sehepunkte 11 (2011), Nr. 9

Thomas Brockmann: Dynastie, Kaiseramt und Konfession

Die Bayreuther Habilitationsschrift von Thomas Brockmann wendet sich einem der vernachlässigten Kaiser der frühmodernen Reichsgeschichte zu: Ferdinand II. Zwar ist das Wissen über den Dreißigjährigen Krieg noch weithin präsent, doch vermag außerhalb der historiographischen und publizistischen Fachkreise kaum jemand die beiden Kaiser dieses Krieges zu nennen. Selbst Ferdinands wichtigste und folgenreichste Regierungsmaßnahme, das Restitutionsedikt von 1629, ist bekannter als ihr Urheber. Bezeichnenderweise ist der heutige Forscher immer noch veranlasst, auf die elfbändige und quellengesättigte Biographie des Kaisers von Friedrich Hurter aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zurückzugreifen - neuere Studien betreffen nur Teilaspekte seiner knapp zwei Jahrzehnte währenden Herrschaft über die Habsburgermonarchie und über das Reich.

Brockmann möchte sein Werk nicht als Gesamtbiographie verstanden wissen, sondern als Arbeit über die zentralen Maximen der ferdinandeischen Herrschaft samt ihrer Umsetzung. Es geht daher um Wunsch und Planung von Politik einerseits, um die Durchsetzung von Vorstellungen im Rahmen des Möglichen und Machbaren andererseits. Politik in jenen Jahrzehnten schloss stets Kirchenpolitik mit ein, die analytische Trennung von Politischem und Religiösem bei Herrschaftsträgern des 17. Jahrhunderts kann nur ein heuristisches Mittel sein, um Denk- und Handlungsstränge zu verstehen, die in sehr komplexer Weise miteinander verflochten waren.

Im methodisch bewährten Stil der Repgen-Schule rückt Brockmann schwierigen Fragen zu Leibe, etwa der nach Ferdinands Absicht, die böhmischen Ständeprivilegien der Jahre ab 1609 zu respektieren (62). Auch erhellt er die Vorüberlegungen der Umgebung Ferdinands, wie mit Kardinal Klesl zu verfahren sei: Politischer Mord, Exkommunikation oder Festnahme (48f.)? Die Gliederung der weiteren Studie erfolgt in Anlehnung an den chronologischen Verlauf, insbesondere um den Entwicklungsprozess der ferdinandeischen Politikvorstellungen verstehbar zu machen. Nach dem böhmischen Aufstand (Kapitel 2 und 3) folgen Hauptteile über die bayerische Dominanz und Konflikteskalation in Norddeutschland 1621-1626 (Kapitel 4) sowie die Politik des Kaisers auf dem Höhepunkt seiner Macht 1627-1630 (Kapitel 5). Die Arbeit schließt mit dem Regensburger Reichstag von 1630. Die letzten sieben Jahre des Kaisertums Ferdinands II. stehen nicht mehr im Fokus der Fragestellung.

Das Ergebniskapitel fasst die systematischen Antworten auf die verschiedenen Probleme der ferdinandeischen Politik zusammen: Als Erzherzog strebte Ferdinand vor allem seine eigene Sukzession im Kaisertum an, noch zu Lebzeiten Matthias' griff er in die Reichsregierung ein. Anschließend ging es ihm darum, die Ständerevolte in Böhmen und einigen österreichischen Territorien zur Etablierung einer starken Landesherrschaft zu nutzen. In der Folgezeit lavierte Ferdinand zwischen seinen spanischen und bayerischen Unterstützern, besonders in der Kurpfalz-Frage. Eine eigene Machtbasis wurde ihm durch Wallenstein nur kurzzeitig zuteil, militärische und politische Präsenz im Norden des Reiches sowie maritime Pläne auf Nord- und Ostsee blieben ephemer. Ferdinands zentrales eigenständiges Reichskonzept, die katholische Interpretation des Religionsfriedens von 1555, konnte 1629 zwar dekretiert, aber gegen die protestantischen Reichsstände und ihre ausländischen Verbündeten nicht oder nur zeitweilig durchgesetzt werden. Schon 1630 erodierte die kaiserliche Stellung durch den Verlust der Wallenstein-Armee, auch die Römische Königswahl Ferdinands III. konnte erst 1636 erlangt werden. Zu dieser Zeit war der Kaiser wieder eng an Spanien und Bayern gebunden, ohne die er wenig zu gestalten vermochte.

Thomas Brockmann schildert Ferdinand II. als vorsichtigen Monarchen, der sich auf schmaler eigener Basis zu begrenzten Risiken führen ließ, jedoch jederzeit das Maß beachtete, um nicht durch unbedachte Schritte Rückschläge zu erleiden. In konfessionspolitischer Hinsicht betont Brockmann, dass Ferdinand zwar seine Bekenntnisgruppe politisch stärken wollte, aber nicht an Realitätsverlust litt und die Bindewirkung heterodoxiebegünstigender Herrschaftsakte anerkannte (455). Eine Abhängigkeit von theologischen Beratern verneint Brockmann. Auch kann er nicht erkennen, dass Ferdinand vorgehabt habe, die Reichsverfassung zu "verbiegen" (456). In diesem Interpretationszusammenhang erscheint Ferdinand II. als ein Kaiser innerhalb überkommener Normgefüge, nicht als der planvolle Zerstörer der Reichsverfassung, als den protestantische Propaganda und darauf aufbauende Forschung ihn gern haben erscheinen lassen.

Die Arbeit ist aus den Materialien in vierzehn Archiven geschöpft, daneben wurden zahlreiche Editionen und zeitgenössische Traktate ausgewertet. Brockmann präsentiert Ferdinand II. als einen pragmatischeren Kaiser, als er vielfach von oberflächlichen Beobachtern gesehen wurde. Die Studie stellt damit einen wertvollen Beitrag zum Verständnis eines umstrittenen Universalherrschers dar und lässt damit die Möglichkeit einer Gesamtbiographie Ferdinands II. näher rücken.

Rezension über:

Thomas Brockmann: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte; Heft 25), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 518 S., ISBN 978-3-506-76727-1, EUR 64,00

Rezension von:
Johannes Arndt
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Arndt: Rezension von: Thomas Brockmann: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/09/17633.html


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