sehepunkte 10 (2010), Nr. 10

Rezension: Reformierte und andere christliche Konfessionen in Siebenbürgen und Ungarn

Erfreulicherweise zieht die Geschichte der Reformation und der Konfessionalisierung Siebenbürgens in letzter Zeit ein verstärktes Interesse auf sich. Gerade Siebenbürgen - bevölkert von Sachsen, Szeklern, Ungarn und Türken - bietet aufgrund seiner ethnischen, kulturellen und konfessionellen Vielfalt in der Frühen Neuzeit ein spannendes Bild der Ausbildung kultureller und konfessioneller Identitäten. Die ethnischen, später nationalen, Elemente und die mit ihnen verbundenen und aus ihnen resultierenden Spannungen und Konflikte wirkten nicht nur verdichtend auf konfessionelle Entwicklungen und Kulturen, sondern zeigen in sehr komprimierter Weise auch die Verschränkung von konfessionellen und politischen Interessen. Zudem sorgt die Lage des Landes an der Grenze der westlichen und der östlichen Kirche für weitere interessante Konstellationen. Die beiden vorliegenden Bücher - eine Monographie und ein Sammelband - bieten einen vertieften Blick in die Entwicklung und Festigung konfessioneller Strukturen und Identitäten in der Frühen Neuzeit beziehungsweise erweitern diesen Blick im Fall des Sammelbandes für den Calvinismus bis ins 21. Jahrhundert.

Das Buch von István Keul, das 2006 einen Teil seiner Habilitation in "Religionswissenschaft" darstellte, arbeitet sich in einem chronologisch aufgebauten, meist narrativ gestalteten Durchgang durch die zweihundertjährige Geschichte der siebenbürgischen Reformation und Konfessionalisierung - die Zeitspanne umfasst die Jahre 1526 bis 1691. Ziel des Autors ist es, nicht nur die Entstehung und Entwicklung der einzelnen religiösen Gemeinschaften im 16. und 17. Jahrhundert darzustellen, sondern auch die Aktionen und die gegenseitige Wahrnehmung der verschiedenen Gruppierungen und Gemeinden unter dem Aspekt des "religiösen Pluralismus" zu untersuchen. Zudem unternimmt er den Versuch, Siebenbürgen in das generelle Paradigma der Konfessionalisierung einzuordnen, was gerade angesichts der religiösen Vielfalt und des weitreichenden Grades an Tolerierung eine besonders spannende Aufgabe darstellt.

Siebenbürgen war spätestens seit Anfang der 1570er Jahre durch die Tolerierung mehrerer Konfessionen, der Lutheraner, Reformierten, Antitrinitarier und Katholiken, gekennzeichnet. Analog zur geographischen Aufteilung des Landes und häufig übereinstimmend mit den Siedlungsgebieten der "nationes" hatten sich zunächst die lutherischen, aus Wittenberg stammenden Ideen von den Städten Kronstadt und Hermannstadt aus allmählich im Land ausgebreitet. Vor allem die Städte und die königlichen Gebiete wurden lutherisch - gefördert durch die Stadträte, aber auch durch wichtige Protagonisten wie Johannes Honterus. Mit der "zweiten Welle der Reformation" wurden dann schließlich reformierte Einflüsse aus der Schweiz wirksam und auch antitrinitarische Ideen fanden ihre Anhänger.

Zwei Aspekte stechen in Keuls Buch besonders heraus. Einerseits weist die konfessionelle Geschichte Siebenbürgens immer wieder Richtung Reich, so dass sich das Land in einer dauerhaften Spannung zwischen den habsburgischen und osmanischen Herrschern und den Einflüssen aus den verschiedenen Regionen des Alten Reichs befand. Andererseits bricht Siebenbürgen durch seine konfessionelle Vielfalt und frühzeitige Politik der Tolerierung Vorstellungen von eindeutig herrschaftlich geleiteter Konfessionalisierung. Auch fand, so Keul, keine Annäherung zwischen den Kirchen und der Landesherrschaft (Keul spricht wiederholt von "state") in institutioneller und personeller Hinsicht statt. Des Weiteren setzten die Landtagsbeschlüsse zur Tolerierung der verschiedenen Religionen dem Handeln der Fürsten stets eine gewisse Grenze. Maßnahmen, die eine Religion bevorzugen sollten, waren nie von langer Dauer. Auch die geographische Überlappung zwischen den Siedlungsgebieten der "nationes" und dem religiösen Bekenntnis war nicht immer eindeutig. Rumänische Bauern zeigten sich offen für lutherische Ideen, Sachsen wurden Calvinisten oder Calvinisten lebten in lutherisch geprägten Regionen. Obwohl all diese Entwicklungen Prozesse der Konfessionalisierung in Siebenbürgen einschränkten, verweist Keul dennoch auf die konfessionalisierenden Elemente, die in allen christlichen Bekenntnissen zu entdecken sind.

Der zweite Band, der aus einer 2008 im Rahmen des Calvin-Jubiläums veranstalteten Tagung in Tübingen hervorgegangen ist, bietet einen äußerst detaillierten und bunten Blick auf den Calvinismus in Ungarn und Siebenbürgen. Der Sammelband vereint 23 Aufsätze, die die Entfaltung und Etablierung der reformierten Konfession aus der Innen- und Außenperspektive und in den unterschiedlichen Epochen bis zum 20. Jahrhundert untersuchen. Die Höhen und Tiefen, die Einflussmöglichkeiten und die Phasen härteren konfessionellen Drucks und der Verfolgung werden sichtbar. Im 19. Jahrhundert stellt die Nationalitätenfrage und die Involvierung der Protestanten in die Politik des Ausgleichs die bestimmende Thematik dar, doch auch interne Entwicklungen, der Aufbau der Inneren Mission etwa, geben spannende Einblicke. Beispielhaft hierfür kann die Geschichte des protestantischen Bethesda-Krankenhauses in Budapest genannt werden, das sich an den Ideen Johann Heinrich Wicherns orientierte und auch Hilfe durch Kaiserswerther Diakonissen erlebte.

