sehepunkte 10 (2010), Nr. 9

Ian Blanchard: The International Economy in the "Age of the Discoveries", 1470-1570

Der Leser dieses Buchs darf sich nicht vom sehr allgemeinen Titel dieses Buches irreführen lassen. Es geht hier nicht so sehr um eine Synthese über die internationale Wirtschaft während des Zeitalters der Entdeckungen, sondern vielmehr um die Geschichte des englischen Außenhandels von 1470 bis 1570 und die Rolle Antwerpens hierbei, wie im Untertitel spezifiziert ist. Dies kann mit der Tatsache erklärt werden, dass das Manuskript dieses Bandes den ersten Teil eines umfangreicheren Projekts darstellen sollte, der nun nach zehn Jahren aber als eigenständiger Band erschienen ist. Ian Blanchard ist schon seit Jahrzehnten einer der führenden Spezialisten zur Handels- und Industriegeschichte Großbritanniens sowie zur Finanzgeschichte des 16. Jahrhunderts. Dementsprechend bietet dieser Band nicht nur eine willkommene Zusammenfassung seiner Arbeiten zum englischen Exporthandel während der beginnenden europäischen Expansion, er verortet diesen außerdem in einem europäischen finanziellen und kommerziellen Kontext.

In der Einleitung erläutert der Autor seinen Zugang. Das frühe 16. Jahrhundert bildete ihm zufolge eine Schlüsselperiode in der Geschichte des Fernhandels. Insbesondere markierte es eine Weichenstellung in der Handelsstrategie der englischen Kaufleute hin zum 'direct trade', einem aktiven Ausbau europaweiter kommerzieller Netzwerke, der sich in den darauffolgenden Jahrhunderten fortsetzen sollte. Sein Ansatz beruht auf einer Analyse der Korrespondenz englischer Kaufleute in Antwerpen und anderen Handelszentren und dem Mutterland. Er weist dabei auf die große Bedeutung des Informationsaustauschs für den günstigen Ablauf der Handelsaktivität hin. Kenntnisse über externe Faktoren wie Kriege, den Bankrott bestimmter Firmen oder monetäre Unregelmäßigkeiten waren von höchster Wichtigkeit für den Verlauf des Geschäftes.

Neben anderen Transaktionskosten spielte hier der Geldwert eine große Rolle. Für den Geldhistoriker Blanchard ist dies der Ansatzpunkt, um dem Antwerpener Finanzmarkt im ersten Teil seines Buchs die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Die finanziellen Entwicklungen an der Antwerpener Börse von 1513 bis 1540 werden eingehend behandelt. Der Ausgangspunkt der Betrachtung liegt in der einfachen Faustregel: "Billiges Geld stimuliert den Handel - teures Geld bremst den Handelsverkehr". Der Antwerpener Geldmarkt übte wegen der günstigen Kreditvoraussetzungen und niedrigen Kreditzinsen zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine große Anziehungskraft auf Händler aus, so auch auf die englischen Händler, die in erster Linie Wolle, Zinn und Blei exportierten. Dies änderte sich jedoch in den folgenden Jahrzehnten durch wiederholte Finanzkrisen infolge der astronomisch hohen Staatsanleihen Karls V. und anderer europäischer Fürsten und wegen des Rückgangs der mitteleuropäischen Silberproduktion ab 1527. Nach einer eingehenden Analyse der Entwicklung der Antwerpener Wechselkurse kommt in einem wesentlich kürzeren Abschnitt auch der Londoner Finanzmarkt zur Sprache, der jedoch weder vom Handelsvolumen noch von den günstigen Kreditzinsen her mit jenem Antwerpens vergleichbar war.

Infolge der wiederholten Finanzkrisen in Antwerpen orientierten sich die englischen Händler mehr und mehr auf andere Exportzentren hin, wie etwa Frankfurt, Lyon oder Danzig, wodurch ein alternatives Handelsnetzwerk, der sogenannte 'Alternative Commerce', entstand, der die Basis für die kommerzielle Strategie Englands im weiteren Verlauf des Jahrhunderts darstellte. Während der Dreißiger- und Vierzigerjahre des 16. Jahrhunderts entwickelte sich dieses alternative Handelsnetzwerk zu einem ernsthaften Konkurrenten für den Antwerpener Handel, der damit seinen Zugriff auf den englischen Exporthandel verlor und sich zunehmend auf den Handel mit Südeuropa spezialisierte.

