KOMMENTAR ZU

Dominik Geppert: Rezension von: Steffen Bender: Der Burenkrieg und die deutschsprachige Presse. Wahrnehmung und Deutung zwischen Bureneuphorie und Anglophobie 1899-1902, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/10/15994.html


Von Michael Eckardt

Es spricht zunächst grundsätzlich für einen Buchautor, wenn dessen Werk mehrfach besprochen wird, das Gleiche gilt für die Möglichkeit, dass gegensätzliche Meinungen in den Rezensionen wissenschaftliche Debatten auslösen. Im Falle des von Dominik Geppert besprochen Buches wird das ambivalente Verhältnis von Autor und Rezensent jedoch in einer Beispielhaftigkeit deutlich, dass ein längerer Kommentar hier dringend angebracht erscheint.

Zum einen muss dem Rezensenten Geppert als Autor der 2007 veröffentlichten Habilitationsschrift "Pressekriege: Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896 - 1912). München: Oldenbourg Verlag" und dem darin enthaltenen Kapitel "Publizistische Eskalationsmechanismen in Konfliktzeiten: Der Burenkrieg" (125-177) klar sein, das eine 2008 erschienen umfängliche Dissertation zum gleichen Thema möglicherweise überflüssig sein könnte, hatte doch Geppert auf knapp 50 Seiten das Thema mit vorbildlicher Stringenz und Tiefgründigkeit abgehandelt. Zum anderen wird in besagter Dissertation (16) aber auch Gepperts Buch als intellektueller Ausgangspunkt markiert, wenn bemerkt wird: "In der jüngst erschienenen Studie 'Pressekriege' wendet sich Dominik Geppert bei seiner Betrachtung der Interaktion zwischen deutscher und britischer Presse vor dem Ersten Weltkrieg auch dem Burenkrieg als einem Medienereignis zu, dessen >>Fernwirkungen weit über den südafrikanischen Kriegsschauplatz hinaus reichten und auch die deutsch-britischen Beziehungen entscheidend berührten.<< Die vorliegende Untersuchung möchte mit einem breiten Quellenkorpus an diesem Punkt ansetzen und den Burenkrieg als ein Ereignis verstehen, das im Deutschen Reich in den Medien vermittelt und verhandelt wurde, und es in seiner innen- und außenpolitischen Bedeutung bewerten."

Wer nun jedoch angenommen hätte, dass die Verehrung zwischen den Zeilen in einer unkritischen Besprechung zum Ausdruck gekommen wäre, wird umgehend eines Besseren belehrt. Geppert stellt bereits im zweiten Absatz fest, dass Bender durch die postulierte Einbeziehung der österreichischen Presse für "einen Prüfabgleich und eine Außensicht" keine wesentlichen Zusatzerkenntnisse liefert. Ursachen dafür werden allerdings nicht benannt, obwohl sich diese in aller Deutlichkeit aufdrängen. Gut ein Dutzend in Deutschland und Österreich erschienener Dissertationen zum Burenkrieg ignoriert Bender großzügig, angeblich werde die anglophobe Haltung öffentlicher Kreise in Deutschland zwar in Gesamtdarstellungen erwähnt, "meist jedoch nur holzschnittartig behandelt" (15). Viel mehr haben allerdings auch die 300 Seiten der vorliegenden Dissertation nicht zu bieten, die selten über Gepperts Kapitel zum Burenkrieg hinausgehen, der aber auf gut 50 Seiten zur Sache kommt.

