KOMMENTAR ZU

Peter Volk: Rezension von: Saskia Durian-Ress: Christian Wenzinger. Die Bildwerke, München: Hirmer 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: http://www.sehepunkte.de/2010/09/18654.html


Von Saskia Durian-Ress

Die künstlerischen Erfahrungen, die Wenzinger in frühester Jugend während seiner Lehrjahre in Rom gesammelt hat, halte ich für die maßgebenden Faktoren seiner Stilbildung. Dies ist nachzuweisen an dem unmittelbar nach der Rückkehr aus Rom entstandenen, beeindruckenden Frühwerk des jungen Bildhauers. In meiner Argumentation spielen die handwerklichen und bildnerischen Fertigkeiten wie die mit ausgewählten "Vorbildern" arbeitende, bildthematische Vorgehensweise, wie sie nachweislich in der römischen Bildhauerakademie vermittelt wurden, eine große Rolle. Dem hält der Rezensent nun seine Zweifel entgegen, dass über den Akademiebesuch des jungen Wenzinger in Rom allenfalls spekuliert werden kann, da er aus sprachlichen und finanziellen Gründen dazu kaum in der Lage gewesen sei. Weder die Lebensumstände des jungen Künstlers noch die traditionsgeübte Organisation der auf eine europäische Klientel ausgerichtete Bildhauerakademie in Rom bieten für eine derartige Vermutung irgendwelche Grundlagen, auch vermitteln Wenzingers eigene Aussagen zu seinem beruflichen Werdegang ein anderes Bild. (Was die befürchtete sprachliche Barriere anbelangt, so kann man sich an der Fähigkeit heutiger, sehr junger Austauschschülern orientieren, die nach wenigen Monaten in der Lage sind, dem Unterricht in der fremden Sprache zu folgen.) Da die Diskussion um die Bedeutung der Akademie-Ausbildung bei Wenzinger nicht angehalten werden soll, gilt es noch einmal festzuhalten: Wenzinger, der es in seinem Bildhauerberuf zu großem Vermögen gebracht hat, hat nach eigener Aussage das nicht unbeträchtliche väterliche Erbe (er stammte aus einer großen Mühle) zur Gänze in seine Ausbildungsreisen investiert. Auf das väterliche "Patrimonium" kommt auch Sautier in seinem Nachruf auf Wenzinger zu sprechen.

Für den jungen Wenzinger dürfte sich der Studienaufenthalt in Rom einfacher gestaltet haben, als für manchen jungen Berufskollegen, wenn er ohne ein von der Obrigkeit gewährtes Stipendium in Rom seiner Aus-oder Weiterbildung nachgehen wollte.

Im Antrag auf Gewährung des "akademischen Bürgerrechts", den Wenzinger in späteren Jahren an die Universität in Freiburg stellt, verweist er auf seine Kenntnis fremder Länder und "Akademien" (im Plural), allerdings ohne eine namentliche Nennung. (Auch sein Mitbewerber, der Bildhauer Sellinger, konnte zwei verschiedene Akademien vorweisen.) Wann Wenzinger nach Rom aufgebrochen ist, ist nicht bekannt. Über eine etwaige grundlegende Lehrzeit in seiner Heimat gibt es keinen Nachweis. Als der Bildhauer - im Passregister geführt als "Sculptor" - von Rom aus seine Heimreise antrat, war er zwanzig Jahre und sechs Monate alt (wie der Rezensent meine Angabe von 21 Jahren richtigstellt).

Die Annahme des Rezensenten, Wenzinger sei erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres nach Rom aufgebrochen und habe daher in der Ewigen Stadt höchstens zwei Jahre verbringen und deshalb kaum ein vollwertiges Akademiestudium absolvieren können, ist nicht zu belegen. Sie würde die Auskunft Sautiers geradezu negieren, der von Wenzinger als Roms vieljährigem Schüler spricht. Darin spiegelt sich Wenzingers Selbsteinschätzung wieder, der als Qualitätsmerkmal seiner beruflichen Qualifikation seine römische Prägung ins Feld führt. Und ohne den Nachweis des Studiums an der römischen Bildhauerakademie wären dem sehr jungen und in seiner Heimat noch unbekannten Bildhauer wohl kaum die anspruchsvollen Aufträge für die Klosterkirche von St. Peter im Schwarzwald zugefallen.

Was den Rezensenten irritiert, ist Sautiers Bezeichnung "Akademiker", wie er den in Paris weilenden Wenzinger bezeichnet, während in Rom vom "Schüler" die Rede ist. Akademiker wurden in Paris diejenigen genannt, die nach erfolgreichem, das heißt auch durch Preise ausgezeichneten Studium das Angebot oder den Auftrag erhielten, nun selbst als Lehrer an der Akademie zu wirken. Der in Rom geschulte und durch eindrucksvolle Werke bereits ausgewiesene Wenzinger hatte Erfolg an der Pariser Akademie, wo er - wie ich belegen kann - mindestens einmal einen Preis erhalten haben muss. Dass er nach Paris den Status des "Akademikers" für sich reklamiert, mag ihm, der nie den "Meister" angestrebt hat, aus mancherlei beruflichen Gründen opportun erschienen sein. Auf die Wirkung des Pariser Aufenthalts bin ich ausführlich eingegangen.

