sehepunkte 10 (2010), Nr. 6

Alexander H. Arweiler / Bardo M. Gauly (Hgg.): Machtfragen

Der Sammelband fasst die Beiträge eines Kolloquiums, das 2005 anlässlich des 65. Geburtstages von Konrad Heldmann an der Christian-Albrechts-Universität Kiel veranstaltet wurde, zusammen.

Sinnvoll erscheint es bei einem solch komplexen Thema, dass die Herausgeber in der Einleitung zunächst einige methodische Überlegungen voranstellen, um sowohl "Macht" auf theoretischer Ebene als auch auf der Grundlage die im Rahmen dieses Sammelbandes interessierenden "Machtfragen" schärfer zu konturieren und sie so gleichzeitig von einem allgemeinen Sprachgebrauch abzusetzen, der "Macht" (oft intuitiv und unreflektiert) vorrangig der politischen Sphäre zuordne(t) (7). Entsprechend formulieren sie Leitfragen, die nach dem Verhältnis von Literatur, aber auch von Bildsystemen zu "Rationalisierungen" von Machtverhältnissen fragen, wie Literatur davon beeinflusst wird oder wie sie möglicherweise solche Rationalisierungen selber schafft (11).

Allerdings werden die Überlegungen dem Spektrum der Themen - die von Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Literatur und Macht bei Cicero, Catull und Vergil (Alexander Arweiler), der Funktion des Selbstlobs in den Briefen Plinius' d.J. (Bardo Maria Gauly), der Macht von Bildung im Werk Lukians (Thomas A. Schmitz) über Imaginationen von Herrschaft im lateinischen Epos des Mittelalters (Christel Meier) bis zur Bedeutung der pompae (Karl-Joachim Hölkeskamp) oder der augusteischen Baupolitik (Rolf Michael Schneider) reichen - letztlich kaum gerecht. Symptomatisch dafür kann man sicher auch sehen, dass es auf der Grundlage der vorangestellten Überlegungen offenbar nicht gelungen ist, die Beiträge anders als in chronologischer Reihenfolge anzuordnen. Grundsätzlich sehen das wohl auch die Herausgeber, wenn sie klarstellen, dass sich damit nicht notwendig eine "einheitliche historische Entwicklung des Verhältnisses von Kultur und Macht" implizieren lasse: "Vielmehr ergeben sich durch die gestellten Fragen und die zugrunde gelegten Konzepte über die Grenzen von Kulturen und Epochen hinweg Bezüge zwischen einzelnen Arbeiten" (15). Die Formulierung verweist pointiert auf die bisweilen fehlende Kohärenz zwischen den einzelnen Beiträgen, über die auch die allgemeinen theoretischen Überlegungen nicht hinwegtäuschen können.

Die geschichtswissenschaftlichen Beiträge wissen ihre Themen methodisch Fragestellungen einer "politischen Kulturgeschichte" zuzuordnen. [1] So diskutiert Gerhard Fouquet exemplarisch anhand der in der Familienchronik der Grafen von Zimmern Mitte des 16. Jahrhunderts überlieferten Anekdote, wonach Hans von Zimmern 1418 gegenüber dem durchreisenden König Sigmund den Gruß und damit die ihm als Ranghöheren eigentlich zustehende Ehrbezeugung verweigert haben soll, grundlegende Probleme der Zentralisierungstendenzen königlicher Herrschaft im Spätmittelalter (247-262).

Karl-Joachim Hölkeskamp beschäftigt sich vor dem Hintergrund solcher Fragestellungen mit der Bedeutung der pompae in einer in den letzten Jahren intensiv erforschten Ritualpraxis der römischen Republik (79-126). [2] Als rituelle Ausdifferenzierung der republikanischen Memorialkultur, die durch eine spezifische Komplementarität von Konkurrenz und Konsens geprägt war, finden sich diese grundsätzlich ambivalenten Sinndimensionen auf jeweils sehr charakteristische Weise in den untersuchten pompae triumphalis, pompae funebris sowie den pompae circensis wieder. Diese Ambivalenzen ergaben sich aus einem auf den scharfen inneraristokratischen Wettbewerb im Rahmen der res publica ausgerichteten Handeln einerseits und einer politischen Kultur, deren Kommunikationsformen darauf zielten, möglichst umfassend Konsens auch innerhalb sozialer Differenzierungen herzustellen andererseits. Die spektakulären pompae ordnen sich in eine solche politische Kultur ein, indem sie integrativ wirkten und die strukturellen Ambivalenzen symbolisch im Ritual gewissermaßen auflösten.

