sehepunkte 11 (2011), Nr. 6

Jan Willem Huntebrinker: "Fromme Knechte" und "Garteteufel"

Die Landsknechte (wie das Söldnerwesen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit überhaupt) waren lange Zeit kein Gegenstand bundesdeutscher Forschung. Nach der großen Studie des amerikanischen Historikers Fritz Redlich in den 1960er Jahren und weiteren Pionierarbeiten in den 1970er Jahren brachte das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dann die Wende. [1] Militärgeschichte als Gesellschaftsgeschichte etablierte sich in Arbeitskreisen und an einigen Universitäten, Standardwerke erschienen. [2] Doch von der Untersuchung einiger Teilaspekte abgesehen fand speziell das Landsknechtwesen keine umfassende neue Behandlung mehr.

Nun hat Jan Willem Huntebrinker eine größere Untersuchung vorgelegt, unter dem Titel ">Fromme Knechte< und >Garteteufel<. Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert". Dieser Ansatz birgt Probleme in sich. Landsknechte sind Söldner, aber: Sind auch alle Söldner Landsknechte? Artilleristen, Schanzgräber, leichte und schwere Soldreiterei gehören so zu derselben sozialen Gruppe. Gelten für sie dieselben Außensichten und dieselben Innensichten? Hier wird der Söldnerbegriff auf die Landsknechte eingeschränkt, Reiter werden kaum nebenbei erwähnt. Ein zweites Problem ist der Untersuchungszeitraum, der das 16. und 17. Jahrhundert umfasst und damit eine Phase von starkem sozialem Wandel im Kriegswesen! Entsprechend erheblich sind die Unterschiede zwischen den Fußknechten als soziale Gruppe um 1500 und denen des Dreißigjährigen Krieges. Ein drittes ist die grundsätzliche Begrifflichkeit: Landsknechte werden als Soldaten bezeichnet (z.B. 83, 169, 198). Der Soldatenbegriff unterscheidet sich von dem des Landsknechts, für das 16. Jahrhundert ist er unhistorisch, die Zeitgenossen haben ihn nicht verwendet - und die Historiker sollten es nicht tun, eben deshalb, weil die Landsknechte damit in falschem Licht erscheinen. Geradezu kurios, dass der Autor den Unterschied zwischen Landsknecht und Soldat formuliert (17, 19), ihn aber dann selbst verwischt (z.B. 83)!

Eine umfangreiche Einleitung verdeutlicht die Problemstellung, nämlich die Söldner als soziale Gruppe im gesellschaftlichen Kontext des 16. und 17. Jahrhunderts zu erfassen. Huntebrinker betont, dass er in seiner Arbeit systematisch zwischen einer Außen- und einer Innenperspektive unterscheiden wolle, dass dabei Regeln und Normen, die zeitgenössische Betrachtung der inneren Organisiertheit und die Differenzierung von Funktionen von Bedeutung sei, ebenso die Wechselverhältnisse mit anderen Gruppen und die zeitliche Verstetigung von Vorstellungen über die Gruppe. Illustrierte Flugblätter sollen im ersten Hauptteil die wesentliche Quelle sein, die Frage der medialen Inszenierung von Söldnern steht im Mittelpunkt (Außensicht). Im zweiten Hauptteil sind Militärgerichtsakten das zentrale Quellenmaterial (Innensicht), dazwischen schiebt sich ein Scharnierkapitel, in dem vor allem anhand von Passportbriefen die Mobilität von Söldnern untersucht wird.