Verwirrung offenbart der Passus, in welchem der Rezensent glaubt, darauf hinweisen zu müssen, dass es sich bei der Gegenüberstellungen der Figuren des Blasius in Oberried und des Athanasius in Rom um einen das Motivische und nicht den Personalstil erläuternden Vergleich handelt. Nichts anderes wurde je behauptet, meine Betrachtungsweise wird bestätigt: Ausführlich gehe ich auf die den jungen Bildhauern von der Akademie gegebene Empfehlung ein, wonach der Bildhauer aus seinem Fundus an mustergültigen "Vorbildern", die ihm geeignet erscheinenden auswählen soll, um sie in die eigene "Inventionen" einfließen zu lassen. Diese bildthematische Methodik soll mit den angeführten Vergleichsbeispielen belegt werden, und es wird deutlich, dass sich Wenzinger häufig aus einem Motivschatz römischer Prägung bedient - in der oberrheinischen Plastik ein absolutes Novum. Eine stilistische Herleitung mittels dieser "Vorbilder" verbietet sich schon deshalb, da sie meist einer anderen Epoche angehören. (Wo es sich anbot, bin ich auf den generellen Unterschied im Ausdruck bei der römischen hochbarocken Figur und bei Wenzingers Invention eingegangen,z.B. in Oberried.)

Formale Kriterien, die einen Einfluss auf den Personalstil des frühen Wenzinger ausgeübt haben, erkenne ich allein bei Camillo Rusconi, von dessen bildnerischer Aktualität und zukunftsweisenden Figurenauffassung nicht wenige junge Bildhauer gelernt haben. (In Seite 53, auf die der Rezensent in dem genannten Passus verweist, spreche ich von der unstatthaften Vermengung von motivischen und stilistischen Kriterien, die in der Literatur zum Frühwerk Wenzingers anzutreffen ist, was zu einer unzutreffenden, negativen Beurteilung dieser Werkgruppe geführt hat.)

Krummer-Schroth folgend hält der Rezensent daran fest, dass Lemoynes marmorne Täufergruppe (heute in St. Roch, Paris) als Vorbild für Wenzingers Taufdeckel gedient hat. Die von Jean-Baptiste Lemoyne II. geschaffenen Altarfiguren wurden 1731, im Jahr als Wenzinger seinen Rückweg aus Rom antrat, aufgestellt. Man fragte sich, wie Wenzinger, der erst Jahre später nach Paris kommen sollte, Kenntnis von der Figurengruppe erhalten haben könnte. Von dem - von Blondel für die Kirche St.-Jean-en-Grève entworfenen - Altar gibt es eine zeichnerische Gesamtansicht, die auch gestochen wurde. Über diese zeichnerische Altarwiedergabe soll Wenzinger Kenntnis von der Pariser Gruppe erhalten haben. Man hat allerdings übersehen, dass die Täufergruppe auf dem Stich, der wohl ein früheres Entwurfstadium der Figurengruppe wiedergibt, in Haltung und Disposition von der ausgeführten Gruppe gravierend abweicht, so dass sie zum Vergleich mit Wenzingers Gruppe nicht taugt. Zwischen Lemoynes monumentaler Figurengruppe und derjenigen auf dem Taufbecken in St. Peter gibt es erhebliche kompositionelle und formale Unterschiede. Was die beiden Gruppen allerdings verbindet, ist die Art, wie sich die Figuren dem Betrachter zuwenden, sich ihm ostenativ "darbieten", was sich in der Frontalität des Täufers ausdrückt.  Diese auf den Betrachter fixierte und ihn in der bewussten Gegenüberstellung mit dem Geschehen konfrontierende Präsentationsform der Figur ist als Darstellungstypus dem Zeitstil geschuldet. Sie ist - wie beschrieben - sowohl an der Puttenszene wie an der Täuferszene an Wenzingers Taufbecken wirksam und auch für Lemoyne verbindlich. Durch sie unterscheiden sich die Figurengruppen aus dem frühen 18.Jahrhundert auch inhaltlich von den Vorlagen aus früherer Zeit. In der Täufergruppe scheint Lemoyne seine eigenen römischen Eindrücke verarbeitet zu haben, wie in Anm. 161 dargelegt.

In den beiden angeblich aus St. Blasien stammenden Holzbüsten im Augustinermuseum sieht der Rezensent eigenhändige Frühwerke Wenzingers aus der Zeit seiner Tätigkeit am Taufbecken und den Orgelfiguren in St. Peter sehen. Die indifferenten Gesichter und die unmotiviert deklamatorischen Gesten der Halbfigurenbüsten sprechen nicht für Wenzinger, auch nicht für den frühen (vgl. Anm.304); in Verbindung mit den deutlich an Wenzinger sich orientierenden, jedoch auffallend spannungslosen Gewanddraperien sind sie ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir es hier mit Werken eines Zeitgenossen zu tun haben, der wie viele seiner Kollegen glaubte, dem Diktat Wenzingers folgen zu müssen. Eine Reihe so zustandegekommener, ungerechtfertigter Zuschreibungen waren nun aus dem Œuvre Wenzingers zu streichen, dessen "Gesamtschau" - was immer man darunter zu verstehen hat - der Rezensent vermisst.

Anmerkung der Redaktion:
Peter Volk hat auf eine Replik verzichtet.