sehepunkte 10 (2010), Nr. 6

Heike Bock: Konversionen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft

Der Wandel der Forschung zu frühneuzeitlicher Religiosität und Konfessionalisierung lässt sich besonders an Untersuchungen zu Glaubenswechseln gut nachvollziehen. Die ältere Forschung war überwiegend durch den jeweiligen konfessionellen Standpunkt des Verfassers geprägt. Mit der Durchsetzung des Konfessionalisierungsparadigmas überwog dann die Makroperspektive auf Konversionen als Ausdruck der klaren Konturierung konfessioneller Grenzen. Der mikro-, alltags- und kulturhistorische Perspektivwechsel hat schließlich das Interesse an den Konvertiten selbst gefördert. Dabei wurde die Frage nach der Reichweite der Konfessionalisierung bzw. nach ihrer Prägekraft für konfessionelle Identitäten gestellt.

An diesem Punkt setzt Heike Bock in ihrer Luzerner Dissertation an und leistet, das sei vorweg betont, einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Konversionsforschung. Sie legt ihre Arbeit als vergleichende Regionalstudie an, indem sie mit dem katholischen Luzern und dem reformierten Zürich zwei Städte unterschiedlicher Konfession als Untersuchungsfelder wählt. Es geht ihr um den Umgang mit und die Erfahrungen von Konvertiten in beiden Orten, und zwar vom Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Mit ihrer Untersuchung betritt sie Neuland, denn erstaunlicherweise fehlen derartige Vergleiche bis heute weitgehend.

Die Verfasserin geht methodisch sehr präzise, aber gleichzeitig auf erfrischende Weise pragmatisch vor und vermeidet es, sich in eingefahrene Debatten zu verbeißen. So folgt sie einem modifizierten Verständnis des Begriffs "Konfessionalisierung": Einerseits lehnt sie seine stark an Staatsbildung und Sozialdisziplinierung gekoppelte ursprüngliche Konzeption ab. Andererseits geht sie aber von der Hypothese aus, dass die Konkurrenzsituation der verschiedenen Denominationen durchaus unterschiedliche Konfessionskulturen hervorbrachte. "Konfession" diente demnach als "normatives Ordnungs- und Identifikationsprinzip frühneuzeitlicher Gesellschaften [...], als obrigkeitlicher Integrationsanspruch" (383), der nicht mit seiner weitgehenden Durchsetzung zu verwechseln sei. Konfession sei ein gewichtiger Identifikationsfaktor unter mehreren. Konversionen stellten Grenzüberschreitungen dar, die eher der Bestätigung als der Infragestellung konfessioneller Differenz dienten. Sie waren folglich strukturelle Bestandteile von Konfessionskulturen.

An diese makrohistorischen Überlegungen schließen für die mikrohistorische Durchführung der Studie vier Leitfragen an: Welche Einstellungen nahmen die Obrigkeiten gegenüber Konfessionswechslern ein? Welche Erfahrungen machten die Konvertiten mit ihren Glaubensübertritten und in welche Konflikte wurden sie verwickelt? Welchen Stellenwert hatten die Konversionen für die betroffenen Gemeinwesen und für die Konvertiten? Und welche Rückschlüsse lassen sich daraus für die gesellschaftliche Bedeutung des Faktors Konversion und seine Entwicklung im Laufe des Untersuchungszeitraums ziehen?

Die Verfasserin stellt zunächst die politischen, gesellschaftlichen und konfessionellen Strukturen der beiden Städte vor. Auch wenn dieser Teil etwas zu ausführlich geraten ist, so ist doch hervorzuheben, dass Bock in präziser und zuverlässiger Weise in die komplexen Strukturen der Eidgenossenschaft einführt. Anschließend fragt sie nach den mit Konversionen befassten Institutionen und Gruppen. In Zürich waren dies sowohl staatliche wie kirchliche Organe. Auffallend ist, dass ab dem Ende des 17. Jahrhunderts mit der Einrichtung der Proselytenkammer - ein gemischtes Gremium aus Vertretern von Rat und Kirche - eine Zentralisierung und Formalisierung im Umgang mit Konvertiten festzustellen ist. Im katholischen Luzern war zwar der missionarische Impetus stärker als bei den Reformierten, doch blieb es bei einem sehr dezentralen Umgang mit Konversionen, mit denen vor allem Orden, aber auch der Nuntius befasst waren.