Einige zentrale Entwicklungen sollen aus der Fülle der Beiträge hervorgehoben werden. So widmet sich auch der vorliegende Sammelband zunächst der Entstehung des Calvinismus und der diversen Einflüsse von außen. Einige Autoren heben in diesem Kontext hervor, dass die schweizerische Form der Reformation schon vor dem immer als Wendemarke bezeichneten Jahr 1551 wesentlich einflussreicher war als bisher angenommen. Obwohl Wittenbergiana in der Verbreitung die Helvetica überwogen, verzeichnen einige ungarische Adelsbibliotheken doch schon recht früh Werke aus der Schweiz. Auch die Theologie einflussreicher Gelehrter zeigt in der Sakramentenlehre die Anlehnung an die Schweiz, beispielsweise beim reformatorisch gesinnten ehemaligen Franziskaner Dévai Bίró, der wie andere siebenbürgische Studenten wegen der lateinisch gehaltenen Vorlesungen bei Melanchthon studiert hatte. In die gleiche Richtung weist auch die Untersuchung des Universitätsbesuchs ungarischer Studenten. Zwar blieb Wittenberg Hauptuniversität, doch vor allem bei den Ungarn zeigte sich recht früh ein Interesse an Zürich und Genf.

Die Vermittlung der neuen Ideen geschah vor allem über reisende Studenten und über Kaufleute, aber auch nach Siebenbürgen berufene Professoren verankerten das Land in den europaweiten Netzwerken der Gelehrten. Ein späteres, sehr interessantes Beispiel stellt Johann Heinrich Bisterfeld dar, der ab 1629 auf Einladung Gabór Bethlens das Kollegium in Weißenburg zu einer Akademie ausbaute. Er positionierte sich nicht nur in der Bekämpfung der Antitrinitarier, indem er unter anderem eine Widerlegung von Johann Crells "De uno Deo" verfasste, sondern seine Teilnahme an diversen Bündnisverhandlungen in Diensten Bethlens während des 30jährigen Krieges brachten ihn in Kontakt mit zahlreichen Gelehrten, beispielsweise John Dury und Hugo Grotius, mit Johann Amos Comenius, Spanheim d. Ä. und John Pell.

Ein weiteres Feld, das auch der vorliegende Sammelband eröffnet, ist die Beschäftigung mit jenen - manchmal zu einfach konstruierten - ethnisch-religiösen Dichotomien, die auf die Formel Deutsche = Lutheraner und Ungarn = Reformierte hinauslaufen. Die Mannigfaltigkeit der konfessionellen Zuordnungen lässt sich unter anderem am Beispiel der Zips zeigen, wo es unter den Siebenbürger Sachsen einige Kyptocalvinisten gab, während ungarische Adelige das Luthertum förderten und lutherische Seniorate ungarischer Sprache aufbauten. Im frühen 18. Jahrhundert dagegen begann Karl VI. mehrfach Initiativen, reformierte deutsche Zuwanderer, die aus Hessen-Darmstadt und aus Hessen-Kassel angeworben wurden, im gerade befreiten Banat anzusiedeln. Aufgrund konfessioneller Auseinandersetzungen blieb das Banat jedoch katholisch und es entstanden in anderen Regionen Zentren für reformierte Zuwanderer - in den 1720er Jahren im Komitat Tolna und nach 1781 in der Batschka.

Beiden Bänden gebührt das Verdienst, die aktuelle ungarische und rumänische Forschung rezipiert zu haben und damit für eine Vermittlung der dort publizierten Ergebnisse in die deutsch- beziehungsweise englischsprachige Welt zu sorgen. Der weite Zeitraum, den die Aufsätze des Sammelbandes umspannen, eröffnet Einblicke auch in die späteren Epochen des ungarisch-siebenbürgischen Calvinismus, bis hin zur Reflexionen über dessen heutige Bedeutung. Dagegen erschließt die Monographie von István Keul die frühe Epoche in vertiefter Weise und erlaubt somit einen umfassenden und chronologisch aufgebauten Überblick über die Geschehnisse und Entwicklungen. Allerdings erscheint die Darstellung manchmal zu stark an der Ereignisgeschichte orientiert. Man würde sich insgesamt mehr mikrohistorische Tiefe und weniger konfessionellen "Höhenkamm" wünschen. Bilder und Karten sorgen in beiden Fällen für eine reiche Illustration.

Rezension über:

István Keul: Early Modern Religious Communities in East-Central Europe. Ethnic Diversity, Denominational Plurality, and Corporative Politics in the Principality of Transylvania (1526-1691) (= Studies in Medieval and Reformation Traditions; Vol. 143), Leiden / Boston: Brill 2009, XVII + 313 S., ISBN 978-90-04-17652-2, EUR 99,00

Márta Fata / Anton Schindling (Hgg.): Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 155), Münster: Aschendorff 2010, XX + 603 S., ISBN 978-3-402-11580-0, EUR 58,00

Rezension von:
Astrid von Schlachta
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
Empfohlene Zitierweise:
Astrid von Schlachta: Reformierte und andere christliche Konfessionen in Siebenbürgen und Ungarn (Rezension), in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/10/17133.html


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