sehepunkte 11 (2011), Nr. 1

Niels Hansen: Franz Böhm mit Ricarda Huch

In der "Ära Adenauer" fehlte es in der Bundesrepublik nicht an Kritik an der regierungsamtlichen Argumentation, Hans Globke, einer der engsten Vertrauten des Kanzlers, habe sich in der NS-Zeit von seiner Position aus bemüht, Verfolgten und Entrechteten zur Seite zu stehen. So zitierte 1961 der "Spiegel" die Feststellung, Globke habe sich "die blödesten Illusionen gemacht", in der Hoffnung, "mit irgendeinem Nebensatz" noch jemandem zu helfen, und damit "zu den ungeheuer vielen beamteten Rindviechern" gehört. [1]

Der Urheber solcher Aussagen war indes nicht - wie man leicht annehmen könnte - in den Reihen der Opposition oder der eher links orientierten Presse zu finden. Es handelte sich um einen Bundestagsabgeordneten der CDU, um Franz Böhm. Diesem Mann hat nun Niels Hansen, der nach seiner langjährigen Tätigkeit im Auswärtigen Dienst mit einer Reihe von Veröffentlichungen über die deutsch-israelischen Beziehungen hervorgetreten ist [2], eine umfangreiche Studie gewidmet, die wohl am ehesten als politische Biographie zu bezeichnen ist. In aller, nicht immer der Lesbarkeit zugute kommender Ausführlichkeit, ergänzt durch sehr lange Zitate, wird der berufliche, nach Kriegsende fast unweigerlich in die Politik mündende Weg dieser integeren, aber auch eigenwilligen Persönlichkeit nachgezeichnet.

Für seine Überzeugungen stand Böhm stets ein, auch unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile. Insbesondere zwei große Themenkomplexe sind es, die man mit dem Namen des vor allem mit ökonomischen Fragen befassten Juristen Franz Böhm in Verbindung bringt: Zum einen sein frühzeitig einsetzendes Engagement im Kampf gegen Kartelle, zum anderen sein Einsatz für eine deutsch-jüdische Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der 1895 geborene Böhm war nach seiner Ausbildung über fünf Jahre im Reichswirtschaftsministerium tätig, bevor er sich im November 1933 in Freiburg, maßgeblich gefördert durch Hans Großmann-Doerth, habilitierte. Hansen stellt Böhm als einen der Exponenten der sogenannten Freiburger Schule dar. Eng verbunden war der den Nationalsozialismus klar ablehnende Böhm etwa mit Adolf Lampe und anderen NS-Gegnern der "Freiburger Kreise". Folgenreichen Ausdruck fand die Haltung Böhms, der seit 1936 in Jena lehrte und kurz vor der Ernennung zum Ordinarius stand, als er im Mai 1937 während einer privaten Abendeinladung seiner Schwiegermutter Ricarda Huch zur Seite stand, als sie die nationalsozialistische Judenpolitik scharf kritisierte. Böhm wurde denunziert, mit einem langwierigen Dienststrafverfahren überzogen und mit Lehrverbot belegt. Trotz prominenter Unterstützung blieb die Fortsetzung seiner akademischen Laufbahn in der NS-Zeit blockiert.

Nach Kriegsende wurde Böhm CDU-Mitglied. Bereits 1945 konnte er in Freiburg eine Professur übernehmen. Nach einem kurzzeitigen Intermezzo als Minister für Kultus und Unterricht in Groß-Hessen 1945/46 folgte er einem im Februar 1946 ergangenen Ruf auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht an der Universität Frankfurt/Main, der er 1948/49 auch als Rektor vorstand.

Als Höhepunkte seines Bemühens um eine Aussöhnung und die Wiedergutmachung (Böhm selbst hielt den Begriff, der jedoch allgemein gebräuchlich wurde, für ungeeignet, da nichts wieder "gut" zu machen sei) können sein Wirken als Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zum Luxemburger Abkommen 1952 sowie als stellvertretender Vorsitzender des Wiedergutmachungsausschusses im Bundestag angesehen werden. Mit seinem vehementen Einsatz für großzügige materielle Entschädigungen stieß er in den eigenen Reihen auf erheblichen Widerspruch. Dies führte im Falle des der CSU angehörenden Bundesfinanzministers Fritz Schäffer sogar zu einem unionsinternen Ehrengerichtsverfahren. Böhm hatte nämlich bei seinem Bemühen, jüdischen Interessen Geltung zu verschaffen, den um den Haushalt und damit um den Umfang der in den Entschädigungsgesetzen vorgesehenen Leistungen besorgten Minister eines "gemäßigten Antisemitismus" (373) bezichtigt.

