sehepunkte 10 (2010), Nr. 9

J. R. McNeill: Mosquito Empires

Warum gelang es eigentlich zwischen den 1680er Jahren und dem Ersten Weltkrieg keiner Macht, Gelände in Mittelamerika zu erobern? McNeills nicht ganz überraschende, aber mit großer Anschaulichkeit, Verve und Humor vorgetragene Antwort lautet: Weil die Moskitos immer aufseiten der Verteidiger kämpften. Zwischen 1655 und 1660 gelang es England noch, mit einer größeren Expedition das dünn besiedelte und schwach verteidigte Jamaika zu erobern, wenn auch unter großen Verlusten. Das war der letzte Erfolg: Der Versuch einer schottischen Besiedelung des Panama-Gebiets, französische Ambitionen zur Vergrößerung der Kolonie in Kourou, Belagerungen Cartagenas oder Kubas im 18. Jahrhundert, die 'Südstrategie' der britischen Truppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sowie Versuche, die karibischen und lateinamerikanischen Revolutionen um 1800 zu unterdrücken - alle hatten eines gemeinsam: Die in Europa rekrutierten Soldaten starben zu Zehntausenden am Fieber, sobald es zu regnen begann; allenfalls wenige hundert Mann waren in der Lage, geschwächt den Rückzug in die Heimat anzutreten. Die gegen Malaria und Gelbfieber resistenten Verteidiger mussten also nur eine günstige Wetterlage abwarten, um ihre Gegner zu überwinden.

McNeill schildert zunächst die Gründe, warum sich diese epidemologische Konstellation erst in den 1690er Jahren ausbildete. Zwar war Malaria vermutlich schon im 17. Jahrhundert in der Karibik präsent, aber das tödlichere Gelbfieber wurde erst mit dem massenhaften transatlantischen Sklaventransport aus Afrika in die Karibik übertragen. Erst dann kamen die entsprechenden Träger (eine - wie McNeill betont - eher schnäubische Moskitosorte namens Aedes aegypti), die entsprechenden Viren (mit denen Sklaven oder Matrosen infiziert waren) und eine Population (nämlich Affen), welche die Krankheit sozusagen konservieren konnte, wenn menschliche Populationen immunisiert waren mit Schiffen aus Afrika nach Amerika.

Die Präsenz des Virus in Affen reichte allerdings noch nicht aus, um Bedingungen für eine Epidemie zu schaffen. Die Wirtstiere für das Gelbfiebervirus benötigen relativ konstante Temperaturen und frisches Wasser in Gefäßen aus Ton, Metall oder Plastik mit feuchten Wänden. Das Blut infizierter Menschen ist nur für relativ kurze Zeit ansteckend, die Moskitos beißen selten und nur wenige menschliche Opfer. Treffen sie auf Menschen mit Resistenz, verpufft die Infektion folgenlos, weswegen Gelbfieber weniger eine endemische Krankheit wie Malaria ist, sondern schubweise ausbricht, wenn Einwanderer oder neue, noch nicht immunisierte Generationen von einer Infektionswelle befallen werden. Über Resistenz gegen Gelbfieber verfügten die meisten Menschen, die in einer von der Krankheit befallenen Region Afrikas oder eben in der Karibik das Erwachsenenalter erreicht hatten. Die Krankheit ist vor allem für jüngere Erwachsene tödlich; angeblich waren dabei Männer anfälliger als Frauen.

