sehepunkte 11 (2011), Nr. 10

M. A. Robb: Beyond Populares and Optimates

Seinem philologischen Lehrer verdankt der Rezensent die an sich evidente, aber oft nicht ausreichend beachtete Einsicht, dass Cicero in seinen Reden keinen Satz schrieb, der nicht seinem Ziel diente und etwa den Rang einer eigenständigen, bekenntnishaften und grundsätzlichen Aussage beanspruchen könnte. [1] Was der Sprecher in "Pro Sestio" über optimates und populares ausführt, sollte demnach seinen Mandanten in ein möglichst günstiges Licht stellen, den wahrscheinlich hinter der Anklage stehenden Clodius und seine Clique hingegen diskreditieren. Gleichwohl hat zumal die althistorische Forschung - verständlicherweise - immer wieder versucht, sich unter Rückgriff auf diese Quelle (und andere) eine Vorstellung von den in der späten Republik miteinander ringenden politischen Kräften und Richtungen zu machen und dabei die in den Quellen angebotenen Dichotomien - neben der in Rede stehenden noch die zwischen Adel / pauci und Volk - gern aufgenommen. Dass jeder Gedanke an feste Parteien und Programmen strikt zu vermeiden ist, dass ferner die "Optimaten" weitgehend eine Erfindung Ciceros waren, die "Popularen" hingegen - bei aller situativen Ambiguität der Verwendung des Wortes - greifbarer erscheinen, weil so etwas wie ein populare Traditionsbildung zu erkennen ist und es offenbar Personen, Themen, Schlagworte und Emotionen gab, auf die rekurriert werden konnte, ist Kennern der Epoche mittlerweile geläufig. [2] Dennoch lohnte es sich, genau hinzuschauen.

Das hat nun die Verfasserin der vorliegenden, von Henrik Mouritsen am Londoner King's College betreuten Dissertation getan. Das Ergebnis, das sei gleich hier betont, überzeugt voll und ganz, ebenso die vorbildlich ökonomische und methodisch stringente Art, wie es erzielt wurde. Nach einer kurzen Einleitung (11-14) skizziert Robb den Forschungsstand von Mommsen bis Morstein-Marx ('Populares' and 'optimates': modern mirages?, 15-33). Substanzialistische Deutungen, wonach dem Gegensatzpaar tatsächliche Gegensätze oder zumindest entgegengesetzte politische Stile zugrundelagen, und eher funktionalistische Auffassungen, die das politische Geschehen als reinen Machtkampf zwischen Personen und ganz eigenen Baugesetzen folgenden Allianzen vorstellten, sind von differenzierteren Modellen abgelöst worden, ohne dass die Frage, "whether the terms refer to political groups, traditions, strategies or ideologies" (33) beantwortet wäre.

Robb arbeitet sich im Hauptteil (Kap. 2-5) in schrittweise größer werdenden Kreisen durch das mittels der BTL-CD-ROM (Release 4) vollständig erschlossene Material, beginnend mit "Pro Sestio" (35-68). Sie bestätigt, dass ein Begriff von Optimaten außerhalb der Rede keine große Rolle spielt. Cicero benötigte einen neuen Begriff, um sich selbst in eine möglichst breite und über jeden Zweifel erhabene Formierung und Front gegen aufrührerische Tribune einzufügen, "and he, of course, presents himself as the ultimate optimas" (65). Ein im engeren Sinne politischer Inhalt ("policy") verband sich damit nicht. Auch Ciceros Popularenbegriff ist ego-zentriert, indem der Sprecher wahre Volksfreunde und gescheiterte Demagogen, die auch in den Augen des Volkes nicht populares seien, unterscheidet. Der Begriff erweist sich also als bewusst doppeldeutig angelegt und er impliziert keinen konkreten Inhalt, etwa die Überordnung der Autorität des Senats über die Souveränität des Volkes. Der Widerstreit zwischen optimates und populares stellt eindeutig eine kontingente und personalisierte Konstruktion dar (68).

Im folgenden Kapitel untersucht Robb das gesamte ciceronische Corpus lexikographisch [3] und an aussagekräftigen Passagen kontextuell für popularis (69-93). Die verschiedenen Bedeutungen, so bestätigt sich, waren jeweils vom argumentativen Kontext abhängig. Dabei wurde der in "Pro Sestio" (versuchsweise?) aufgebaute Gegenbegriff optimates nicht benötigt. (Die entsprechende Auswertung der Belege in Kapitel vier konnte kürzer ausfallen [95-111], da optimates außerhalb von "Pro Sestio" eine schmale Bandbreite von Bedeutungen hat; das Wort bezeichnet - meist mit einer starken moralischen Aufladung - die Aristokratie, den Senat oder / und Ciceros Unterstützer.) Popularis implizierte keineswegs eine Opposition gegen den Senat, indem etwa die maiestas populi Romani gegen die auctoritas senatus ausgespielt worden wäre. Cicero konnte popularis daher auch problemlos in Reden vor dem Senat verwenden (93); der Begriff war hinreichend geschmeidig und teilte diese Eigenschaft mit der Gemeinwohlrhetorik insgesamt. Entsprechend großzügig wurde er aufgerufen.

