit; Bd. 18), Münster: Waxmann 2012, 245 S., ISBN 978-3-8309-2636-8, EUR 37,90

Rezension von:
Christian Volkmar Witt
Fachbereich A (Ev. Theologie), Bergische Universität, Wuppertal
Empfohlene Zitierweise:
Christian Volkmar Witt: Rezension von: Jürgen Macha / Anna-Maria Balbach / Sarah Horstkamp (Hgg.): Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Perspektiven, Münster: Waxmann 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: https://www.sehepunkte.de/2012/12/22286.html


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