Helmut Krasser (127-148) und Rolf Michael Schneider (149-186) schließen daran an, wenn sie in ihren Aufsätzen den Blick sowohl durch unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven als auch über die römische Republik hinaus in den frühen Principat erweitern. Krasser untersucht die Funktion der Triumph- und Festmotivik zum einen in ihrem Verhältnis zur in augusteischer Zeit fundamental veränderten Triumphalpraxis, zum anderen aber auch auf literarischer Ebene als zentrale Denkfigur im vierten Odenbuch des Horaz, die die Vereinnahmung des dichterischen Anspruches, die Dimensionen der Sieghaftigkeit erst erfassen zu können, radikal formuliert. Allerdings bleibt es leider bei solchen vereinzelten Bezügen.

Den zeitlichen Rahmen des Sammelbandes beschließt Bernhard Teuber, indem er Formen der "Repräsentation und Verhandlung königlicher Souveränität im römischen und frühneuzeitlichen Drama" anhand der Tragödien Senecas sowie jener Calderóns, Corneilles und Racines vergleichend untersucht (263-285). Seinen Ausgangspunkt stellen die wissenschaftlichen Diskussionen über die Konzeption des Souveräns dar, die im 20. Jahrhundert vor dem Erfahrungshorizont totalitärer Regime aktualisiert wurden, und deren Bezugnahme auf eine Neudefinition von Souveränität seit dem 16./17. Jahrhundert. Am frühneuzeitlichen Theater und insbesondere an der Tragödie interessieren Teuber die zeitgenössischen Diskurse, die ihre spezifische Dynamik aus dem Anschluss an antike Themen bezogen (267f.). Problematisch erscheint der Ansatz jedoch, wenn er sich grundsätzlich von einer theoretischen Diskussion leiten lässt, die fundamental, aber, wie er selbst bemerkt, bisweilen recht "holzschnittartig" auf einer Unterscheidung vormoderner und moderner Strukturen basiert (269f.) und wenn er für die römische Kaiserzeit den Bedeutungsverlust der Tragödie für politische Funktionszusammenhänge, ihren bewussten "Verzicht auf öffentlich-staatliche Wirksamkeit" formuliert (271). Neuinterpretationen der untersuchten Tragödien verstellt man auf diese Weise möglicherweise den Blick.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Konzeption des Sammelbandes in methodischer Hinsicht den Erwartungen und dem komplexen Thema nicht gerecht werden kann. Obwohl die Beiträge im Einzelnen bisweilen lesenswert sind, werden die Erkenntnisse der Einzelstudien jedoch nur ansatzweise zusammengeführt. Zudem dienen die drei Studien, die sich mit Mittelalter und Früher Neuzeit befassen, eher als Ausblick über den eigentlichen thematischen Schwerpunkt hinaus, der auf der römischen Republik und Kaiserzeit liegt.


Anmerkungen:

[1] B. Stollberg-Rilinger: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005, 9-24.

[2] Vgl. dazu u.a. E. Flaig: Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, 2. Aufl., Göttingen 2004, bes. 32-69; H. I. Flower: Der Leichenzug - die Ahnen kommen wieder, in: E. Stein-Hölkeskamp / K.-J. Hölkeskamp (Hgg.): Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt, München 2006, 321-339; T. Itgenshorst: Tota illa pompa. Der Triumph in der römischen Republik, Göttingen 2005.

Rezension über:

Alexander H. Arweiler / Bardo M. Gauly (Hgg.): Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, 303 S., ISBN 978-3-515-09295-1, EUR 49,00

Rezension von:
Simone Blochmann
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Empfohlene Zitierweise:
Simone Blochmann: Rezension von: Alexander H. Arweiler / Bardo M. Gauly (Hgg.): Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/06/16128.html


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