Im dritten Teil zeigt Blanchard schließlich auf, wie sich der Handel mit den wichtigsten Exportprodukten entwickelte: Im Bereich der Tuchindustrie, dem wohl wichtigsten Exportsektor Englands, war das Aufkommen der 'light drapery' die wichtigste Neuerung. Angesichts steigender Rohstoffpreise und relativ niedriger Löhne drängte sich eine Umstellung auf eine materialsparende und arbeitsintensive Produktionsform geradezu auf. Diese leichteren Stoffe, und insbesondere die englischen Kerseys, und später gemischte Stoffe wie etwa Serges und Bays, konnten mit einem geringerem Einsatz von Rohstoffen produziert werden, wodurch sie billiger abgesetzt werden konnten und somit in zunehmendem Maße den europäischen Markt dominierten. Andere traditionelle Exportgüter Englands waren Blei und Zinn, deren Export in einer engen Wechselwirkung mit der Edelmetallgewinnung in Mitteleuropa stand. Im Zusammenhang mit dem Saigerverfahren wurde Blei zur Silbergewinnung benötigt, was die englischen Händler völlig abhängig von den sächsischen Saigerhändlern machte. Sie konnten lediglich versuchen, die Produktionskosten mit Hilfe von Lohnsenkungen und der Suche nach neuen Fundstätten zu senken.

Trotz der hohen Relevanz des Themas und der Bemühungen des Autors um eine verständliche Darstellung, vor allem in der allgemeinen Einleitung sowie in den einleitenden Passagen der einzelnen Kapitel, gestaltet sich die Lektüre dieses Buchs einigermaßen mühsam. Der Leser läuft sich nach einiger Zeit fest in der Detailfülle bzw. der Darstellung der komplexen Wechselwirkungen zwischen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Faktoren, sodass bei der Lektüre ein hohes Maß an Konzentration erforderlich ist. Der Autor fügt zwar regelmäßig rekapitulierende Passagen ein, die den roten Faden herstellen müssen, allzu oft bedient er sich hierbei jedoch der buchstäblichen Wiederholung ganzer Passagen, was auf die Dauer störend wirkt. Die lange Zeit zwischen der Fertigstellung des Manuskripts und der Publikation erklärt zum Teil auch das Fehlen jüngerer Arbeiten im Literaturverzeichnis. So fehlen grundlegende Arbeiten zu Fragen der Entwicklung des Informationsaustauschs als Faktor der kommerziellen Entwicklung, wie sie etwa Clé Lesger vorgelegt hat [1], aber auch jüngere Arbeiten zur Antwerpener Handelsgeschichte, etwa von Donald Harreld oder aber von Baumann. [2] Insgesamt jedoch stellt das Werk Blanchards trotz dieser Schönheitsfehler vor allem aufgrund seiner Materialfülle einen wesentlichen Baustein zur englischen Handelsgeschichte des 16. Jahrhunderts sowie zur Geschichte des Antwerpener Kapitalmarkts dar.


Anmerkungen:

[1] Clé Lesger: The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange. Merchants, Commercial Expansion and Change in the Spatial Economy of the Low Countries, c. 1550-1630, Aldershot 2006.

[2] Donald Harreld: High Germans in the Low Countries. German merchants and commerce in golden age Antwerp. Leiden / Boston 2004; Wolf-Rüdiger Baumann: The merchants Adventurers and the Continental Cloth-Trade, 1560s-1620s, Berlin / New York 1990.

Rezension über:

Ian Blanchard: The International Economy in the "Age of the Discoveries", 1470-1570. Antwerp and the English Merchants' World (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte der vorindustriellen Zeit; Nr. 29), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 288 S., ISBN 978-3-515-09329-3, EUR 45,00

Rezension von:
Michael Limberger
Universiteit Gent
Empfohlene Zitierweise:
Michael Limberger: Rezension von: Ian Blanchard: The International Economy in the "Age of the Discoveries", 1470-1570. Antwerp and the English Merchants' World, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/09/17023.html


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