Wie lässt sich der postulierte Anspruch aufrechterhalten, die österreichische Presse zu einem Prüfabgleich und einer Außensicht auf die Entwicklungen im Deutschen Reich zu benutzen, ohne die Studien "Der Burenkrieg in der öffentlichen Meinung Österreichs" (Maria v. Rechbach, Wien 1944), "Der Burenkrieg im Spiegel der Wiener Presse" (Auguste Gunsam, Wien 1947) oder "Der Burenkrieg aus österreichischer Sicht" (Peter Strasser, Wien 1972) heranzuziehen? Hat der Autor vielleicht auch in Gerda Weinhappls Dissertation "Die Stellung der öffentlichen Meinung Deutschlands zum Burenkrieg" (Wien 1966) geblättert, leider nichts Brauchbares darin gefunden und die Angabe deshalb im Literaturverzeichnis ausgespart? Was ist davon zu halten, wenn sich in einer Tübinger Dissertation des Jahres 2008 zum Burenkrieg nicht die an derselben Universität eingereichte Arbeit "Die englische Diplomatie und die deutsche Presse 1898-1914: ein Beitrag zu den deutsch-englischen Beziehungen der Vorkriegszeit" (Erich Voegtle, 1936) in der Bibliographie finden lässt? Könnte nicht auch Johannes Wüds Münchner Dissertation "Die Rolle der Burenrepubliken in der Auswärtigen und Kolonialen Politik des Deutschen Reiches in den Jahren 1883-1900" (Nürnberg 1927) etwas mit dem Burenkrieg zu tun haben? Fragen dieser Art ließen sich noch eine Weile fortsetzen, der Rezensent verzichtet darauf.

Benders Skepsis gegenüber quantifizierbare Größen wie der Auflagenhöhe von Zeitungen als Gradmesser für die öffentliche Wirkung bestimmter Presseorgane stimmt Geppert zu, bemängelt jedoch die qualitative Inhaltsanalyse der Tageszeitungen bzw. Zeitschriften und ihrer Einordnung als konservativ-nationalistisch, liberal oder sozialdemokratisch, dass z.B. die Presse des katholischen Sozialmilieus so kaum zuzuordnen ist und der Verzicht auf eine Gewichtung der Blätter nach ihrer Auflage dazu verführt, politisch radikal auftrumpfende Publikationen überzubewerten. Der Autor könnte diesem Dilemma vielleicht durch einen Blick auf die Abonnentenzahlen einzelner Zeitungen entkommen, würde er die Grundlagenstudie von Isolde Rieger "Die Wilhelminische Presse im Überblick" (München 1957) zu Rate ziehen, was natürlich unterbleibt. Dort belegt sind z.B. Abonnentenzahlen für die Zeitungen des Zentrums (115), ebenso der Verweis auf die Praxis der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern das Abonnement der entsprechenden Verbandszeitschriften verpflichtend vorzuschreiben (111), was eine Einflussgewichtung der einzelnen Blätter sicher erleichtert hätte.