Huntebrinkers Ergebnisse sind auf den ersten Blick schlüssig: In Flugblättern erscheint der Söldnerverband in seiner funktionalen Gliederung einerseits eng verwandt mit idealen Ordnungskonzeptionen der Gesellschaft. Andererseits stellt er sich als bedrohliche Gegenordnung dar. Trinken und Spielen, sexuelle Ausschweifungen und Prahlen werden vorgeführt. Dass Prahlen und Aufschneiden allerdings erst im Dreißigjährigen Krieg thematisiert und feststellbar sein sollen, ist verwunderlich und zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten einer Vorgehensmethode, die sich auf eine Quellengattung fokussiert. Was sich vielleicht im Flugblatt erst 1628 zeigt (hier wäre aber noch nachzuprüfen, ob es nicht ältere Flugblätter ähnlichen Inhalts gibt), wird bereits in einem Mandat Kaiser Maximilians I. von 1511 deutlich, indem er zum Vorgehen gegen "Eisenbeißer und Federhansen", d.h. aufschneidende und prahlende Landsknechte aufruft. Der Prahlhans war ein Kontinuum der Landsknechtzeit.

Das Kapitel über Söldnermobilität und vor allem die Bedeutung des Passports als Kontrollinstrument für lokale Obrigkeiten ebenso wie innerhalb der Söldnereinheiten ist intensiv aus Quellen erarbeitet. Dennoch stellt sich die Frage, ob hier nicht der Passport überbewertet wird. Das 16. Jahrhundert ist zwar eine Zeit zunehmender Schriftlichkeit, dennoch sind die Möglichkeiten, sie effektiv einzusetzen und dann auch einzufordern, sehr begrenzt. Das Passportwesen setzt eigentlich erst in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts ein, wird aber nicht konsequent praktiziert. Die Knechte, die aus reichsfeindlichen Diensten ins Reich zurückkehrten, hatten ein verständliches Eigeninteresse, eben genau keinen Nachweis ihres Dienstes vorzulegen; die aus auswärtigen, aber nicht reichsfeindlichen Diensten (z.B. spanischen) kamen, konnten oft keine "Passporten" zeigen, weil ihr Oberst keine ausgestellt hatte oder weil sie auf dem langen Rückweg verloren gegangen waren. Die überzeugenden Beispiele, die Huntebrinker gefunden hat, stammen alle aus den letzten Jahrzehnten des 16. und aus dem 17. Jahrhundert.

Dies gilt auch für die Militärgerichtsakten des zweiten Hauptteils. Hier ist Huntebrinker ein Opfer der Quellenlage. Zwar sind mehrere Gerichtsordnungen der Landsknechtzeit bis ca. 1550 überliefert, es fehlen aber konkrete Gerichtsprotokolle. Die in der Arbeit herangezogenen Fälle sind zudem meist solche aus dem Dienst in Festungen, besonders auf Wache. Der Autor ist sich zwar dieser Problematik bewusst (39), die Gültigkeit der Erkenntnisse für die Söldner als soziale Gruppe des 16. und 17. Jahrhunderts wird allerdings nicht genügend hinterfragt. Dass Gehorsam vom Kriegsherrn und seinen Befehlsleuten eingefordert wurde, aber eben nicht immer durchgesetzt werden konnte, ist eine seit vielen Jahrzehnten gültige Erkenntnis, die hier auf einer höchst abstrakten Ebene formuliert wird: "Der Gehorsam war somit in der Wahrnehmung der Akteure nicht in allen Situationen eine eindeutige Forderung, die bedingungslos war und keiner weiteren Legitimierung bedurfte." (315). Mit ähnlichen inhaltlichen und stilistischen Abgehobenheiten werden auch andere (zutreffende) Ergebnisse ausgedrückt: das Landsknechtregiment als eigener Rechtsraum, die individuellen und kollektiven Ehrvorstellungen, der Wachdienst nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als obrigkeitliche Disziplinierungsbemühung.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen "fromme Knechte" und "Garteteufel", entsprechend dem zu diesem Begriffspaar passend gewählte Titelbild (Holzschnitt von Hans Glaser, 1555). Gerade hier begibt sich der Autor interpretierend auf brüchiges Eis: Da stützt sich der Gartknechte auf eine Pike, eine laut Huntebrinker damals ganz unten angesiedelte Waffengattung (126). Der fromme Knecht hingegen ist mit Pluderhosen und geschmückter Schamkapsel prunkvoll und "à la mode" gekleidet. Viel eher hat der Gartknecht eine Partisane (die Quaste oben an der Stangenwaffe weist darauf hin) und diese Waffe dürfte im Ansehen deutlich höher liegen. Unbeachtet bleibt, dass auch beim Gartknecht eine stattliche Schamkapsel zu sehen ist. Dies zu erwähnen ist deshalb nötig, weil wenige Seiten später die auffällige Schamkapsel als Negativsignal der Künstler in der religiösen Malerei der Zeit bei Schergen im Landsknechtsgewand auf Märtyrer- und Kreuzigungsbildern interpretiert wird (144). Wie dann allerdings die geradezu übergroßen Schamkapseln auf Kaiserporträts und z.B. auf den außergewöhnlich prächtigen Sarkophagen der Reichsgrafen von Ortenburg zu verstehen wären, ist wohl mit diesem Ansatz nicht erklärbar.