Ähnlich geradlinig, zielorientiert, aber nicht immer sonderlich diplomatisch war auch Böhms maßgeblicher Einsatz beim Zustandekommen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957. Parteiübergreifendes Zusammenwirken im Sinne der großen Sache lag ihm, hingegen fehlte Böhm die "notwendige Geschmeidigkeit", um "im parlamentarischen Tagesgeschäft als Parteipolitiker zu agieren"; die Forderung des Grundgesetzes, Abgeordnete seien nur ihrem Gewissen unterworfen, nahm er "sehr ernst" (401 f.). Seiner Partei, der CDU, für die er drei Legislaturperioden im Bundestag saß, machte er es nicht immer leicht. Zweimal war er für höchste Staatsämter im Gespräch, 1954 als Nachfolger von Hermann Ehlers als Bundestagspräsident sowie 1959 als Nachfolger von Theodor Heuss als Bundespräsident. Allerdings gab es für den unbequemen Kritiker wohl in der eigenen Partei nicht genügend Rückhalt.

Kollektivschuldthesen waren dem sich stets als unabhängig betrachtenden Böhm fremd. Für seine maßgebliche Mitwirkung bei der deutsch-jüdischen beziehungsweise deutsch-israelischen Aussöhnung erfuhr er vielfach Anerkennung von beiden Seiten. Angesichts des Wirkens Böhms bezüglich der Entschädigungsleistungen sowie der ausgiebigen politischen Auseinandersetzungen über dieses Thema in den fünfziger Jahren sieht Hansen die "von den 68ern in die Welt gesetzte wohlfeile These [...], die schlimme 'Vergangenheit' sei in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik verdrängt worden" (384) als widerlegt oder zumindest stark relativiert an.

Etwas bemüht erscheint die Einbeziehung von Ricarda Huch in die Darstellung über Böhm. Sicher ist die Versuchung groß, eine weltgeltende Schriftstellerin mit zu betrachten, wenn sie Schwiegermutter der im Mittelpunkt stehenden Persönlichkeit ist. Allerdings bleiben die sonstigen biographisch-persönlichen Bereiche ausgespart, so dass der Eindruck entsteht, Ricarda Huch sei im Privaten nahezu der einzige Bezugspunkt für Böhm gewesen. Die Bedeutung von Einflüssen soll nicht bestritten werden, aber die These einer "intellektuellen Symbiose" (13) vermag nicht zu überzeugen, zumal das schriftstellerische Wirken Huchs ausgespart wird. Insofern ist die Titelwahl ("Franz Böhm mit Ricarda Huch") auch nicht besonders glücklich. Ähnliches lässt sich über den Untertitel sagen, "Zwei wahre Patrioten". Hansen räumt zwar ein: "Das Wort selbst hat er [Böhm] allerdings kaum verwendet", ist aber bemüht, anhand von Böhm und Huch zu zeigen, was ein "wirklicher Patriot" (492) ist. Hier scheint es eher so, als ob der Autor der Studie den Begriff des Patrioten für sich positiv konnotieren müsse.

Alles in allem: Über eine wichtige, kantige, prinzipienfeste und interessante Persönlichkeit des politischen Lebens der frühen Bundesrepublik, über die Wiedergutmachung und die Kartellgesetzgebung gibt es in der Studie von Niels Hansen viel zu lernen; gerade bezüglich juristischer Detailfragen dürften kaum Wünsche offen bleiben. Für eine Erstannäherung an Franz Böhm ist das jedoch ein recht steiniger Weg.


Anmerkungen:

[1] Der Spiegel 29/1961, 12.7.1961, 62.

[2] Vgl. u.a. Niels Hansen: Aus dem Schatten der Katastrophe. Die deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Adenauer und David Ben Gurion (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 38), Düsseldorf 2002.

Rezension über:

Niels Hansen: Franz Böhm mit Ricarda Huch. Zwei wahre Patrioten (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 57), Düsseldorf: Droste 2009, 540 S., ISBN 978-3-7700-1908-3, EUR 49,00

Rezension von:
Erik Lommatzsch
Leipzig
Empfohlene Zitierweise:
Erik Lommatzsch: Rezension von: Niels Hansen: Franz Böhm mit Ricarda Huch. Zwei wahre Patrioten, Düsseldorf: Droste 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/01/18276.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.