Die Bezeichnung des Burenkrieg als "Medienereignis" wird zwar erwähnt, warum das aber besonders für diesen Krieg und nicht auch für jeden anderen zutreffend sei, wird weder vom Rezensenten hinterfragt noch vom Autor erläutert, sondern lediglich mit dem Verweis auf die (nicht einschlägige, weil aufs Fernsehen bezogene) Sekundärliteratur von Dayan und Katz belegt (S. 35). War der Burenkrieg nicht auch deshalb ein Medienereignis, weil er der erste Krieg war, in dem Filmkameras verstärkt zum Einsatz kamen und die bewegten Bilder in Wochenschauen und Ähnlichem vom Millionenpublikum der Kinotheater rezipiert wurden? In Iris Kronauers Berliner Dissertation (HU) "Vergnügen, Politik und Propaganda: Kinematographie im Berlin der Jahrhundertwende (1896-1905)" findet sich im 3. Abschnitt des ersten Kapitels (63-73) eine hervorragende Darstellung der in Berlin stattgefundenen Rezeption des Burenkrieges in Film, Text und Ereignissen, die Autor und Rezensent - man ahnt es schon - unbekannt geblieben ist, viel wichtiger war beiden der Verweis darauf, dass man noch heute an Wiener Würstchenbuden "Burenwürste" kaufen kann. Statt des Abdrucks nichtssagender Etiketten von "Burenkäse" oder "Burenerfrischer" (32-33) hätten die Ergebnisse von Felizitas Schönys Dissertation "Wort und Bild des 'Simplizissimus' im Kampf für den Burenkrieg, 1899-1902" (Heidelberg 1944) dem Buch gut getan. Das Gleiche gilt für das der sozialdemokratischen Presse unterstellte Oszillieren zwischen der Kritik an dem im Burenkrieg offenbar werdenden militanten Wesen des Kapitalismus und Vorbehalten gegen die als rückständige religiöse Fanatiker dargestellte Buren, was man mit einem Blick in Thomas Zinks 1990er Promotionsschrift "Die Haltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Burenkrieg (1899 bis 1902) unter besonderer Berücksichtigung der 'Sächsischen Arbeiter-Zeitung' und 'Leipziger Volkszeitung' (PH Dresden) hätte untermauern können. Im letzten Falle lässt sich dies in Bezug auf den Rezensenten vielleicht darauf zurückführen, dass er in der DDR entstandene Arbeiten (wie z.B. Günter Heidorn: Monopole-Presse-Krieg. Die Rolle der Presse bei der Vorbereitung des ersten Weltkrieges. Studien zur deutschen Außenpolitik in der Periode 1902 bis 1912. Berlin 1960) als "allzu ideologisch geprägt, um eine nachhaltige Wirkung außerhalb der marxistischen Geschichtswissenschaft zu entfalten" bezeichnet (Geppert 2007, 8) und die Aussage bekräftigt, man könne die Presse als vernachlässigte Randgröße in der deutschen Historiografie der Nachkriegszeit bezeichnen (ebd.), was angesichts der oben erwähnten Arbeiten nur mit Kopfschütteln quittiert werden kann.

Ebenfalls negativ vermerkt Geppert das Fehlen des Resümees in Benders Studie, ein bemerkenswertes Faktum, wo es sich doch um die bearbeitete Version einer Dissertation handeln soll. Im Gegensatz zur Meinung des Rezensenten, wonach "die materialreiche, flüssig geschriebene Untersuchung eine Forschungslücke" schließen würde, kommt der Kommentator eingedenk der erwähnten blinden Flecken zu dem Schluss, dass hier nicht einmal der Stand der Forschung referiert wurde, selbst wenn Benders "Ergebnisse" über das hinausgehen, "was Ulrich Kröll 1973 in der einzigen früheren Monographie zur deutschen Burenbegeisterung herausgefunden hat."

Am Ende dieses Kommentars steht nicht die Frage, ob ein Rezensent Bücher eines Verlages besprechen sollte, bei dem er selbst Kunde ist. Wissenschaftliche Autoren haben oft viel weniger Wahlfreiheit als angenommen. Folgendes wäre jedoch zu fragen - und dies gerade weil der Rezensent unterlässt, was jeder kritische Leser anmerken wird: Müssen tatsächlich Themen für Qualifikationsschriften vergeben werden, zu denen (wie im Falle der Arbeit von Gerda Weinhappl) bereits (fast) namensgleiche Arbeiten vorliegen? Wäre eine bessere Arbeit entstanden, wenn die Bemerkungen des Kommentators bereits von den Betreuern der Doktorarbeit gestellt worden wären? Wie kann der Rezensent als ausgewiesener Fachmann für das Thema die genannten Fehler übersehen? Genügt eine Arbeit, die so viele Fragen offen lässt, tatsächlich den Anforderungen, die an der Universität Tübingen für eine Dissertation im Fach Geschichte gestellt werden?

Der Kommentator ist sich bewusst, dass die obigen Bemerkungen bei Rezensent und Autor nur oder sogar mehr als Verdrießlichkeit hervorrufen können. Letzteres ist jedoch in der Wissenschaft keine Position, auf die man sich zurückziehen kann, wenn kritische Fragen geäußert werden (vgl. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 60. Jg. 2012, Heft 5, 472-474).

Anmerkung der Redaktion:
Dominik Geppert hat auf eine Replik verzichtet.
Steffen Bender hat auf eine Stellungnahme verzichtet.