Warum der Künstler sein Paar auf dem Flugblatt im Gewand zweier unterschiedlicher Jahrzehnte (wohl 1520er und 1550er Jahre) dargestellt hat, erschließt sich weder aus dem Holzschnitt noch aus dem Text des Flugblatts. Hans Glaser hätte seinen Gartknecht ja auch mit zerschlissenen Pluderhosen zeichnen können. Gerade hier zeigen sich beispielhaft die Grenzen dieser Quellengattung. Offene Fragen müssen als solche bestehen bleiben, wenn man sie nicht beantworten kann.

Fromme Knechte und Garteteufel sind zwei Seiten derselben Münze. Das wussten auch die Zeitgenossen. Wenn sie "das Vaterland" verteidigten, waren Landsknechte geschätzt (110) - dabei wäre allerdings der schillernde Vaterlandsbegriff zu thematisieren gewesen. Wenn sie arbeits- und mittellos bettelten, stahlen, raubten, den Müßiggang pflegten, wurden sie zur Landplage (122ff.). Hier liefern die Flugblätter natürlich zutreffende, aber keine neuen Erkenntnisse.

Der Autor hat zweifellos eine sehr umfassende Untersuchung vorgelegt. Begriffliche Ungenauigkeiten, ein zu großer Untersuchungszeitraum, der quellenmäßig nicht gleichwertig abgedeckt werden kann, eine Fixierung auf Quellenschwerpunkte, die nicht immer zu schlüssigen Ergebnissen führt, sind gleichwohl zu monieren. Zudem werden manche Ergebnisse unnötig auf einer theoretisch-abstrakten Ebene formuliert, obwohl dies das grundsätzlich schon Bekannte nicht verdecken kann. Die Stärken der Arbeit liegen in der Heranziehung bisher eher weniger bearbeiteten Quellen (z.B. Flugblätter, Söldnerbriefe, Gerichtsakten). Gerade hier hätte sich eine Beschränkung des Themas auf das späte 16. und auf das 17. Jahrhundert als günstig erwiesen. So liefert die Arbeit insgesamt einige Differenzierungen zum bisherigen Forschungsstand, erneuert ihn aber nicht.


Anmerkungen:

[1] Fritz Redlich: The German Military Enterpriser and his Work Force. A Study in European Economic and Social History, 2 Bde. (= VSWG, Beihefte 47, 48), Wiesbaden 1964/65.

[2] Reinhard Baumann: Landsknechte, Ihre Geschichte und Kultur vom späten Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg, München 1994; Peter Burschel: Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994.

Rezension über:

Jan Willem Huntebrinker: "Fromme Knechte" und "Garteteufel". Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 22), Konstanz: UVK 2010, 451 S., ISBN 978-3-86764-274-3, EUR 54,00

Rezension von:
Reinhard Baumann
München
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Baumann: Rezension von: Jan Willem Huntebrinker: "Fromme Knechte" und "Garteteufel". Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert, Konstanz: UVK 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/06/18685.html


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