Implizit macht Robb deutlich, dass es im Grunde aussichtslos ist, für die Analyse des politischen Systems der späten Republik taugliche Begriffe und Konstellationsbeschreibungen in der Rhetorik der Zeit zu finden, da diese letztlich auf einer primitiven Gegenüberstellung ruht: Ich (= Cicero) - Gemeinwohl - Inklusion - wahrer popularis (= optimas) vs. Meine Feinde - Eigeninteressen - Spaltung - falsche / keine populares. Zwar werden methodisch sensibel angelegte Rekonstruktionen auch weiter versuchen müssen, sich nicht an Verhältnissen aus ganz anderen Epochen zu orientieren, sondern den Horizont und das Sprechen der Zeitgenossen zu beachten, aber das erscheint nach der Lektüre von Robbs Buch jedenfalls für politische Formierungen nunmehr noch schwieriger zu sein [4], zumal selbst Livius im historiographischen Diskurs "does not describe political division over these issues (scil. die Bestrebungen von Sp. Cassius, Sp. Maelius und Manlius Capitolinus) as a conflict between populares and optimates" (140). Auch die anderen in Kap. 5 (113-146) untersuchten Zeitgenossen Ciceros und etwas später schreibenden Autoren (Nepos, Sallust, Velleius Paterculus, Asconius und das "Commentariolum Petitionis") benutzen die beiden Begriffe nicht als "common political labels" (121). Anders als in diesem Bereich sieht es bekanntlich mit gesellschaftlichen Ordnungskonzepten aus, wo etwa Gelzers fides und amicitia einen deutlich belastbareren Boden abgeben.

Eindeutig negativ konnotiert war allerdings der seditiosus, den Robb im sechsten Kapitel vorstellt (Language and politics in the late Republic, 147-166). Mit dem Etikett "Aufrührer, Umstürzler, Systemveränderer" konnte, wer wollte, eine Kette von politischen Brandstiftern aufmachen, die den immer wieder beschworenen Konsens bedrohten. Das ermöglichte es auch, Gestalten wie Cinna oder Catilina nicht als populares bezeichnen zu müssen - was die Quellen in der Tat strikt vermieden und erst durch den Klassifizierungswillen moderner Forscher aufkam. Und selbst die Eindeutigkeit dieser Bezeichnung bot noch Raum für eine Steigerung: Waren die Gracchen in bestimmten Kontexten homines seditiosi gewesen, so hatte sich Clodius das Etikett seditiosissimus verdient (Cic. dom. 82).

Bipolare Aufteilungen des politischen Feldes waren also auch jenseits der von Robb überzeugend dekonstruierten populares / optimates- Antithese ubiquitär [5], doch diese blieben stets ego-zentriert und - im Sinne der inklusiven Konsensrhetorik - stark asymmetrisch. Agieren konnte nur, wer glaubwürdig für die res publica sprach und eintrat. Da diese aber allein im versammelten Volk Gestalt gewann und ansprechbar war, konnten alle Politiker, die das Wohl des Volkes verteidigten und mehrten, in Anspruch nehmen, Populare zu heißen. Die seditiosi dagegen waren immer nur wenige.

Eine für künftige Bemühungen wertvolle Appendix (179-187) bietet die 583 Belege für popularis in den Texten vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis 284 n.Chr. sowie noch einmal gesondert nur für die Schriften Ciceros, geordnet nach Bedeutungen, außerdem die 147 Belege für optimas; eine entsprechende Aufstellung für seditio / seditiosus fehlt leider. Eine zweite Appendix (189-192) verneint die Frage, ob die Gesetzgebung des C. Gracchus als popularis einzuschätzen sei. Die Bibliographie (193-210) führt erfreulich viele nicht-englischsprachige Titel auf (die im Buch auch tatsächlich berücksichtigt sind). Ein kombinierter Namen- und Sachindex und ein Index locorum beschließen das schmale, aber gehaltvolle Buch, das einen weiteren Anstoß bildet, die "politische Grammatik" (Chr. Meier) der späten Republik neu unter die Lupe zu nehmen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Carl Joachim Classen: Recht, Rhetorik, Politik. Untersuchungen zu Ciceros rhetorischer Strategie, Darmstadt 1985.

[2] Die seinerzeit grundlegende und immer noch wertvolle Dissertation von Jochen Martin (Die Popularen in der Geschichte der späten Republik, Freiburg 1965 [ms.]) ist zum Glück jetzt wieder greifbar: Jochen Martin, Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike. Gesammelte Beiträge zur Historischen Anthropologie, Stuttgart 2009, 25-195.

[3] Dafür konnte er u.a. den noch unpublizierten Thesaurus-Artikel popularis einsehen.

[4] Vgl. 111: "Cicero uses the word popularis in contradictory ways, frequentliy contrasting its negative senses with its positive ones. Although this contributes significantly to the view that the word was an important one for the political discourse, the practice frustrates the assumptions about implicit contrats between the two terms demandes by bi-polar models of Republican politics. [...] Cicero's use of the word popularis is not specific enough to define a certain type of politician or senator."

[5] Die sallustische Variante diskutiert Robb gesondert (Postscript: Sallust - beyond populares and optimates, 167-177).

Rezension über:

M. A. Robb: Beyond Populares and Optimates. Political Language in the Late Republic (= Historia. Einzelschriften; Heft 213), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 225 S., ISBN 978-3-515-09643-0, EUR 56,00

Rezension von:
Uwe Walter
Universität Bielefeld
Empfohlene Zitierweise:
Uwe Walter: Rezension von: M. A. Robb: Beyond Populares and Optimates. Political Language in the Late Republic, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/10/19549.html


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