Effektive medizinische Maßnahmen gegen die Krankheit gab es nicht - anders als gegen Malaria, gegen die Chininpräparate zu Einsatz kommen konnten. Zwar beobachteten zahlreiche Verwalter, Ärzte und Besucher der Karibik, dass die Krankheit vor allem männliche, erwachsene Europäer traf, führten das aber meist auf Fragen der Konstitution und des individuellen Lebenswandels zurück. Die Behandlungsmethoden der Zeit - vor allem das ständige zur Ader lassen - waren geeignet, nach einer Infektion den Tod von einer wahrscheinlichen Möglichkeit zur Sicherheit werden zu lassen. Das scheint neben einer parallelen Malaria-, Typhus oder Ruhrinfektion eine mögliche Erklärung für die nach modernen medizinischen Kenntnissen extrem hohen Todesraten von bisweilen über 80 Prozent gewesen zu sein. Vor allem der Ausbau der Plantagenökonomie schuf für die wählerischen Mücken ideale Bedingungen. Wenn Zuckerplantagen und die zunehmend entwaldeten und daher in der Dürrezeit ausgetrockneten Inseln etwas brauchten, dann waren es Wasserspeicher in unterschiedlichen Größen, in denen die Moskitoeier an feuchten Wänden überwintern konnten. Sie schlüpften, sobald sie nach einem Regen vom Wasser überspült wurden.

Folglich spielte sich Mal um Mal dasselbe Muster ab. Europäische Staaten stellten große Verbände von Soldaten oder Kolonisten zusammen, deren Gesundheit meist ohnehin durch die Atlantiküberquerung geschwächt war. Sofern sie in trockenen Perioden ankamen, konnte eine kurze Belagerung oder Kolonisation gelingen. Nach dem ersten Regen stachen die Mücken jedoch zu und die Soldaten oder Siedler starben binnen kurzem am Fieber; wer überlebte, war zu geschwächt, um einen Krieg fortzusetzen oder eine Kolonie aufzubauen.

Diese 'differenzielle Resistenz' war so stark ausgeprägt, dass sie von keiner noch so großen numerischen Überlegenheit außer Kraft gesetzt werden konnte. McNeill argumentiert, sowohl die spanische Taktik (Festungen bauen, die einer Belagerung von acht Wochen widerstehen können - spätestens dann sind die Belagerer tot) als auch der Guerillakrieg im Stile Toussaint Louvertures in Haiti oder Simon Bolivars in Kolumbien hätten diese fundamentale Realität ausgenutzt. Malaria sei im amerikanischen Bürgerkrieg kein ähnlich effektiver Verbündeter gewesen wie Gelbfieber in der Karibik, aber auch hier seien die Truppen Washingtons und Lafayettes etwas weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden als die ihres Gegenspielers Cornwallis. Im amerikanischen Bürgerkrieg spielte Malaria als natürlicher Verbündeter der Konföderation keine kriegsentscheidende Rolle mehr, aber erst die konsequente Bekämpfung des Moskitos um 1900 habe diesen Vorteil der Verteidiger beseitigt - und damit etwa den USA das Ausgreifen in Länder wie Panama ermöglicht.

Unklar bleibt allein, warum die europäischen Staaten keine Strategie entwickelten, um mit dem Problem umzugehen. Zum großen Teil hatten sie wohl nach ihrer eigenen Einschätzung keine Alternativen zur Aufstellung von Expeditionstruppen, obgleich es genügend Hinweise auf die besondere Verwundbarkeit europäischer Zuwanderer im besten Soldatenalter gab. Einheimische standen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung, um eine ernsthaft verteidigte größere Insel zu bedrohen, und die Anwerbung von Afrikanern als Soldaten erschien undenkbar. Daneben spielte wohl militärische Beschränktheit eine Rolle - und die Höhe des vielleicht zu erringenden Preises, welche auch horrende Opfer wert zu sein schien.

Rezension über:

J. R. McNeill: Mosquito Empires. Ecology and War in the Greater Caribbean, 1620-1914 (= New Approaches to the Americas), Cambridge: Cambridge University Press 2010, XVIII + 371 S., ISBN 978-0-521-45910-5, USD 24,99

Rezension von:
Andreas Fahrmeir
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Fahrmeir: Rezension von: J. R. McNeill: Mosquito Empires. Ecology and War in the Greater Caribbean, 1620-1914, Cambridge: Cambridge University Press 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/09/18152.html


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