In beiden Städten wurden Konvertiten als unterstützungsbedürftige Fremde angesehen. Das bedeutet, dass zumeist die Einrichtungen der Armenfürsorge für sie zuständig waren. Von diesen wurden sie nicht grundsätzlich anders behandelt als andere Bedürftige. Bei aller Freude über die Rettung einer Seele: Die Kommunen bemühten sich primär, die Kosten in Grenzen zu halten. Zu diesem Zweck versuchten sie zunächst, die aufrichtigen (und damit der Unterstützung würdigen) von den "opportunistischen" Konversionskandidaten zu scheiden. Auch Erstere wurden, vor allem in Zürich, zumeist nur eine begrenzte Zeit geduldet. Und auch für die langfristig Ansässigen galt, dass ihre Aussichten auf vollständige gesellschaftliche und rechtlich-politische Integration durch Erwerb des Bürgerrechts in beiden Städten sehr gering waren. Die Aufnahmebedingungen waren primär von ökonomischen Erwägungen geprägt. Sozialer Aufstieg durch Konversion blieb die große Ausnahme.

Aus der Sicht der Konvertiten stand folglich die Sorge um die Bestreitung des Lebensunterhalts im Vordergrund. Ihr Status der Fremdheit und Heimatlosigkeit bedeutete eine Bündelung von Armutsrisiken. Sie waren in eklatanter Weise vom Wohlwollen der Obrigkeit abhängig. Folglich sind die Quellen, in denen sie die Motive ihrer Konversion schilderten, in erster Linie Ausdruck der an sie gerichteten Erwartungen. Drei Argumentationsstrategien verfestigten sich mit der Zeit zu narrativen Mustern: die Bemühung, glaubwürdig zu wirken, die Erregung von Mitleid und die Zerstreuung obrigkeitlicher Sorgen, sie würden der Kommune langfristig auf der Tasche liegen. Die Zahl der Konvertiten, die sich konfliktfrei zu integrieren vermochten, ist mangels Quellen allerdings nicht zu quantifizieren. Zum Beispiel dürfte die Integrationsperspektive für Personen, die zwecks Heirat mit einer Person anderer Konfession konvertierten, gut gewesen sein.

Einen Sonderfall stellen Geistliche dar. Da sie unter besonderem Legitimationszwang standen, stellten sie ihre Konversion zumeist als Gewissensentscheid dar, der zur Wiedergewinnung der Identität von Gewissen und Glauben führte. An zwei Beispielen arbeitet Heike Bock Handlungsoptionen und Motive von Geistlichen, welche die Konfession wechselten, heraus: Der Zürcher Pfarrer Johann Jakob Rüegg nahm mit seiner in Luzern vollzogenen Konversion zum Katholizismus Risiken und ökonomische Schwierigkeiten auf sich; seine Gewissensmotive erscheinen glaubwürdig. Der entlaufene Benediktiner Johannes Heidelberger aus St. Gallen hingegen dürfte die Konversion zu den Reformierten eher als Legitimation für die Flucht aus dem Kloster genutzt haben. Alles in allem, so die Verfasserin überzeugend, sei es sinnvoller, nach den sozialen, politischen und religiösen Kontexten einer Konversion statt nach den "wahren Motiven" eines Konvertiten zu fragen. So werden die für eine Konversion bestimmenden Faktoren sichtbar. Der Rückgang von Konversionen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist als Indiz für den Bedeutungsverlust konfessioneller Bindung zu werten.

Die Stärke von Heike Bocks Studie liegt in der differenzierten Darstellung dieser Kontexte, an der sich künftige Untersuchungen messen lassen müssen. Sie bietet einerseits eine Sozial- und Erfahrungsgeschichte der Konvertiten, andererseits eine Studie zum Umgang zweier Obrigkeiten unterschiedlicher Konfession mit Konvertiten, vor allem im Kontext der Armenfürsorge. Hervorzuheben ist auch, dass das Buch durchgehend in ebenso präziser wie gut lesbarer Prosa geschrieben ist.

Rezension über:

Heike Bock: Konversionen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Zürich und Luzern im konfessionellen Vergleich (= Frühneuzeit-Forschungen; Bd. 14), Epfendorf: bibliotheca academica 2009, 455 S., 4 Karten, 1 Abb., ISBN 978-3-928471-73-2, EUR 49,00

Rezension von:
Hillard von Thiessen
Historisches Seminar I, Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Hillard von Thiessen: Rezension von: Heike Bock: Konversionen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Zürich und Luzern im konfessionellen Vergleich, Epfendorf: bibliotheca academica 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/06/17372.html


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